Drei Drehbücher konkurrierten in einer szenischen Lesung um den Drehbuchpreis SH 2021

30 Einreichungen gab es zum vom Verein Filmkultur SH bereits zum vierten Mal ausgeschriebenen Drehbuchpreis SH. Eine Vorjury hatte daraus drei Drehbücher für Kurzfilme von maximal 15 Minuten Länge (entspricht ca. 15 Drehbuchseiten) nominiert, die am 28. November 2021 im Kieler Studio Filmtheater in einer szenischen Lesung von den Sprecher*innen Björn Beton (Fettes Brot), Julia Fels, Makko Gebbert (Schauspiel Kiel), Barbara Krabbe, Liza Ohm (Liza&Kay, TKKG) und Oleksandra Zapolska vorgestellt wurden. Nachdem diese Lesung (Moderation: Horst Hoof) im letzten Jahr wegen der Pandemie „nur“ als Online-Podcast stattfinden konnte, kam jetzt das „Kopfkino wieder zurück ins Kino“.

Wobei letzteres insofern nicht ganz stimmt, als der besondere Reiz dieser Veranstaltung wie schon in den letzten beiden Jahren gerade darin bestand, dass noch nicht gedrehte Filme vor dem inneren Auge der Zuhörer*innen entstehen. Zudem ist allen drei nominierten Drehbüchern gemein, dass sie den Blick ins Innere ihrer Figuren richten – freilich ohne dass sich die Autor*innen miteinander abgesprochen hätten. Vielleicht aber funktionieren solche Geschichten besonders gut in diesem Format, wo sich die Augen ohnehin auf die inneren Bilder statt jene auf einer Leinwand richten.

So ist der „Höhlen-Ecki“ im gleichnamigen Drehbuch von Phoebe Ammon, die schon 2020 mit „Bombengranatenevents“ nominiert war und den Publikumspreis gewann, ein nach innen gekehrter Charakter. Er lebt als obdachloser Einsiedler in einer Höhle im Wald. Welches Schicksal ihn dorthin verschlagen hat, können wir nur erahnen – oder aus einer seiner wortkargen Lebensweisheiten heraushören. Irgendwie ist ihm das Steuer seiner Lebensfahrt entglitten, nicht aber die Empathie für Kinder wie die kleine Malou, die er rettet, als sie in den Bach fällt. Man wisse ja nie, „welches Kind in den Brunnen fällt“, kommentiert Ecki situationskomisch seine Hilfstat, und es wird klar, dass es in seinem Leben – seine Familie hat ihn vor die Tür gesetzt – manchen Sturz ins kalte Wasser gab. Und dennoch hat er den Mut nicht verloren, gerade weil Malou – bei ihren Eltern geriet der Kurs ebenso ins Schlingern – ihn und sich mit seinen eigenen Worten ermutigt: „Es ist dein Turn, du bestimmst den Kurs!“

Illustration: Elodie Hyvernage

Ein magisches inneres Geheimnis umweht auch das Mädchen Lotta in „Engelsglut“ vom Autor*innenduo Lea Kastner und Reinhold Hansen. Lotta kann nicht nur mit ihrem Hund, sondern mit Tieren überhaupt sprechen und besitzt die besondere Gabe der Telekinese, mittels derer sie bei einer Hexenverbrennung das Feuer des Scheiterhaufens verlöschen lässt. Das ist freilich ihrer Umgebung nicht geheuer und so muss sie, nachdem sie sich mit telekinetisch fliegenden Messern zu verteidigen suchte, begleitet von ihrem Hund fliehen. In dieser Geschichte, die mit Lottas Flucht ein ziemlich offenes Ende hat, stecke Langfilmpotenzial, wissen die Autor*innen, die sich von „Harry Potter“ und der Mystery-Serie „Stranger Things“ zu ihrem Drehbuch inspirieren ließen, dessen Realisation wohl einige aufwändige Special Effects benötigen würde.

