Verarbeitung von Tod und Verlust beim Filmfest Schleswig-Holstein 2023

Das 27. Filmfest Schleswig-Holstein nimmt uns mit auf die unterschiedlichsten filmischen Reisen. Darunter ist diesmal auch eine Auswahl an Filmen, die sich mit den Themen Tod, Verlust und Erinnerung auseinandersetzen.
Am 31.3.2023 laufen am Nachmittag drei mittellange Filme im Kino in der Pumpe Kiel, die diese Themen auf ganz unterschiedliche Weise aufarbeiten. Es geht um Kindheitserinnerungen, Konflikte und Einsamkeit –  aber auch darum, Neues zu schaffen, zu akzeptieren und zusammenzuhalten.

Der erste Film im Programm ist Fabian Schubert-Heils „Jetzt ist es nur noch seltsam“ (D 2022, 47 Min.). Schubert-Heil erzählt die Geschichte von Alexander, der nach dem Tod seiner Eltern zurück in sein altes Zuhause kehrt, allerdings keinerlei Zugang zu seiner Kindheit findet.
Der Film beginnt mit beinahe fotografischen Einstellungen – Impressionen auf dem Weg zum ehemaligen Elternhaus. Dinge, die man eben sieht, aber nie so richtig wahrnimmt, wenn man nach Hause kommt. Der Rasen wird gemäht, Papierkram bearbeitet und das Haus mit einer Maklerin begangen. Während Alexander sich im Haus umsieht, findet er immer wieder Zeugen seiner Kindheit. Größenmarkierungen am Türrahmen, Spielzeuge oder alte Videokassetten mit Heimaufnahmen. Allerdings kommen dabei keine Gefühle oder Erinnerungen in ihm hoch. Er scheint distanziert und beinahe gleichgültig. Erst nach einem Gespräch mit seinem Kindheitsfreund Leon beginnt Alexander, nach diesen verlorenen Gefühlen zu jagen um sie festzuhalten.
„Jetzt ist es nur noch seltsam“ befasst sich mit den Momenten, die man erlebt, wenn man den Dachboden oder Keller aufräumt und alte Schätze findet, dreht ihn aber um. Die Objekte sind da. Das Gefühl, dass da was sein müsste, ist da. Aber die Erinnerungen sind nicht da. Nichts spricht einen an. Es scheint für Alexander zuerst, als würde er das Leben eines Fremden in den Händen halten. Nur durch die Hilfe anderer öffnet er sich seiner Kindheit und schafft es dadurch gleichzeitig, loszulassen.

Still aus „Akteneinsicht“ von Björn „Beton“ Warns

 

Weiter geht es im Programm mit Akteneinsicht (D 2022, 18 Min.), dem Spielfilmdebut von Björn „Beton“ Warns, bei dem er sowohl Regie, Produktion als auch Drehbuch übernommen hat. Zuvor war Warns vor allem an diversen Musikvideos seiner Band „Fettes Brot“ mitbeteiligt und hat die Corona-Pandemie genutzt, sich vermehrt mit Film zu beschäftigen.
In „Akteneinsicht“ geht es um die beiden Brüder Markus und Karsten Karberg, die nach dem Tod ihres Vaters in dessen Wohnung alte Dokumente finden. Diese belegen, dass er von einem Spitzel der Stasi überwacht worden war.
Eröffnet wird die Geschichte mit einer Beerdigung. Das Wetter ist typisch norddeutsch bedeckt, die Einstellungen in ein kühles Grau getaucht. Dieser dunkle Schleier drückt wie ein Omen auf die kleine Trauergemeinschaft. Denn kurz darauf finden Markus und Karsten beim Aufräumen schon die Akte, die die Brüder in ein moralisches Dilemma stürzt: Der Mann, der ihren Vater überwacht und schließlich von seiner Familie getrennt hat, ist ihr Stiefvater Dieter. Zusammen diskutieren sie, ob sie ihrer Mutter von ihrem Fund erzählen und Dieter bloßstellen oder es weiter verschweigen und damit den Frieden wahren sollten.
Warns’ Film lässt einen mit ebendiesen Fragen zurück: Wie viel Wert hat ein glückliches Leben, wenn es auf einer Lüge basiert? Ist den Betroffenen geholfen, wenn sie wissen, dass sie belogen wurden?
Eine Sehnsucht nach dem „Was wäre, wenn…?“ entsteht, die sich nicht erfüllen lässt. Unterstrichen wird das durch die immer wieder eingespielten 8mm-Aufnahmen vom Kindheitsurlaub der Familie. Wäre der Rest des Lebens auch so glücklich verlaufen, wenn es anders gekommen wäre?
Der Film soll in Zukunft auch an Schulen gezeigt werden, um über die Vergangenheit mit der Stasi in der DDR und ihren Einfluss auf das Leben der Betroffenen bis heute aufzuklären.

