Nordische Filmtage Lübeck 2003
Jugend in Wirren
(Nói Albínói, IS 2002, 88 Min., 35 mm, Dagur Kári; Das Böse, S 2003, 93 Min., 35 mm, Mikael Håfström)
Skurril, diese Vokabel fällt dem Betrachter als erstes ein bei Dagur Káris Spielfilm-Debüt „Nói Albínói“. Der 17-jährige Nói will nur eines, weg aus der Beschränktheit der isländischen Provinz. Er stylt sich als Andersartiger, als Albino mit rasiertem Kopf und ohne Augenbrauen, er lebt in den Tag, mag keine Verantwortung für sich übernehmen. Und er verliebt sich in Íris, die Tochter des Buchhändlers des Kleinstädtchens, die an der Tankstelle jobbt. Auch sie will nichts als weg, das verbindet sie. Doch ewiger Schnee liegt über allen Träumen vom Abhauen, eingefangen in beeindruckenden Eis-Bildern, die die Seelenverfassung der Protagonisten widerspiegeln.
Der skandinavische Film weiß, wie man sowas macht, wie man Haltlosigkeit inszeniert und jugendliche Helden porträtiert, verschroben und doch so unbedingt sympathisch. Am Ende tilgt eine Lawine alle Spuren, eröffnet dem überlebenden Nói neue Chancen, er wird sie nicht nutzen.
Anders Erik in Mikael Håfströms „Das Böse“. Er verfällt zwar der Gewalt, die sein Stiefvater in ihn hineinprügelt, in einem Internat soll er sich bessern, wo die Mitschüler ihm das antun, was er nicht anders gewohnt ist. Am Ende aber löst lakonischer Humor die Erstarrung in Gewalt und Gegengewalt, eine Art Galgenhumor, mit dem der Held der Tragödie Komödiantisches abgewinnt, und ein Befreiungsschlag im besten Sinne des Wortes. An den Zögling Törless denkt man unwillkürlich bei diesem bedrückenden Spiel um Würde, die sich gegen Gewalt behaupten muss. Die Eindringlichkeit, mit der das geschildert wird, trug dem Film das Prädikat „schwedischer Film des Jahres“ ein.
Nicht zu unrecht, denn solche psychologisch fein gezeichneten Studien jugendlicher Wirrnis zeigen erneut das Potenzial des skandinavischen Films Außenseiter beispielhaft in Szene zu setzen. „Nói Albínói“ wie „Das Böse“ sind dafür bei den Nordischen Filmtagen Paradebeispiele, die die Verwerfungen des Jungseins als Symptom einer strukturell gewalttätigen Gesellschaft zeigen, aus der es – immer wieder Stoff für Filme – nur mühsam ein Entrinnen gibt.
(gls)