Illustration: Anina Nelles und Ilka Grahl

Letzteres ist wohl auch mit ein Grund dafür, dass sich die Jury (Jana Klinge, Eibe Maleen Krebs, Sebastian Stuertz) bei der Vergabe des mit 1.000 Euro Anschubfinanzierung für die Realisation sowie Drehbuch- und Regie-Coaching dotierten DPSH 2021 für ein in sich geschlosseneres und damit leichter zu realisierendes Drehbuch entschied: „Die Augen der Kamera“ von Laura Potzuweit. Die Autorin, studierte Historikerin, hat sich von einer historischen Figur anregen lassen, der Kieler Fotografin Ottilie „Otti“ Zacharias (1906-1981), die besonders bekannt für ihre sensiblen Porträtfotos war. Potzuweit lässt sie im Fotostudio auf den Hobbyfotografen Veit treffen. Indem sie sich gegenseitig fotografieren, nähern sie sich – im Blick durch die Kamera – einander an und eine zarte Liebesgeschichte könnte sich entspinnen, nicht zuletzt eine zum Medium Foto und Film … oder wie es in der Jury-Begründung heißt:

Illustration: Lea Krenn

„Die Geschichte ist inspiriert von der historischen Figur Ottilie Zacharias, einer erfolgreichen Fotografin aus Kiel, die schon in den 1930er Jahren ihr erstes Fotoatelier eröffnete und ihre Karriere nach dem Krieg fortsetzen konnte. Der im Jahr 1953 angesiedelte Stoff greift ein leider nach wie vor aktuelles Thema auf: Die Protagonistin muss sich in einer Männerwelt behaupten, zudem in einem technischen Beruf, was grundsätzlich erzählenswert ist. Überzeugt haben uns dabei die feinen Zwischentöne, der Charme und nicht zuletzt die Umsetzbarkeit des Stoffes. Dadurch dass es sich um ein Kammerspiel handelt, ist der Aufwand trotz seines historischen Settings überschaubar und diese in den 1950er Jahren spielende Geschichte lässt sich ohne allzu großes Budget glaubhaft inszenieren. Auch tappt die Autorin nicht in die Falle, in zu kurzer Zeit eine zu große Entwicklung unterbringen zu wollen. Das Ende deutet den Beginn einer Liebesbeziehung lediglich an: Zwei Menschen finden über die gemeinsame Liebe zur Kunst zueinander. In einer Zeit, in der Fotografie noch nichts Alltägliches ist, sehen sich die beiden durch die Augen der Kamera. Der Akt des gegenseitigen Fotografierens wird hier mit viel Sinnlichkeit und Zärtlichkeit aufgeladen und stellt eine Intimität her, die im Smartphone-Zeitalter in Vergessenheit geraten ist. Man schaut gerne dabei zu, wie sich die Figuren näher kommen. Dieser Teil des Films funktioniert ohne viele Worte.“

Gewinnerin des Drehbuchpreises SH 2021, Laura Potzuweit (Foto: Andreas Diekötter)

Auch das Publikum war von diesem Drehbuch überzeugt – mit Stimmengleichheit zu „Höhlen-Ecki“ von Phoebe Ammon, die sich den Publikumspreis mit Laura Potzuweit teilte.

Teilten sich den Publikumspreis: Laura Potzuweit (rechts) und Phoebe Ammon (Mitte), hier mit Daniel Krönke (Vorstandsmitglied Filmkultur SH) (Foto: Andreas Diekötter)

Während der Stimmenauszählung für den Publikumspreis bewies die Veranstaltung, wie gut sie das Filmemachen in Schleswig-Holstein anregt und die kleine, aber höchst agile Szene vernetzt. 2019 hatte das Drehbuch „Tischmanieren“ der Geschwister Lin und Luka Peltzer den Publikumspreis gewonnen. Noch am selben Abend fand sich mit Johann Schultz und Merlin Slamanig sowie Produzent Olli Ott ein Team zusammen, welches das Drehbuch unter dem Titel „Tischrebellen“ verfilmt hat – mit Barbara Krabbe in der Hauptrolle, lobend erwähnt beim Filmfest SH 2021. Besser kann man den stringenten Weg von der Erzählidee bis zum fertigen Kurzfilm mit manchem humorigen Bildeffekt jetzt auf der Leinwand beim DPSH 2021 nicht demonstrieren.

 

Titelfoto: Die Trophäen des Drehbuchpreises SH 2021 (Foto: ögyr)
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