„Das Thema muss mich aufregen“
Interview mit Dokumentarfilmerin Antje Hubert anlässlich der Verleihung des Förderpreises des schleswig-holsteinischen Kunstpreises
Am 17. September hat die Dokumentarfilmerin Antje Hubert aus Kiel den Förderpreis des schleswig-holsteinischen Kunstpreises (dotiert mit 5.000 Euro) von Ministerpräsidentin Heide Simonis in Lübeck verliehen bekommen. Die Laudatio, die auch in dieser Ausgabe von infomedia-sh.aktuell zu lesen ist, hielt Filmemacher Lars Büchel, der diesen Preis selbst auch schon erhalten hat. Aus diesem Anlass hier jetzt ein Interview mit der Filmemacherin, das Büchels Lobrede in gewissem Sinne ergänzt.
Antje, herzlichen Glückwunsch zum Förderpreis. Bedeutet das Filmen für dich immer noch zu lernen?
Ja, auf jeden Fall. Doch ich hab’ jetzt das Gefühl, dass ich irgendwo angekommen bin, dass ich weiß, wie ich etwas zu machen habe. Man fängt ja sowieso immer wieder von vorne an, wenn man die Arbeit an einem neuen Film beginnt. Aber wenn ich dann wenigstens weiß, was mich erwartet, welches Handwerk ich brauche und dass ich mit einer gewissen Ruhe dem entgegensehen kann, dass ich nicht immer das bekomme, was ich zu glauben brauche, dann bin ich nun doch bei einem etwas entspannteren Arbeiten angekommen.
Hast du das Gefühl, dass Film mit der Verleihung des Förderpreises als „Kunstkategorie“ angemessen gewürdigt wird? Bis auf Detlef Buck ist Film ja bisher „nur“ mit Förderpreisen des Kunstpreises bedacht worden.
Also gut, diesen Kunstpreis hätte ich ja allemal noch nicht verdient, weil ich diesen Rang noch nicht habe. Aber dieser Preis ist ja nicht nur an die Kategorie „Film“, sondern an das Genre „Dokumentarfilm“ gegangen. Sicherlich gehört meine Geschichte dazu, dass ich aus der bildenden Kunst komme, dass ich selbst davor Experimentalfilm, Trickfilm „gemacht“ habe, also eine längere Geschichte davor habe. Dennoch. Was offensichtlich von der Preisjury wahrgenommen wurde, ist die Dokumentarfilmarbeit und dass das als Kunstform gewürdigt wird, das finde ich schon toll. Es zeigt und anerkennt, dass es hierzulande ein kreatives Potential gibt und dass dieses Genre auch eine Form ist, sich auszudrücken und zu gestalten. Und das ist ja durchaus nicht selbstverständlich.
Wie suchst du dir deine Themen?
Es gibt natürlich sehr viele Themen. Dass ich vieles nicht realisieren kann, liegt natürlich auch daran, dass ich für vieles keine Finanzierung finde und dass sich vieles dadurch zu lange hinziehen würde. Mein Thema muss mich aufregen. Die Themen, die mich am meisten aufregen, bleiben dann auch hängen – wo ich weiß, dass ich damit zwei Jahre durchaus leben kann. Ein Dokumentarfilm entsteht ja nicht in einem Monat, und dann kommt der nächste. Sondern du bist ja bisweilen über Jahre damit beschäftigt. Also bei „ad acta“ mit den Zwangssterilisierten und den Patientenmorden da bin ich bis heute noch nicht mit durch. Das ist etwas, was ich immer noch nicht verstehe und was mich immer noch wieder aufregt, wenn ich z.B. etwas darüber lese oder wenn ich den Film wieder sehe …
Es sind bei mir Themen, von denen sonst nicht so oft gesprochen wird, wie bei „ad acta“ oder wie bei „Jetzt fahr’n wir übern See“. Es sind Themen, die so am Rande wahrgenommen werden, wenn überhaupt. Meine Protagonisten sind schon Leute, die sonst kaum Gehör finden, die ein großes Anliegen haben und sich mit etwas abarbeiten …, die versuchen ein Leben zu leben, dass sie glücklich macht. Entsprechend viele Steine werden ihnen in den Weg gelegt. Ich finde es schon spannend, zu schauen, wie sie damit klarkommen und wo sie hin wollen. Ich will solchen Leuten Gehör verschaffen.
Was ist für dich das besondere beim Dokumentarfilm Machen?
