Hitlers lange Spur

Das Kino in der Pumpe zeigt die monumentale Doku „Wer war Hitler“

In den History-Dokus im TV sind Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus ein Dauerbrenner, mit den immer gleichen Filmbildern, die historische Präzision oft vermissen lassen. Gut recherchierte Kino-Dokumentationen über Aufstieg und Fall des Diktators sind rar. Es gab bisher nur zwei: Erwin Leisers „Mein Kampf“ (1960) und „Hitler – Eine Karriere“ von Joachim Fest und Christian Herrendoerfer aus dem Jahr 1977. 40 Jahre später legt der Historiker Hermann Pölking mit „Wer war Hitler“, der am 2. November in einer stark gekürzten, aber immer noch gut dreistündigen Fassung in die Kinos kommt, ein Mammut-Projekt vor.
Filmplakat (Fotos: Edition Salzgeber / Epoche Media GmbH)
Im Kino in der Pumpe ist die dreiteilige Festivalfassung, die beim Filmfest München uraufgeführt wurde, zu sehen. Mit insgesamt siebeneinhalb Stunden Dauer verlangt sie vom Zuschauer einige Geduld, die aber durch bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen und einen nie dagewesenen Blick auf Hitler belohnt wird.
Pölking hat in 18 Jahren Arbeit mehr als 120 Archive ausgewertet und über 900 Stunden Filmmaterial, zum Teil von zeitgenössischen Amateurfilmern, vieles schon in Farbe, gesichtet.
Zeitgemälde in Amateuraufnahmen: Alltagsleben mitten im Krieg (September 1944) am Berliner Kurfürstendamm.
Entstanden ist daraus ein Dokumentarfilm (produziert von Thorsten Pollfuß, Epoche Media), der in seinem enzyklopädischen Angang und in der Erzählweise außergewöhnlich ist. Selbst wenn der Filmtitel – bewusst ohne Fragezeichen – eine Erklärung des „Phänomens“ Hitler nahelegt, will Pölking nicht erklären, sondern nur zeigen. Er verzichtet auf erläuternde Off-Kommentare eines allwissenden Erzählers, die üblichen „talking heads“ von Experten und Zeitzeugen sowie auf Authentizität vorspiegelndes Re-Enactment. Vielmehr versammelt er das Material – Filme, Fotos und von Schauspielern gesprochene Zitate Hitlers und seiner Zeitgenossen – zu einer Collage, die nicht nur die Entwicklung Hitlers vom arbeitslosen Kunstmaler in Wien bis zum Verheerer Europas und Massenmörder, sondern auch das Panorama einer Epoche zeigt, die das 20. (und wohl auch noch das 21.) Jahrhundert prägte.
Hitler tänzelt beim Sommeraufenthalt 1939, kurz vor Kriegsbeginn, auf dem Obersalzberg.
In 17 (in der Kino-Fassung 14) Kapiteln von „Ein Oberösterreicher – 1889 bis 1903“ bis „Ein Selbstmörder – 1945“ werden Hitlers Leben und verbrecherisches Wirken, seine vom Zeitgeist beeinflusste Ideologie und die seinen Weg bereitenden historischen Umstände und Akteure nachgezeichnet. Zu letzteren gehören neben den Politikern und Staatsmännern nicht zuletzt die „gemeinen Menschen“, die, gleich ob Anhänger oder Gegner Hitlers, zu Wort und Bild kommen.
Hitler privat – erschöpft von der Kriegsplanung in der Sommerresidenz auf dem Obersalzberg.
„Wer war Hitler“ ist nicht bloß ein Film über Hitler, sondern über eine Zeit, deren lange Spur sich bis heute in die europäische und Weltgeschichte zieht. Und wenn man Hermann Pölking fragt, ob er nun wisse, wer Hitler war, antwortet er sibyllinisch mit hochaktuellem Bezug: „Ein sehr begabter Schauspieler, der ohne Hemmungen log – die gefährlichste Mischung, die es gibt.“ (jm)
Dreiteilige Festival-Fassung am 3.9.2017 im Kino in der Pumpe. Teil 1: 13.30 Uhr, Teil 2 mit anschließendem Gespräch mit dem Regisseur: 16 Uhr, Teil 3: 19 Uhr. Teil 1 auch am 1.9.2017, 20 Uhr, Teil 2 auch am 2.9.2017, 20 Uhr.
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