Poetisch gewollt, filmisch prätentiös
„Valerie“ (Josef Rusnak, D 2010)
Zunächst zu einem grundsätzlichen Problem: Der Monolog im Film. Genauer: Ein literarischer Text wird in die Kamera gesprochen und soll in dieser Form direkte Ansprache sein. Dieser Text wird so gut wie nie lebendige, gesprochene, im Moment erfundene Sprache sein. Das Problem entsteht, wenn der Film den Eindruck erwecken will, es sei eben doch authentisch gesprochene Sprache. Das wirkt leicht albern oder prätentiös. Dabei könnte doch gerade die Künstlichkeit eine ästhetische Herausforderung sein. Diese Chance vertut „Valerie“ in vollem Umfang.
Valerie ist die Freundin eines im Koma liegenden Mannes. Sie ist Architektin in Los Angeles, lebt und liebt aber jetzt in Berlin. Ihre Existenz in LA ist sie im Begriff aufzulösen. Sie hat sich entschieden: Dieser Mann wird ihr letzter sein. Ihn will sie endgültig lieben. Und dieses Bekenntnis soll ihn retten. Also spricht sie in die Kamera. Über ihr Leben, ihre Männer – die, die da waren, und die, „die noch kommen wollten“. So entsteht ein Film, der dem leblosen Geliebten täglich vorgeführt werden soll. Und mit dem so entstehenden Monolog setzt das beschriebene Problem ein.
Ist diese Idee noch nicht prätentiös genug – der Film ist es. Permanent erfindet Regisseur Josef Rusnak Situationen, die eine Lockerheit und Natürlichkeit der Sprache unterstützen sollen. Im schlimmsten Fall werden daraus kleine Stilblüten. So nimmt die Kamera Valerie aus dem Kühlschrank heraus auf. Wenn sie mit glückssatter Stimme auf einen Eisbecher schaut, fehlt nur der eingeblendete Markenname zum Werbespot. Als Literatur kann man sich die Texte gut vorstellen, als Monolog verflachen sie. Das wird offenbar an dem Text, der dem Film vorangeht. Darin geht es um tiefste Begegnungen mit oberflächlichen Personen. Dieser Text ist am Anfang zu lesen, später wird er noch einmal ausgesprochen. Entschieden zu seinem Nachteil. Es hat keinen Assoziationsraum mehr, sondern klingt eindimensional, fast arrogant.
Am selben Tag hat der Rezensent den rumänischen Film „Tuesday, After Christmas“ gesehen. Dort sagt die Ehefrau zu ihrem Mann, der ihr gerade ein Verhältnis gestanden hat: „Du bist die größte Enttäuschung meines Lebens.“ Ein einfacher, erschütternder Satz. Dagegen in „Valerie“: „Ich hatte Angst, dass du meine große Enttäuschung bist.“ In dem Lifestyle-Ambiente des Films wirkt dieses Bekenntnis harmlos und aufgesetzt.
„Valerie“ weist über die beteiligten Personen hinaus in viele Richtungen. Das Projekt basiert auf dem Roman „Kleine Lichter“ von Roger Willemsen. Der Regisseur Josef Rusnak hat Schimanskis Rückkehr aus dem Fernsehruhestand gedreht und auch schon Wesley Snipes durch US-B-Action geleitet. Franka Potente war in den 90ern eines der frischesten Gesichter des komödienverkrusteten deutschen Film. Und Kameramann Benedict Neuenfels zeichnet für einige der aufregendsten visuellen Experimente des vergangenen Jahrzehnts verantwortlich. Das hat Potenzial, könnte wild und verspielt sein. Aber der Film setzt auf eine nur selten durchbrochene Eins-zu-Eins-Bebilderung. Die experimentelle Bildgestaltung bleibt äußerlich.
„Sie leckte sich die Lippen wie eine Hure in einem schlechten Film“, sagt Valerie einmal. Es ist ohnehin eine merkwürdige Sitte, Handlungen als Elemente eines schlechten Films oder Buches zu definieren. Merke: In guten Filmen lecken sich die Huren nicht die Lippen, jedenfalls nicht so. Für „Valerie“ gilt daher darüber hinaus: Wer im Glashaus sitzt … (Sven Sonne)
„Valerie“, D 2010, 83 Min., Regie: Josef Rusnak.