„Weinstein“: Bericht von der Filmpremiere im Kieler Studio Filmtheater

Der von Filmgruppe „Laterna 24143“ auf Super 8 gedrehte Film „Weinstein“ hatte am am 9. Dezember 2017 seine Uraufführung auf der großen Kinoleinwand des Kieler Studio Filmtheaters.
„Weinstein“ ist eine echte Independent-Produktion, die nicht nur jenseits von Filmindustrie und Filmhochschule entstand, die Filmgruppe verweigerte sich sogar der lokalen Filmförderung, um nicht unter dem Druck von Vorgaben und einem einzuhaltenden Zeitrahmen zu stehen. Man sparte sich jede Filmkassette vom Mund ab, um nach fünf Jahren Produktionszeit einen abendfüllenden Spielfilm in Schwarzweiß der interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Für eine Vorstellung um 22:45 Uhr war das Kino gut besucht.
Dreharbeiten zu „Weinstein“ (Foto: Filmgruppe „Laterna 24143“)
Filmemacher Rouven Stübe gab die einleitenden Worte, erklärte seine Ferne zu den Entwicklungen des digitalen Bildes und dem Trend, jeden Moment des Lebens per Smartphone festzuhalten. Er sehe sich eher in der Tradition der unabhängigen Filmgruppen, die in den 70er und 80er Jahren eigene Filme im Schmalfilmformat produzierten. Und er glaube an den Traum, den das Publikum kollektiv in der Dunkelheit des Kinos träumt. Es erklingt der Kinogong, das Licht fährt langsam herunter, und der Vorhang öffnet sich …
Das Publikum tritt eine Reise an, begleitet die Protagonisten bei ihrer Suche nach Liebe, es belauscht sie beim Philosophieren und befindet sich bereits auf einem Trip durch die Filmgeschichte. Im Zentrum steht die Melancholie, die in Form einer imaginierten Frau sich gelegentlich sichtbar in die Handlung fügt. Der Namensgeber des Films entspringt dem 19. Jahrhundert, bewegt sich unter den Menschen des 20. Jahrhunderts und befindet sich bereits in der heutigen Zeit. Weinstein mit mächtigem Backenbart, glänzenden Stiefeln und hohem Zylinder lässt sich von einem Hippie aus den 60er oder 70er Jahren durch die Zeit und die Abgründe des menschlichen Daseins führen. Der seltsame Hippie möchte so gern der Amor sein, der die Protagonisten miteinander verkuppelt und ihnen Liebesglück schenkt, doch seine Pfeile verfehlen ihr Ziel.
Die große Kunst, Schubert, die Philosophen, die Kritik der reinen Vernunft, Jean Paul Sartre verlieren ihre Schwere bei dem Versuch des Seltsamen, die Welt mit dem Pathos eines Laiendarstellers bei einer Shakespeare-Aufführung in wohlklingende Sätze zu pressen. Seine Selbstüberschätzung, seine so unpassend bedeutungsschwangeren Worte verleihen dem melancholischen Geschehen eine Komik, die das Publikum kichernd goutiert.
Es ist nicht leicht, diesen Film in Worte zu fassen, der sich den gängigen Genres verweigert und sich traumwandlerisch durch die Epochen des europäischen Kinos bewegt, sich bei den steifen Inszenierungen der 50er bedient, auf die 20er zurückgreift wie auf Autorenkino, Nouvelle Vague, Ausflüge in den Underground-Film und immer wieder Faßbinder-Anleihen. Die Autofahrt mit der im Hintergrund projizierten Straße scheint einer 60er Jahre-Produktion entnommen zu sein, und mit dieser Technik wurde die alte Kieler Straßenbahn im Bahnmuseum am Schönberger Strand wieder zum Leben erweckt. Sie bewegt sich ebenso wie die Protagonisten unbeschwert durch die Zeit, lässt sie zurücklaufen und hinterlässt einen rückwärts laufenden Soundtrack. Es nicht nötig, mit Digitaleffekten die Zeitreise zu ermöglichen, die filmische Erzählweise zieht einen so durch die Geschichte, dass man die Charaktere aus verschiedensten Epochen in einem Straßenbild mit modernen Autos und Graffities für völlig normal hält.
Filmstill aus „Weinstein“
Die Filmemacher bewiesen ein Auge fürs Detail, nutzten Architektur, Autos, Einrichtungsgegenstände zur Bildgestaltung, zur Reise in andere Zeiten und Filmwelten. Jahrmarkt, Paternoster, Kostüme, Trödelladen oder Haushaltsgegenstände sind keine designten Ausschmückungen, sondern gefrorene Zeit, Zeugnisse von Orten, an denen die Zeit stehengeblieben ist.
Filmstill aus „Weinstein“
Die Geschichte ist tragisch, und wenn die Welt sich von ihrer unbarmherzigen Seite zeigt, können nur Absinth und Laudanum den Schmerz lindern. Der Film weigert sich beharrlich, Erwartungshaltungen zu bedienen, geht lieber einer inneren Logik als einer geradlinigen Handlung nach, bringt Schwermut, Melancholie und Witz zusammen, entwickelt einen Charme, dem man sich nicht entziehen kann. Der Zauber des Films ist wohl auch dem Medium zu verdanken. Das grobe Korn des Super 8-Schwarzweißfilms, die Staubkörner, Kratzer und Fehler im chemischen Entwicklungsprozess erzeugen die Magie, die das Kino zu dem Ort des kollektiven Traums machten, der den Filmemachern vorschwebte.
Rouven Stübe mit der Goldenen Super 8-Kamera, Filmpreis der Filmgruppe Chaos (Foto: Karsten Weber)
Die Kieler Filmgruppe Chaos zauberte einen eigens zu dem Anlass entworfenen Filmpreis aus dem Hut und überreichte der Filmgruppe „Laterna 24143“ die Goldene Super 8-Kamera für ihr einzigartiges Werk, ihre Beharrlichkeit und die Verdienste für dieses besondere Medium. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)
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