Filmwissenschaftliche Studie zu David Cronenberg

Interview mit Martin Ramm zu seiner Masterarbeit über Motive und Themen in David Cronenbergs Filmen

Es ist eine von diesen zufälligen und dann doch wieder zwangsläufigen Bekanntschaften, die man schließt, wenn man sich in den cinephilen Kreisen der Landeshauptstadt Kiel bewegt. Martin Ramm war seit einiger Zeit ein bekanntes Gesicht bei den einschlägigen Exploitation-Filmveranstaltungen abseits der aktuellen Kinoaufführungen. In Gesprächen stellte sich dann schnell heraus, Martin ist Filmkenner und Filmliebhaber und studierte zunächst Deutsch und Philosophie, wechselte dann auf Medienwissenschaft und Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Erst vor kurzem beendete Martin sein Studium mit einer Masterarbeit zu David Cronenbergs filmischen Motiven. Als Lehrbeauftragter an der CAU gab und gibt Martin Ramm (Film-) Seminare im Fachbereich Medienwissenschaft zu Cronenberg sowie Fremdendarstellung im ScienceFiction-Film. Nebenher promoviert er zum letztgenannten Thema.
Martin Ramm ist aber neben seiner akademischen Arbeit auch aktiv bei Film- und Theaterproduktionen und in Sachen Filmkultur. Als jüngstes Mitglied des “Verbotenen Lichtspiels” sorgt er in Kiel für ein Angebot an fast vergessenen Genreperlen abseits des Mainstreams. Und Martin ist Mitorganisator des Japan Filmfest in Hamburg, das ab dem 31. Mai in die 18. Runde geht.
Im Gespräch mit Martin wollten wir insbesondere etwas zu seiner Arbeit über David Cronenberg erfahren, über den im deutschsprachigen Raum noch nicht besonders viel geforscht oder gehaltvoll geschrieben wurde. Dankenswerter Weise hat uns Martin die Einleitung zu seiner Masterarbeit für die Veröffentlichung auf infomedia-sh zur Verfügung gestellt. Für das folgende Interview ist die Lektüre aber keine Voraussetzung.
Das Interview führte Daniel Krönke für infomedia-sh.
Martin Ramm (Foto: privat)
infomedia-sh:
Hast du dir das Thema “David Cronenberg” selbst ausgesucht? Was fasziniert dich an diesem Regisseur?
Martin Ramm:
Das Thema war meine eigene Wahl – wobei das Thema nicht allumfassend “David Cronenberg” war, sondern eine spezifische “Anordnung” bestimmter Motive in seinen Filmen.
Wie so oft in der Forschung trieb auch mich primär Interesse und Neugierde: Bei einer wiederholten Sichtung von Shivers (CAN 1975), der in Deutschland unter dem weitaus wohlklingenderen Namen Parasiten-Mörder firmiert, kam ich ins Grübeln über wiederkehrende Elemente im Oeuvre des Kanadiers. Es folgten also flugs ein paar Sichtungen weiterer Filme, und aus einem eingangs geplanten Aufsatz wurde dann ganz organisch plötzlich das Exposé zu meiner Masterarbeit.
Spannend ist Cronenbergs Schaffen für mich in mehrfacher Hinsicht: Die meisten Filmkritiker sprechen bei seinen frühen Filmen von seiner so genannten Phase des “Body-Horrors”, eine Begrifflichkeit, die Cronenbergs Filme prägten, mitnichten aber ausschließlich seine eigenen beschreibt – und ein Etikett, gegen das sich Cronenberg seit jeher wehrt. Etwa zur Zeit von Dead Ringers (Die Unzertrennlichen, CAN 1988) vollzog sich eine thematische Wandlung hin zu klassischeren Themen und Genre-Tendenzen: Weniger schleimige Würmer, phallische Ausbuchtungen und groteske Körperverformungen, mehr Drama und Nähe zur außerfilmischen Realität; so jedenfalls die gängige Auffassung. Ich selbst sehe sein Schaffen nicht so streng zweigeteilt. Die Zwanglosigkeit und Unbekümmertheit gegenüber allen Erwartungen, die viele seiner Filme auszustrahlen scheinen, hat auf jeden Fall ihre ganz eigene Sogwirkung. Zu untersuchen, welche Motive und Vorgänge in seinen Filmen immer wieder auftauchen, wie sie sich verändern und was sich daraus schließen lässt, kann eine enorm bereichernde, inspirierende Arbeit sein. Vor allem aber macht sie schlichtweg Spaß.
