Der auf Festivals bereits mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm „Long Time no Techno“ von der Kieler Filmemacherin Eugenia Bakurin wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung Wiesbaden (FBW) mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet.

Filmplakat

 

Im Pressetext der FBW zum Prädikat heißt es:

Kinder, die zusammen Musik machen, Familien, die Kettenkarussell fahren. Eine Gruppe an Arbeitenden am Fließband, die dabei rhythmisch tanzt. Und dann auch noch Menschen, die mit Stofftieren spielen und so tun, als seien es echte Haustiere. Was etwas komisch klingt, war Teil eines sowjetischen Fernsehprogramms für Kinder in den 1970er und 1980er Jahren. Das Material stammt aus dem Archiv des Odessa Film Studios. Es war das erste im Russischen Reich gegründete Filmstudio. Es gehört noch heute zu den wichtigsten Kulturdenkmälern in der Ukraine. Und ist, wie so vieles andere, von der Zerstörung durch die russländische Armee bedroht.
Mit ihrem experimentellen Kurzdokumentarfilm gelingt der Filmemacherin Eugenia Bakurin etwas ganz Besonderes: In der Kombination der Archivbilder als Found Footage lässt sie eine Unbeschwertheit wiederauferstehen, die es nicht mehr gibt. Nicht nur weil die Zeiten vorbei sind, sondern weil gerade die aktuellen Ereignisse es völlig unwahrscheinlich machen, eine solche Unbeschwertheit noch einmal zu erleben.
Auf der Tonebene verbindet sich schwungvoller und mitreißenderTechno-Beat mit traditionell-folkloristischer Musik, für die der syrisch-palästinensische Musiker Momen Shaweesh verantwortlich zeichnet. Auf diese Weise schafft LONG TIME NO TECHNO unzählige Bedeutungsebenen, die allesamt die Themen Krieg, Zerstörung, Angst und Hoffnungslosigkeit behandeln. Und doch lassen sich die Menschen im Bild das Tanzen nicht nehmen. Genau dadurch lässt der Film auch Platz für Hoffnung. Auf dass das Tanzen irgendwann wieder möglich sein wird. Ein nicht nur ästhetisch hochinteressanter Kurzfilm.

Jury-Begründung Prädikat besonders wertvoll:

Der als experimenteller Dokumentarfilm bezeichnete LONG TIME NO TECHNO von Eugenia Bakurin hat der Jury – trotz und auch wegen gewisser Rätselhaftigkeit und großem Interpretationsspielraum – sehr gut gefallen.
Das verwendete 16mm- oder grobkörnige 35mm-Material stammt aus einem sowjetischen Filmstudio der 1970er und 1980er Jahre aus Odessa, wo in sowjetischer Zeit viele Filme entstanden. Aus diesem auch propagandistischen Material ergibt sich eine Fröhlichkeit, ein Gemeinschaftsgefühl in den einzelnen Sequenzen, bis hin zu einer Szene, in der Fließbandarbeit (vielleicht so wie hier verwendet ironisch gebrochen) in Tanz übergeht. So aus dem jeweiligen filmischen Kontexten geholt, ergibt sich eine gelungene, flirrende Mischung aus Surrealismus und Realismus.
Gleichzeitig ist die Kompilation der Szenen von einem eigenen akustischen Beat getragen, der orientalisch anmutet und so nicht wirklich zur kulturellen Herkunft der Bilder zu passen scheint. Aber es ist die Modernität dieses Wave-artigen Klangs der 1980er und die moderne Verwendung der Oud, die die gezeigte vergangene Epoche ins Heute holt, was insgesamt eine gelungene, spannungsreiche Zeitlosigkeit und Parabelhaftigkeit erzeugt.
Gerade die Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Filmes hat der Jury gut gefallen, weil sie eben nicht mit Oberflächlichkeit einher geht, was auch an der künstlerischen Komposition aus dem Rhythmus der Bilder und der unterlegten Musik liegt.
Das bei einem experimentellen Dokumentarfilm viele Fragen offenbleiben, erscheint der Jury hier eher angenehm. Und so sieht sie die Kombination aus ideologisch inszenierter Fröhlichkeit und heutiger Musik sowie die Idee, dass sich das ideologisch Idealisierte in der Ukraine erst postsowjetisch verwirklichen konnte, wie eine rückwärts blickende Utopie einiger weniger Jahre der Freiheit in Anbetracht des heutigen Krieges. Im Anschluss an eine spannende Diskussion entschied sich die Jury für das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.

(nach einer Pressemitteilung der FBW)

 

Titelfoto: Still aus „Long Time no Techno“
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