Still aus „Alleingang“ von Raphael Schanz

 

Beim letzten Film im Programm handelt es sich nicht um Fiktion. „Alleingang“ (D 2021, 27 Min.) ist ein beobachtender Dokumentarfilm des Filmemachers Raphael Schanz aus Berlin. Über eine Freundin, die sich mit Tod in Kinderbüchern beschäftigte, sei er auf die Themen Tod, Verlust und Totenkultur in Deutschland aufmerksam geworden und schließlich hätte er den Berliner Urnenbegleiter Bernd Simon kennengelernt. Simon kümmert sich um die Verstorbenen, die von den Ämtern bestattet werden und bettet sie zur letzten Ruhe.
Schanz’ Dokumentarfilm begleitet Bernd Simon bei seiner Arbeit und zeigt, wie unterschiedlich Menschen mit dem Thema Tod in Berührung kommen. Der Bestatter bereitet die Urnen vor, sitzt alleine mit ihnen in der Kapelle. Bach/Gounods „Ave Maria“ klingt aus den Lautsprechern. Die Urne wird in ein kleines, eng gesetztes Grab gelassen. Er spricht ein paar Worte zum Abschied, schüttet etwas Sand in das Grab. Häufig kommen keine Angehörigen zu den Beisetzungen und Simon versucht, die letzte Reise der Verstorbenen so würdevoll wie möglich zu gestalten. Kommen doch welche, spricht Simon ihnen Kraft zu und hört sich ihre Geschichten an. Einige brechen kurz vor ihrem Tod den Kontakt ab, andere hätten eigentlich bei ihren Lebensgefährten begraben werden sollen, doch das Geld wurde vom Pflegedienst genommen. Es ist vorwiegend andächtige Stille unter den Angehörigen, wie es in der deutschen Totenkultur gängig ist. In dem Dokumentarfilm trifft man aber auch auf Menschen, die auf die Verstorbenen anstoßen und locker in Erinnerungen schwelgen. Und währenddessen geht der Alltag auf dem Friedhof weiter: Neue Gräber werden ausgehoben, Blumen gewässert und Grabanlagen geplant. Und verlässlich fährt die S-Bahn  im Hintergrund vorbei.
„Alleingang“ wirft ein Licht auf die sonst eher weniger beachteten Amtsbestattungen. Erinnert an diejenigen, die vielleicht sonst niemanden haben, der sich erinnert, und bietet einen kleinen Einblick in unseren Umgang mit Tod und Verlust.

Das Programm zeigt uns die seltener beleuchteten Aspekte, die mit dem Tod einhergehen. Häufig steht die individuelle Trauer um die Verstorbenen im Vordergrund, ihr Leben und der Schmerz, der mit ihrem Verlust einhergeht. Die Filmemacher von „Jetzt ist es nur noch seltsam“, „Akteneinsicht“ und „Alleingang“ lassen unseren Blick ein kleines bisschen zur Seite schweifen, zeigen nicht unbedingt nur das, was verloren gegangen ist, sondern stellen die Frage: Was bleibt? (lb)

 

Zu sehen gibt’s die Filme hier:
Freitag, 31.3.2013, 15:15 Uhr
Kino in der Pumpe – Kommunales Kino Kiel

Programm, Katalog und Infos:  https://filmfest-sh.de
Tickets: https://filmfest-sh.de/tickets/

 

Titelfoto: Still aus „Jetzt ist es nur noch seltsam“ von Fabian Schubert-Heil
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