22. Filmfest Schleswig-Holstein 2018
Der Mythos des Sisyphos
„Following Habeck“ (Malte Blockhaus, D 2018)
Man muss sich Robert Habeck als glücklichen Berufspolitiker vorstellen: Gleich dem mythischen Sisyphos, der immer den selben Felsen den Berg hinaufrollte, nur damit der auf der anderen Seite wieder herunterpolterte, so schleppt der Landespolitiker seine Aktentasche oder sein Backpack und manchmal auch nur sich selbst plus Handy die Treppen der Ministerien hinauf, die Flure entlang, durch Bahnhöfe und Straßen, über Wiesen und durch Parteitagshallen. Auch wenn sein „Felsen der politischen Agenda“ die andere Seite des Berges hinunterrollt, Habeck wird nicht still stehen. Nicht so schnell jedenfalls. Der Sinn liegt im Weitermachen.
Das wird dem Zuschauer schon in den ersten Minuten von „Following Habeck“ klar, wenn der Minister im Outdoor-Look mit Wanderrucksack aus dem Berliner Bahnhof stolpert und nach Orientierung sucht. Es ist Anfang 2017, Habeck ist auf dem Weg zur Spitzenkandidaten-Urwahl der Grünen/Bündnis 90 für die Bundestagswahl. Schon diese Sequenzen des Dokumentarfilms von Malte Blockhaus tragen stilistisch und inhaltlich den ganzen Film in sich. Das Ansteckmikro nimmt Habecks rhythmisches Atmen, bald Keuchen, auf. In kurzen Sätzen bringt uns Habeck selbst auf den Stand: Wo sind wird, worum geht es, was wird als Nächstes passieren. Offen bleibt zunächst der Ausgang der Urwahl, den wir als Zuschauer natürlich schon kennen: Robert Habeck wird die Abstimmung gegen Cem Özdemir mit knappen 75 Stimmen Unterschied verlieren.
Als „rasender Reporter“ dem rastlosen Robert Habeck auf der Spur (Foto: Malte Blockhaus)
Aber halt. Der Film springt erstmal zwei Jahre zurück. Als schleswig-holsteinischer Umweltminister in der rot-grünen Koalition hat Robert Habeck gerade bestätigt, dass er in die Bundespolitik gehen und sich als Spitzenkandidat zur Wahl stellen werde. Ein kleiner Aufruhr im sonst vielleicht eher unspektakulären Ministeralltag. Keine Bewährungsprobe, eher der Startschuss für einen Dauerlauf zum Parteitag mit Kandidatenwahl. Die Strecke für die nächsten beiden Jahre liegt damit fest: Ministeraufgaben, Tour durch die die Bundesrepublik, um die Grünen-Basis zu gewinnen, Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein und schließlich die Urwahl. Jung-Regisseur Malte Blockhaus begleitet Habeck an gut 40 Drehtagen über die nächsten drei Jahre. Durch Parteitage, Pressekonferenzen, Team-Meetings, zu Notfallübungen und bei tatsächlichen Krisensituationen wie der Geflügelpest. Es muss manch eine sportliche Situation für den Regisseur, Kamera- und Tonmann Blockhaus gegeben haben. Denn alles was Habeck im Film mit Tempo zurücklegt, hatte auch Blockhaus zu bewältigen. Und dabei hat er die Situation eingeschätzt, gefilmt, Fragen gestellt. Da hilft es natürlich, wenn der Portraitierte ein Teil des Teams ist. Nur einmal hört man Blockhaus im Film seinen Protagonisten bitten, zu erklären, wo man sei und wohin es gehe. Dann läuft das. Habeck gibt hilfsbereit, präzise und unprätentiös Auskunft. Mit der gleichen Haltung geht er auch in die Situationen seines politischen Alltags. Und das funktioniert, zumindest auf der Landesebene, sehr gut. Denn hier schallt es aus dem Wald wieder heraus, wie Habeck hineinruft. Sein Team hängt sich rein wie er, Krisenmanager nehmen ihn ernst, die Presse ist fair. Selbst der Disput mit aufgebrachten Forst- und Landwirten ist zwar ruppig, aber auf Augenhöhe. Man kennst sich. Ob das auf Bundesebene so bleiben wird, muss sich zeigen. Im Kampf um die Sympathien der Parteimitglieder ist vielleicht diese klare, ruhige, norddeutsche Art ein Trumpf. Das knappe Urwahlergebnis (und die spätere Wahl zum Bundesvorsitzenden) bescheinigt es. Doch „Following Habeck“ zeigt auch die Entfernung von Kiel nach Berlin, von Landespolitik zu Bundespolitik, von Jeans und Hemd zu Anzug und Krawatte. Letzteres kann Habeck, aber sein natürliches Habitat scheint noch das flache Land, nicht der urbane Dschungel.
Den Schluss darf man zwar, aber tatsächlich kann man ihn nicht aus dem ziehen, was „Following Habeck“ uns zeigt. Denn Malte Blockhaus konzentriert sich auf den Arbeitsalltag eines Berufspolitikers in der – mit Verlaub und im besten positiven Sinne – Provinz. Tatsächliche politische Inhalte, das Ringen darum und die Ergebnisse blendet der Film aus. Der Zuschauer bleibt dafür aber „nah dran“, fast physisch übertragen sich die Energie und manchmal auch die Müdigkeit Habecks. Schwache Momente erlaubt er sich aber kaum, ein gequältes, müdes Lächeln auf einer Bürgerversammlung in Preetz bleibt die Ausnahme. Dafür gibt’s hin und wieder ein bisschen Selbstironie, etwa wenn Habeck flott das blau-silber-rote Gemälde als Referenz an die Landesfarben erklären will und dann doch erstmal googeln muss. Oder die Szene im Paternoster … aber lieber nicht spoilern.
„Following Habeck“ gewährt uns tatsächlich die „Mäuschen-Perspektive“ im Arbeitsalltag eines Landesministers und nebenbei zumindest ein Teilportrait von Robert Habeck. Politik ist seine Berufung, sein Motor ein gesellschaftlicher Gestaltungswillen ohne falsche Bescheidenheit. Sein Ministerberuf macht ihn zum Reisenden, zum Kommunikator ohne Rast, zum Rastlosen, zum Rastbedürftigen. Malte Blockhaus hat das wunderbar eingefangen und – sicher auch den Produktionsbedingungen geschuldet – das passende stilistische Mittel der sehr freien Kamera eines „rasenden Reporters“ eingesetzt. Sieht man von der Flashback-Dramaturgie und den Fragen an den Protagonisten (und seinen Antworten in die Kamera) mal ab, kann man schon fast von Cinema Vérité sprechen. Macht aber auch keinen Unterschied, der Film ist erkenntnisreich, energetisch und sehr flüssig geschnitten. Obendrein vermittelt er authentische Begeisterung für Politik. Und das war auch das erklärte Ziel von Blockhaus für das Projekt „Following Habeck“. (dakro)
Infos und Trailer zum Film: www.habeck-film.de
„Following Habeck“, D 2018, 75 Min., Farbe; Regie & Buch: Malte Blockhaus; Musik: Oliver Leggewie, Sergey Cheremisinov; Produktion: Blockhaus Filmproduktion; Förderung: Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Stadt Kiel