Zinnini Elkington inszeniert ihr Langfilmregiedebüt als emotional packendes Drama um Schuld und die Furcht davor, Verantwortung für eigene Taten zu übernehmen. Handlungsort von „Second Victims“ ist ein dänisches Krankenhaus, in dem Personalmangel und in der Folge Stress und Überlastung der Arbeitenden im Mittelpunkt stehen.

Inhalt

Neurologin Alex (Özlem Saglanmak) ist zuverlässig, kompetent und resilient – alles Voraussetzungen, um im Klinikalltag als Ärztin bestehen zu können. An diesem Tag beginnt eine neue Assistenzärztin (Mathilde Arcel F.) ihren Dienst auf der neurologischen Station. Alex muss sie einarbeiten und sich um die unsichere Frau kümmern, die fürchtet, einen Fehler zu machen. Sowohl für die Einarbeitung als auch für emotionalen Beistand sind keine Zeitkontingente vorgesehen. Bereits in der Morgenrunde der Station wird klar: Überall fehlt es an Personal. Da sich sonst niemand der Aufgabe annimmt, übernimmt Alex zusätzlich zu ihren Patienten und der Betreuung der Assistenzärztin noch für einige Stunden den Telefondienst auf der Station.

Nach diesem ruhig inszenierten Beginn nimmt der Film sein Publikum mit in Alex Arbeitsalltag. Stressfaktoren sind zahlreich, vom dementen Patienten über ungeduldige Angehörige bis hin zur Notfallversorgung. Alex ist stets um Professionalität bemüht, so sehr, dass sie ihre Emotionen tief in sich vergraben hat und an deren Stelle eine zuweilen rechthaberische Kompetenz getreten ist. Immer wieder weist sie die Assistenzärztin darauf hin, dass man für die Patienten und Angehörigen stark sein müsse, dass es kein Raum für Emotionalität sei. Regisseurin Zinnini Elkington gelingt dabei das Kunststück, einer zunächst sympathischen Figur erste unsympathische Züge zu verleihen, die im Voranschreiten des Werkes intensiviert werden. Aufgrund von Zeit- und Kostendruck unterläuft Alex eine fatale Fehleinschätzung.

Konsequenz oder Flucht?

Second Victims“ ist ein intensives Charakterdrama, bei dem der Chirurg Esben (Olaf Johannessen) zeitweilig zum Gegenspieler von Alex wird. Es entsteht ein Spannungsfeld, in dem niemand die Verantwortung für den Fehler übernehmen möchte. Alex beginnt eine Exit-Strategie für sich zu entwickeln, die jedoch einen anderen Schuldigen voraussetzt. Getrieben von unhaltbaren Versprechungen gegenüber den Angehörigen und von Schuld geplagt verstrickt sich Alex immer tiefer in einen inneren Konflikt.

Die Kamera ist immer am Geschehen, doch lässt den Figuren Raum, um die Bühne zu bespielen. Derart wechseln sich schnellere Passagen, wie etwa das Ablaufen der Patient*innen auf der Station, mit ruhigen ab, in denen mindestens eine der Figuren oftmals spürbar leidet. Hier wird ein fiktionales Bild einer Klinik inszeniert, deren Mitarbeitende über ihre Grenzen belastet werden. Zwischen den Ärzten entstehen Konflikte und ein weiteres Spannungsfeld zwischen dem Klinikpersonal und den Eltern  Patienten sorgt für zusätzliche Komplexität.

Im Kern ist „Second Victims“ ein Thriller, der indirekt eine Überlastung des Gesundheitsversorgungssystems thematisiert. Anders als beispielsweise in „Heldin“ (Regie: Petra Biondina Volpe, 2025, D) wird hier großer Wert auf eine dramaturgische Zuspitzung des Konfliktes gelegt, der zwar Überlastung als Ursache, aber nicht als Movens des Konflikts inszeniert. „Second Victims“ funktioniert dadurch ebenfalls als figurenzentrisches Spannungskino. Die Auflösung der Konflikte ist konsequent, lässt das Werk aber noch eine ganze Weile nachhallen.

Fazit

Das Langfilmdebüt von Zinnini Elkington ist eine intensive Tragödie. Eindringlich und mit viel Fingerspitzengefühl erzählt „Second Victims“ von Konflikten innerhalb eines Krankenhausalltags, schafft dabei jedoch Raum für Spannung, Reflexion und Katharsis – sowohl für die Protagonistin als auch für das Publikum. Sehr sehenswert.

Seine Deutschlandpremiere feierte das Werk auf dem Filmfest Hamburg 2025 und wurde dort mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet. „Second Victims“ läuft im Wettbewerb der 67. Nordischen Filmtage in Lübeck zu sehen (auch im Streaming-Angebot https://online.nordische-filmtage.de/de/movies/31034 (vom 05.11.25 19 Uhr bis zum Ende des Festivals)). Bei den 67. Nordischen Filmtagen Lübeck gewann der Film den Hauptpreis, den NDR-Filmpreis.

Trailer

 

Filminformationen

Second Victims“ (OT: „Det Andet Offer“)
DK 2025, 92 Min.
Regie: Zinnini Elkington
Drehbuch: Zinnini Elkington
Besetzung: Özlem Saglanmak (Alex), Trine Dyrholm (Camilla), Mathilde Arcel (Emile), Olaf Johannessen (Esben)
Produzent*innen: Johannes Rothaus Nørregaard, Meta Film (https://metafilm.dk/)
Vertrieb: ReInvent Studios (www.reinvent.dk)
Filmstills: © DFI
Plakat: © DFI
Sichtung: Filmfest Hamburg 2025

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