„Man wird Teil der Familie“
Gerald Grote und Oliver Boczek schauen mit Amateurfilmmaterial 80 Jahre zurück in eine Kieler Familiengeschichte
Der Kieler Zahnarzt Dr. Rudolf Schultz kaufte 1936, im Geburtsjahr seines zweiten Sohns Dieter, als einer der ersten Filmamateure eine 8mm-Kamera und filmte nicht nur seine Familie, sondern auch das Leben in Kiel und Umgebung von den 1930er bis in die frühen Nachkriegsjahre. Die Kieler Filmemacher Gerald Grote und Oliver Boczek machten daraus einen – sagen wir ruhig – Heimatfilm: „Ich habe KIEL zu erzählen“ feiert am Montag, 26.11.2018 Premiere im Kino in der Pumpe.
Dieter Schultz mit dem 8mm-Projektor beim Sichten des Filmmaterials. (Foto: Boczek/Grote)
Schon seit langem spürt Gerald Grote historischem Amateurfilmmaterial nach. Filme wie „8mm Kieler Woche“, „Schnee von gestern“ (über die Schneekatastrophe 1978/79) oder „Bis an die Grenze“ (über den Bau der Berliner Mauer) zeigen (große) Geschichte aus dem privaten Blick von Filmamateuren und bringen sie dem heutigen Betrachter aus der Ferne der Vergangenheiten ganz nah.
Bereits für „8mm Kieler Woche“ hatte Dr. Dieter Schultz Material beigetragen, das sein Vater Rudolf 1936 bei der Segel-Olympiade in Kiel aufgenommen hatte. Aber noch mehr Filmrollen (rund drei Stunden) lagerten in seinem Familienfilmarchiv, die er Grote zur Digitalisierung übergab. „Daraus machen wir einen neuen Film“, waren sich Grote und Oliver Boczek, sofort nach erster Sichtung klar: „Eine gefilmte Kindheit zwischen 1936 und 1949“, so der Untertitel.
Dieter Schultz mit der 8mm-Kamera seines Vaters. (Foto: Boczek/Grote)
„Über den ersten Film vom Baby (Dieter) waren alle restlos begeistert, als ich mein erstes ’Werk’ durch einen geliehenen Projektor wiedergab“, schreibt Rudolf Schultz in seinen Lebenserinnerungen, die im Film als Off-Text von Horst Stenzel gesprochen werden. „Allerdings merkte ich bald, dass viel Zeit und Kleinarbeit dazugehörte, einen richtig interessanten Film in der Endfassung vorzuführen.“
Baby Dieter bekommt ein Dreirad, Szene aus dem Film. (Foto: Rudolf Schultz)
„Schultz Senior hatte offenbar Ahnung vom Filmemachen“, sind sich Grote und Boczek einig. „Das Material, kaum geschnitten, denn Filmschnitt war damals für einen Amateur technisch recht schwierig, ist in der Abfolge der Einstellungen ganz und gar szenisch-filmisch gedacht, vieles ist deutlich inszeniert, und nimmt den Schnitt, in dem ein Film und damit die Geschichten erst entstehen, schon vorweg.“ Insofern habe man, „was Schultz angefangen hat“, mit heutiger digitaler Schnitttechnik „nur vollenden“ müssen. „Das ging fast wie von selbst, als hätte er schon gewusst, wie man das mal schneiden müsste“, weiß Boczek, der den Schnitt in dennoch mühevoller Kleinarbeit – auch auf den Soundtrack, eigens komponiert von Christopher Evans Ironside – besorgte.
Stadtansicht Kiels aus den späten 1940er Jahren, Szene aus dem Film. (Foto: Rudolf Schultz)
„Man wird Teil der Familie“, sagt Grote im Rückblick auf die Arbeit an Schultz’ einzigartigem Material, welche von der Stadt Kiel und der Brunswiker Stiftung gefördert wurde. Es bettet die kleinen Alltagsgeschichten wie den Kampf der Kinder ums Fahrrad, Rodelspaß im Winter und Spiel in der Sommerfrische, Spielzeugsoldaten animiert in Stop-Motion (eine Meisterleistung für einen Filmamateur), Hafen- und Segelszenen, die Angst vor dem nahenden Krieg, das Landleben im Bordesholmer „Exil“ nach Ausbombung 1944 und hernach den Wiederaufbau Kiels aus den Bombentrümmern in den (welt-) geschichtlichen Zusammenhang ein. Genau darum geht es Grote und Boczek: Geschichte erlebbar und anschaubar im Filmfamiliären zu machen. (jm)
Filmemacher Oliver Boczek (links) und Gerald Grote freuen sich auf die Premiere im Kino in der Pumpe (Foto: ögyr)
Premiere am Montag, 26.11.2018, 19 Uhr im Kino in der Pumpe. Weitere Vorführungen: 4. bis 7. und 9. bis 12.12.2018, jeweils 17 Uhr.