30 Jahre Filmtournee Unterwegs
„Junge Schmalfilmer treffen sich“, hieß es schon seit Anfang der 70er Jahre jedes Jahr im November auf dem Scheersberg in Angeln unter der Leitung von Kurt Denzer und Ulrich Ehlers. Hier kamen ambitionierte junge Super-8-Filmer aus ganz Schleswig-Holstein für ein langes Wochenende zusammen, um sich ihre neusten Filme zu zeigen und darüber zu diskutieren. An Selbstbewusstsein mangelte es nicht. Vielleicht auch deshalb, weil die in der ersten Hälfte der 80er Jahre von der Film-AG im Studentenwerk organisierten Filmvorführungen im Sechseckbau an der Kieler Uni einen überraschend großen Erfolg hatten. Auf der anderen Seite war man es Leid, bei nur wenigen öffentlichen Gelegenheiten und ansonsten nur noch im Freundes- und Familienkreis seine Filme zeigen zu können. Also schrieben die Kieler Filmer, die neben den Lübeckern die größte Fraktion an Filmern im Lande stellten, im Oktober 1985 an den Vorstand der „Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein“ (im Allgemeinen kurz LAG FILM genannt) einen langen Brief, den man mit folgendem Anschreiben einleitete:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir Kieler Filmemacher sind der Ansicht, dass eine sinnvolle Super-8-Filmarbeit in Schleswig-Holstein auch eines entsprechenden Vertriebs der Filmproduktion bedarf. Daher haben wir das beiliegende Konzept für eine Filmtournee durch Schleswig-Holstein entworfen. Diese Filmtournee wollen wir im Frühjahr 1986 durchführen. Wir bitten die LAG für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung, in unserem Sinne die zur Realisierung nötigen Finanzmittel beim Kultusministerium als Vertriebsförderung zu beantragen.“
Es folgte ein auf fünf Din-A4-Seiten eng beschriebenes Konzept einschließlich einer Kalkulation. Gedacht war daran, dass jeweils zwei Filmemacher ein ca. 90-minütiges Programm aus dem vorhandenen Filmpool zusammenstellen und dieses mit Tournee eigenem Equipment am jeweiligen Veranstaltungsort vorführen und moderieren sollten. Dafür sollte eine Filmmiete von 135 DM verlangt werden, die dann unter den Machern der jeweils gezeigten Filme (1,50 DM pro Filmminute) aufzuteilen wäre. Die beiden Filmemacher vor Ort bekämen aus den Fördermitteln jeweils 100 DM Honorar. Jeder der an der Tournee beteiligten Filmer könnte eigene Veranstaltungen einwerben und dann auch durchführen.
Die Vertriebsförderung für die Filmtournee UNTERWEGS wurde sehr schnell bewilligt. Mit Slogans wie „Filme mit Großer Klappe“, „Die erste Tournee einer neuen unabhängigen Filmkultur“ und „Lieber ein schmales Format als ein schmales Konzept“ machte man auf sich aufmerksam und hatte in dieser vordigitalen Zeit großen Erfolg. Statt der ursprünglich 15 geplanten Veranstaltungen wurden es 1986 über 60, und in den ersten vier Jahren über 200. Neben Schulen, Universitäten, alternativen Kinos, Kommunikationszentren zeigte man die Filme an vielen anderen Orten auch über Schleswig-Holstein hinaus, auf Festivals, in Altenheimen, ja sogar vor Taubstummen und im Jugendgefängnis.
Kennzeichnend dabei war, dass man die technischen und daraus erwachsenden ästhetischen Beschränktheiten von Super-8 produktiv für sich nutzbar machte. Die damaligen Kurzfilme wollten und konnten nicht das große Kino im Kleinen kopieren. Anders als heute waren unter den damaligen Formaten kaum kleine Spielfilme, die sich am Kinofilm orientierten. Vielmehr suchte man andere Formen und Inhalte, spielte viel mit gesellschaftskritischen Themen, experimentierte und erreichte oft auch mit einfachen Mittel eine überraschende Nähe zur Lebenswirklichkeit eines meist jüngeren Publikums. Man ging eben mit „anderen“ Filmen auf die Zuschauer zu.
Entsprechend dieser alternativen filmischen Hinwendung zu den Adressaten war auch die Filmtournee UNTERWEGS ausgerichtet. Man suchte und fand erfolgreich sein meist jugendliches Publikum. „Wenn die Leute nicht ins Kino zu kriegen sind, schon gar nicht in Super-8-Vorstellungen, müssen sie am üblichen Kommunikationsort aufgesucht werden. Und da ist Super-8-Film und Super-8-Vorführtechnik unschlagbar: sie sind beweglich. Das Programm wird auf die jeweilige Spielstätte abgestimmt, die ihrerseits die Zielgruppe bestimmt. Die Kinomaßstäbe haben als Kriterium ausgedient, und auf einmal funktioniert es. Das Publikum ist erreicht, und wenn es nicht aus Kinogängern besteht, dann um so besser für den Film„, schrieb Dietrich Kuhlbrodt über UNTERWEGS in der Frankfurter Rundschau (am 15.2.1986).
Und heute? – Immer noch, seit nunmehr 30 Jahren, natürlich nicht mehr mit 8mm-Filmen, geht UNTERWGS jedes Jahr mit Neuem aus Schleswig-Holstein in Schleswig-Holstein auf Tour. Und so heißt es bei UNTERWEGS ganz im Tenor der ursprünglichen Motive: „Unser Ziel ist es, eine breite Öffentlichkeit auch jenseits der großen Städte für das hiesige Filmschaffen zu begeistern und den Kontakt zwischen Filmemachern und Publikum zu ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt auf der Verbreitung von Kurzfilmen – Filme von Amateuren, Studierenden und Professionellen gehören ebenso dazu wie souverän gemachte Schulproduktionen.“ Als lese man das Angebot von vor 30 Jahren, heißt es weiter: „Wir verleihen Kurzfilmprogramme an Kinos, Schulen, Vereine, Veranstaltungsstätten etc. überall in Schleswig-Holstein. Wir organisieren die Moderation und Begleitung der Programme durch Filmemacher und Filmemacherinnen.“
Zusammengestellt und vertrieben werden jedes Jahr zwei aktuelle Filmprogramme: „Die Kurzfilmrolle“ zeigt neue Produktionen aus Schleswig-Holstein, d.h. die Filmteams kommen aus Schleswig-Holstein, und/oder die Filmprojekte sind in Schleswig-Holstein realisiert worden, und/oder die Filme sind mit Unterstützung des Landesverbandes Jugend & Film Schleswig-Holstein, der Filmwerkstatt Kiel oder der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) entstanden. Die Scheersbergrolle zeigt die Siegerfilme des Jugend-Film-Preises, der jedes Jahr vom Landesverband Jugend & Film Schleswig-Holstein ausgelobt und auf dem Scheersberg bei Flensburg verliehen wird.(Helmut Schulzeck)
Mehr Informationen finden sich unter: www.filmtournee-unterwegs.de. Die nächsten Unterwegs-Veranstaltungen sind am 11.2.2016, 20 Uhr im Luna Club in der Kieler Bergstraße, am 16.2.2016, 20.30 Uhr im Hansafilmpalast in der Hansastr. 48 in Kiel und am 19.2.2016, 20 Uhr in der VHS Preetz, in der Pausenhalle der Pestalozzischule, Kirchenstr. 31.