65. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2015
Essayistische Spurensuche
„Sag mir Mnemosyne“ (Lisa Sperling, D 2015)
Was tun, wenn der verstorbene Großonkel die Leidenschaft für das Medium Filmt teilte, aber man das erst posthum realisiert? Möglicherweise hat diese vergeben Chance die Hamburger HfbK-Master-Studentin Lisa Sperling erst animiert, sich auf eine ungewöhnliche Spurensuche nach dem 2009 verstorbenen Kameramann Karl-Heinz Hummel zu begeben. Das spärliche Archivmaterial machte ein visuelles Portrait schwierig, aber setzte vielleicht die befreiende Regel, für den Essay-Film „Sag mir Mnemosyne“ auf privates Archivmaterial komplett zu verzichten. So entsteht vor dem Auge des geneigten Betrachters ein Bilderbogen dessen, was wohl auch Karl-Heinz Hummel gesehen und ihn bewegt haben mag.
Lisa Sperling begibt sich mit ihrem Kameramann und Editor Florian Kläger von Hamburg nach Griechenland, wo Hummel nicht nur lange lebte, sondern vielleicht auch seine kreativste Schaffensphase im Film hatte. Zwischen Anfang der 60er und Mitte 70er Jahre war Hummel als Kameramann an vielen Kurz- und Spielfilmen der griechischen Nouvelle Vague beteiligt, darunter „Das Gesicht der Medusa“ (Nikos Koundouros, GR 1967) und „Fluch der Rache“ (Nikos Foskolos, GR 1968). Nebenher produzierte Hummel auch eigene Dokumentarfilme. Später, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, beteiligte er sich als Berater am Aufbau eines der ersten Filmstudios.
„Sag mir Mnemosyne“ arbeitet mit assoziativen Montagen: Kameraarbeiten Hummels, meist aus griechischen Filmarchiven, werden statische, lange Einstellungen von den Drehorten in der Jetztzeit gegenübergestellt. Lange bleiben die Bilder stehen, eine kontemplative Ruhe entsteht auf der Leinwand. Aus dem Off kommentiert eine junge Frau, gibt mit unbewegter Stimme die wenigen Erinnerungen von Freunden und Bekannten wieder. Sperling versucht nicht, den Verstorbenen wieder lebendig erscheinen zu lassen, sondern eine Textur der Erinnerung aus Bildern, Orten, Geräuschen und wenigen Sätze zu weben.
Lisa Sperling geht es nicht um das Nachzeichnen eines Lebenslaufes, sondern um die Frage, welche Erinnerungen, materiell oder immateriell, von einem Leben bleiben. Insbesondere von einem, das nicht von den Nachkommen durch das Archivieren von Artefakten und Dokumenten oder dem Nacherzählen von Erlebtem weitergetragen wird. Karl-Heinz Hummels Nachlass bestand aus ein paar Seiten Papier mit seiner Filmografie, nach der Entrümpelung seiner Sozialwohnung wurde er anonym beigesetzt. „Sag mir Mnemosyne“ korrigiert nicht das Vergessen um das Leben und Werk des Karl-Heinz Hummel, aber es setzt dem lebensmutigem Freigeist und experimentellem Kameramann ein würdiges, experimentelles Erinnerungsmal. (dakro)
„Sag mir Mnemosyne“ , Deutschland 2015, 55 Min., DCP, Farbe, Regie: Lisa Sperling, Kamera: Lisa Sperling, Florian Kläger, Schnitt: Florian Kläger, Sound Design: Tobias Adam, Ton: Tobias Adam, Produzentin: Lisa Sperling, Hamburg, Deutschland (lisa@neopankollektiv.de)