infomedia-sh:
Worum geht es in deiner Arbeit über Cronenberg genau? Kannst du uns das in allgemeinverständlicher Terminologie erklären?
Martin Ramm:
Vielleicht ist es einfacher, das Pferd von hinten aufzuzäumen und zu sagen, um was es in Cronenbergs Filmen in der Regel nicht geht, denn das erklärt womöglich am besten und zugleich prägnantesten, was sie für mich so interessant macht. Eine normale Erzählung funktioniert so: In eine mehr oder weniger harmonische Welt, die im Gleichgewicht ist, bricht ein störender Faktor ein – eine Grenze zu einer wie auch immer gearteten Unordnung wird durchlässig. In Folge hat, ganz simpel und abstrakt gesagt, eine Figur oder Gruppe die Aufgabe, dieses Ungleichgewicht aufzulösen, entweder dadurch, dass die Grenze wieder geschlossen und der Status quo wiederhergestellt wird, oder dadurch, dass der fremde Bereich der Unordnung geordnet wird.
In Cronenbergs Filmen hingegen ist es die Regel, dass die offene Grenze nicht geschlossen oder verschoben wird, sondern dass sie offen bleibt, die Elemente dauerhaft miteinander verschmelzen und die ursprüngliche Ordnung unwiederbringlich passé ist: Leben und Tod sind nicht mehr trennbar, ebenso wie Innen und Außen, Männlich und Weiblich, Bewusstes und Unterbewusstes, Menschliches und Tierisches, Jung und Alt, Ekel und Ekstase und so fort – das geht soweit, dass sogar Zeitebenen auf Dauer in Unordnung gebracht werden. Das Ergebnis ist zumeist ein Zustand, für den es keine richtigen Worte gibt: Etwas unnennbares Drittes, das dem Drang, alles fein säuberlich in Dichotomien einzuordnen, einen Strich durch die Rechnung macht.
Mit einem systemtheoretisch orientierten Ansatz habe ich mich daran gemacht, dieses Phänomen – das selbstredend nicht exklusiv nur auf Filme Cronenbergs zutrifft, bei ihnen aber verstärkt zutage tritt – zu beschreiben und zu untersuchen.
EVOLUTION: Eine beeindruckende Wander-Ausstellung zu David Cronenberg, die 2016 in Prag gastierte (Fotos: dakro)
infomedia-sh:
Filmliebhaber kennen David Cronenberg als einen über die Jahre sehr wandelbaren Regisseur. Du sprachst bereits über seine ersten Kinofilme im Exploitation-Genre des Body-Horrors. Doch was waren seine ersten filmischen Versuche und wo steht er heute?
