Lars Büchels „Erbsen auf halb 6“ – Ein Film außerhalb des Normalen

Mit „Erbsen auf halb 6“ glückt dem Kieler Lars Büchel, dessen filmische Anfänge mit Hilfe der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein gelangen (das Drehbuch von Ruth Toma und Büchel erhielt eine Förderung von der MSH), wieder ein Film außerhalb des „Normalen“ im deutschen Film. Die Welt zweier Blinder, erzählt in wunderschönen Bildern. Eine poetische Liebesgeschichte entführt ihre Figuren in ein Schicksal zwischen Tragikomik und surrealem Märchen.

Ein junger Theater-Regisseur, Jakob (Hilmir Snær Gudnason), fährt nach den Proben zu einem neuen Stück mit seinem alten Käfer durch den strömenden Regen. Sie, Lilly (Fritzi Haberlandt), eine von Geburt an blinde junge Frau, geht zum Absprung vom 10-Meter-Turm in einem Schwimmbad. Die Kamera springt in Parallelmontage hin und her. Während sich Jakob bei schlechter Sicht, durch den Zigarettenanzünder im Auto abgelenkt, seinen schicksalhaften Unfall nähert (man ahnt es schon), ertastet Lilly ganz langsam mit den Zehenspitzen den Rand, um ins Schwimmbecken zu springen. Er durchbricht mit dem VW alle Abgrenzungen, stürzt ins Elbe-Wasser, sie taucht ins kühle Nass, wie ein Fisch ins Wasser. Danach begreift Jakob erst ganz allmählich, dass seine erlittene Blindheit endgültig ist. Er reagiert mit Wut und Verzweiflung, versucht einen Selbstmord, der nicht gelingt, weil er nicht sehen kann. Ein Sprung vom Hochhaus auf eine nur wenig darunter liegende Terrassenetage, mitten auf die Kaffeetafel älterer Damen. Tragikomisch diese Szene wie so viele in diesem Film, die die Handlung aber nie aus ihrer poetischen Balance bringen.

Fritzi Haberlandt (Lilly) und Hilmir Snær Gudnason (Jakob)

Jakob bricht mit seiner Freundin und dem Theater, das den blinden Regisseur bei der Premiere seines letzten Stückes triumphal feiern will. Lilly, wunderbar echt und glaubwürdig von Fritzi Haberlandt verkörpert, kommt von einem Rehabilitationszentrum und will dem neublinden „Augenmenschen“ wieder ins Leben helfen. Doch dieser stapft jähzornig in die Welt hinaus, vom Wunsch beseelt, trotz allem seine todkranke Mutter im fernen Russland noch einmal zu sehen. Lilly folgt ihm. Schon jetzt scheinen beide unausweichlich zusammen zu gehören, auch wenn sie es nur ahnen. Sie erklären einander ihre Welten, manchmal mehr durch Taten als durch Worte. Und der Film wird zu einer mit allen Hindernissen gespickten Reise der beiden Liebenden zueinander.

Im Titelvorspann sieht man Regentropfen zeitlupenhaft, grafisch überhöht ins Wasser fallen. Regisseur Büchel und Kamerafrau Judith Kaufmann (eine Klasse für sich) spielen viel mit dem Motiv Wasser. Regen am Anfang und am Ende bindet die Geschichte zusammen. Bisweilen kein Roadmovie, wie die Presse in ihren Besprechungen suggeriert, sondern ein Railroad- und Boatmovie. Die Ostsee wird von den Protagonisten überquert, von Rügen bis in den Finnischen Meerbusen hinein. Gegen Ende spielt eine wichtige Szene am der Strand des Weißen Meeres (das die dänische Nordsee als Drehort nicht verleugnen kann) im russischen Norden, der auch zwischen drin immer mal wieder Schauplatz ist. Wo das Wasser nicht vorkommt, da herrscht landschaftlich gesehen über weite Strecken wüste, trockene Einöde in östlichen Variationen, wunderbar in der Braunkohlenbrache des deutschen Ostens in Szene gesetzt.

Wer Büchels Schaffen kennt, wird etliche Bild- und Handlungsmotive aus seinen früheren Filmen wiederentdecken. Ob die Liebe zu blühenden Landschaften – hier die wunderbare Szene durch den gelben Raps, zwei Liebende schreiben ihre Sehnsucht in ein Feld ein, das Feiern am windigen Strand, die mitunter drastische, ja absurde Komik. Das alles ist auch schon in seinen früheren Filmen „Triumph der Spiels“ (1991), „4 Geschichten über 5 Tote“ (1997) und „Jetzt oder nie“ (2000) zu finden. Zu beobachten ist die Suche nach einer eigenen Handschrift, die noch nicht zu Ende ist. (Helmut Schulzeck)

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