46. Nordische Filmtage Lübeck
Animationitis knetgegummit bis surreal
Ein Blick auf die Kurzfilmnacht des Filmforums Schleswig-Holstein
Bauklötze könnte man staunen, wenn Marc Hermann „Missouri – Let’s Get Married“ animiert. Zu den independent-rockigen Klängen des Songs der Hamburger Band, der von unerwiederter, aber umso heftiger umworbener Liebe erzählt, hat Hermann ein VIVA-taugliches Musikvideo am Computer erzeugt. Anders aber als bei seinem Animationsfilm „Kicker“, einer ironisch witzigen Schau auf den mikrokosmischen Fußballplatz eines Kickertisches, bleiben die Bilder bei „Missouri“ häufig in der Freude an den animatorischen Möglichkeiten stecken. Einzig das Bild am Ende, wo der Protagonist der Liebsten eine Kirche aus Bauklötzen als Liebesbeweis gebaut hat, kann wirklich überzeugen.
Auch bei „Marundes Landleben“, einer Knetgummi-Animation der bekannten Cartoons von Wolf Rüdiger Marunde, kommt die Schaufreude am Effekt vor der Geschichte. Amüsant, aber eben nicht mehr ist die trickreiche Umsetzung der Cartoons durch das Studio „TRIKK 17“, Sandra Schiessl, Björn Magsig und Sören Wendt. Und weil das so ist, gibt es auch schon Ausstrahlungstermine im NDR-Nachtprogramm.
Und nochmal Knetgummi in Bewegung, diesmal auf der „Werner“-Schiene. Wie Comiczeichner Brösls ur-Kieler Held sind auch die Helden in Jörg Weidners „Das Wurstpferd“ vor allem an Bier und anderen Prollitäten à la „Schade, dass man Bier nicht ficken kann“ interessiert. „Die Schäbigkeit und Trostlosigkeit der menschlichen Existenz“ solle das zeigen, verrät Jörg Weidner allen Ernstes im Gespräch nach dem Film. Dagegen setzt er die surrealen Traumwelten, durch die ein mit Würsten geflügeltes Pferd segelt, halb Engelsgestalt, halb niedliches Tierchen. An der Unverbundenheit dieser beiden Welten krankt auch der Film, indem er sie wenig nachvollziehbar zu verbinden sucht. Und wenn der Filmemacher dann auch noch seinen Weltschmerz an den „Billig-Bier trinkenden Pennern vor dem Penny-Markt“ zum Besten gibt, wird aus der Enttäuschung an der ins Leere laufenden, gleichwohl äußerst geschickt gemachten Animation eine kleine Wut über so viel Stamm- statt Schneidetisch-Ideologie.
Krude ist auch die Story, die hinter den im Playmobil-Outfit steckenden Figuren in Pierre Dietz‘ „Snowball“ steckt. Zu den surrend gesummten Klängen des „Creole Love Calls“ von den Commedian Harmonists entfaltet sich die Geschichte eines Möchtegern-Stars, der seine Konkurrenten bei der „Casting-Show“ buchstäblich auszustechen sucht, nur schleppend und letztendlich rätselhaft. Was haben die Commedian Harmonists, was deren Lied, das Dietz zu dem Film anregte, mit dieser Handlung zu tun? Eine Schneeballeffekthascherei, die nicht so recht ins Rollen kommt.
„Eines der schlechtesten Kurzfilmprogramme seit Jahren“, war nach der Kurzfilmnacht aus dem Mund nicht nur eines Zuschauers als Resümee zu hören. Lag es an der technikverliebten aber nicht für Geschichten taugenden Animationitis? Ein gutes Tool macht noch keinen guten Film. Diesen Eindruck hat man zunächst auch bei Britt Dunses Origami-Animation „Norden“. Doch Dunse, die laut Gespräch nach dem Film auch keine Geschichte erzählen, sondern „Stimmungen bebildern“ will, verliert sich als einzige der in der Kurzfilmnacht gezeigten Animationisten nicht im technischen Detail. Das Surreale, das dem Medium Animationsfilm tendenziell innewohnt, ist bei ihr nicht nur Mittel, sondern auch Inhalt. Ein Paar schwebt technisch wie buchstäblich „freigestellt“ durch eine papierene Welt aus Origami-Figuren und collagierten Found-Footage-Fragmenten von Post-It’s und Konfetti. Ein Film, auf den man sich einlassen muss, der einen nicht anspringt, aber vielleicht gerade deshalb in seinen verseelten Bilderwelten nachwirkt. Der Jury war das den ComLine-Kurzfilmpreis wert.
Doch nicht nur computererzeugte Bilder gab es in der Kurzfilmnacht zu sehen. „The Day Winstonm Ngakambe Came to Kiel“ von Jasper Ahrens, „Lebensgeister“ von Jörn Staeger, das Doku-Porträt „Harry Piel – Der Entfesselte“ von Gerald Koll und der Festivalabräumer und erster „Animationsfilm ohne Animation“ „Tödliche Roman(z)e“ von Gerald Grote, Karsten Weyershausen und Claus Oppermann wurden schon an anderer Stelle in infomedia-sh.de besprochen und hier wiedergesehen. Bleibt zu berichten von einer kleinen 6-Minuten-Impression von Juha Daniel Hansen. „The House Where Nobody Lives“ ist ein eher fotografisches als filmisches Fundstück der Handkamera in der finnischen Provinz Karelien. Zwar verlassen zeigt sich die Ruine eines Hauses im Wald dennoch als belebt mit Fundstücken ihres ehemaligen Bewohners. Fotos zeigen ihn vor dem Haus, das jetzt dem Verfall entgegendämmert.
Ein biografisch-archäologischer Ort, der sicher zu mehr als dieser Impression getaugt hätte, vielleicht zu Nachforschungen über die Geschichte seines ehemaligen Bewohners. So wirkt der Film eher wie eine Vorstudie, Materialsammlung für noch zu Drehendes. Film, gerade der Kurzfilm braucht eben Geschichten, nicht nur beschwenkte Stills und animierte Kunstwelten. (jm)