Ich überleg’ mir manchmal: ist es denn wirklich das Thema oder ist es nicht auch ’ne Art und Weise, wie man erzählen möchte. Und da sind wir ja auch als Dokumentarfilmer gefragt, also dass man nicht einfach ein Thema aufgreift und es behandelt …, das interessiert mich weniger; ich will ja kein Thema behandeln, sondern ich möchte eine Geschichte erzählen. Und ich möchte für die Geschichte auch eine Form finden, die schon eine eigene gestalterische Einheit hat und auch dem Medium Film gerecht wird.
Du meinst sicherlich auch eine dem Inhalt adäquate Form?
Ich würde mich jetzt nie von vorne hinein auf eine feste Form festlegen. Also sagen: ich mach jetzt nur „direct cinema“ und z. B. nur Filme wie Fechner. Ich würde es zwar schon viel stärker in meine Arbeit einbinden wollen, nach einer aufregenden Form zu suchen, wo das Publikum durch die Bildsprache und die formale Gestaltung fasziniert wird. Aber das wichtigste bleiben für mich – da kann man mich auch nicht von abbringen – meine Protagonisten; dass sie den Raum haben, den sie verdienen, und dass sie sich da auch entfalten können.
Du machst keine direct camera.
Nein, dass hatte ich mir ja erst vorgenommen für den Film „Jetzt fahr’n wir übern See“. Aber dann hab’ ich angefangen, mit diesen Frauen zu sprechen, und es war so wunderbar, weil das für die Frauen ja auch etwas ganz besonderes war. Es ist ja nicht so, dass sie jeden Tag über sich selber nachdenken, sich öffnen und etwas erzählen. Das war ja eine Entdeckung. Und in dem Moment war für mich klar: das kann man keinem vorenthalten. Es war einfach klasse, wie die sich vor der Kamera entfaltet haben, plötzlich über sich selber nachgedacht haben und Sachen gesagt haben, die z. T. ihre Betreuerinnen gar nicht wussten.
Zu etwas ganz anderem. Du hast ja in deinen Dankesworten in Lübeck auf die Filmszene in Schleswig-Holstein hingewiesen und dass wir Filmer auf das System der guten Vernetzung hierzulande sehr angewiesen sind.
Zum Glück ist das hier so gut vernetzt, ohne dieses Netz könnten wir hier kaum etwas machen. Ohne diese Basisstrukturen hätte ich überhaupt nicht anfangen können etwas zu machen. Wenn 1989 die Kulturelle Filmförderung nicht gegründet worden wäre, wäre ich nicht einmal dazu gekommen, in meinen Examen an der Muthesius-Schule einen Film zu machen. Schon damals habe ich die Filmwerkstatt gebraucht, um überhaupt technisch das zu machen, was ich machen wollte. Wenn damals die Strukturen nicht aufgebaut worden wären, dann säßen wir alle hier nicht, würden Filme machen und uns Filmemacher nennen.
Es ist ja nicht so, dass wir nur auf Fördergelder angewiesen sind, sondern auch auf Leute, die uns unterstützen, die uns nicht nur technisch ausrüsten, sondern auch inhaltlich und produktionstechnisch beraten, Kontakte herstellen u.s.w. Das Schwierige bei Film ist ja auch, dass man eine lange Zeit mit seinem Stoff beschäftigt ist und zuerst daran ganz allein glauben muss. Du musst dann andere davon überzeugen, dass das gut ist, was du machen willst. Und wenn du dann ein Netz von Leuten hast, die sich damit auseinandersetzen, die dir etwas dazu sagen, die damit Erfahrung haben, die das kritisieren, im Guten wie im Schlechten, hilft das ungemein. Weil du dann auch das Gefühl bekommst, mit deinem Projekt ernst genommen zu werden. Das ist ja das erste Publikum, was du hast.
Ja, du brauchst ja praktisch ein feed back. Sonst geht es gar nicht.
Ja. Und das hat sich mit der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein ganz wunderbar entwickelt. Auch dadurch, dass dann Leute hier geblieben sind und nicht weggegangen sind. Oder sogar hierher gekommen sind und in Schleswig-Holstein arbeiten wollen. Und wenn wir diese Strukturen nicht hätten, dann könnten wir hier alle einpacken. Und dann würden mir meine 5.000 Euro Förderpreisgeld auch nichts nützen, dann könnte ich meine Filme in Schleswig-Holstein nicht weiter verwirklichen.
(Interview: Helmut Schulzeck)