Martin Ramm:
Cronenbergs filmische Anfänge sind Mitte/Ende der 60er-Jahre tatsächlich im eher Experimentellen, teils auch Absurden zu verorten. Sowohl seine frühen Kurzfilme (Anm. d. Red.: einige davon sind online, z.B. auf Youtube, zu sehen), als auch Stereo (CA 1969) und Crimes of the Future (CAN 1970), seine ersten grob einstündigen Produktionen, die er zu Studienzeiten drehte, hatten eine ausgesprochen avantgardistische Ausprägung. Aber auch in diesen waren bereits die Veranlagungen zu finden, die man als “typisch Cronenberg” zusammenfassen könnte. Größeres Publikum gab’s dann mit Shivers und Rabid (Rabid – Der brüllende Tod, CAN 1977), bis dann ab 1979 die Erfolge immer größer wurden: The Brood (Die Brut, CAN 1979), Scanners (Scanners – Ihre Gedanken können töten, CAN 1981), Videodrome (CAN 1983), Dead Zone (Dead Zone – Der Attentäter, USA 1983) und schließlich The Fly (Die Fliege, USA 1986) – das sind wohl Titel, die auch heute noch relativ populär sind, auch deswegen, weil sich einzelne Bilder aus den Filmen ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben. Gesondert erwähnen möchte ich noch Crash aus dem Jahre 1996, eine Verfilmung des Romans von J. G. Ballard, die in ihrer wunderbaren Andersartigkeit kaum zu toppen ist und deren unterkühlter, seltsamer Atmosphäre man sich kaum entziehen kann. Sehr viel Aufmerksamkeit erhielten 2005 und 2007 noch einmal seine beiden Gangsterfilme A History of Violence (USA/CAN/D 2005) und Eastern Promises (Tödliche Versprechen, USA/GB/CAN 2007) mit Viggo Mortensen in den Hauptrollen. Danach wurde es bei A Dangerous Method (Eine dunkle Begierde, GB/CH/D/USA 2011), einem Drama, das sich um Carl Gustav Jung, Sigmund Freud und die Patientin Sabina Spielrein dreht, ungewohnt historisch. 2012 dann wurde es höchst wunderlich mit der enigmatischen Limousinen-Dystopie Cosmopolis (CAN/F/POR/IT 2012), die Robert Pattinson als Hauptdarsteller hatte, ehe 2014 sein bis dato letzter Film in die Kinos kam, die zynische Hollywood-Satire Maps to the Stars (CAN/USA/D/F 2014).
infomedia-sh:
Das waren dann noch nicht mal alle seine Filme. Dazu kommen noch etliche Kurzfilme, insbesondere wieder in den letzten Jahren, sowie vor kurzem der Roman “Verzehrt” (“Consumed”, 2014). Ist er quer durch seinen doch beträchtlichen und konstanten Output einem Thema oder einem Themenkomplex treu geblieben?
Martin Ramm:
In gewisser Weise schon, genau diese Frage untersuche ich ja in meiner Masterarbeit. Aber auch oberflächlicher betrachtet lassen sich viele konstante Themen ausmachen: Das Erkunden und die Bewältigung von Extremsituationen, die Vermischung von Welten, die sich eigentlich ausschließen sollten usw. Viel wichtiger ist aber vielleicht, dass Cronenberg primär dem Credo treu geblieben ist, frische, ehrliche, einzigartige Filme zu drehen, und das über alle Genre-Grenzen hinweg.
infomedia-sh:
In vergangenen Jahren wurde David Cronenberg eine Wander-Ausstellung gewidmet; ich hatte das Glück, sie in Prag zu besuchen. Es war beeindruckend, die Props aus seinen Filmen zu sehen. Viele ungewöhnlich präsente Bilder aus seinen Filmen spielten sich sofort im Kopf ab. Da stellt sich natürlich die Frage, welchen Einfluss Cronenberg hat oder hatte. Bei welchen Regisseuren kann man die heute sehen oder spüren?
Martin Ramm:
Gerade hinsichtlich der Entwicklung des kanadischen Kinos und der Akzeptanz von Horrorfilmen als ernstzunehmende Kunstform kann man David Cronenberg eigentlich kaum hoch genug schätzen. Natürlich sind seine alten Filme bzw. deren Nachwirkungen omnipräsent – oftmals in direkten Zitaten, noch häufiger in indirekten. Ich sprach vorhin schon Bilder an, die den meisten zumindest am Rande schon einmal begegnet sind: Der mutierte Jeff Brundle aus Die Fliege, der zerberstende Kopf aus Scanners. Beide Filme erhielten übrigens Fortsetzungen anderer Regisseure. Nicht zu schweigen von den unzähligen erinnerungswürdigen Momenten aus Videodrome. Das sind Einflüsse aus kanonisierten “Kultfilmen”, die gewissermaßen epochemachend waren und an Intensität kaum etwas einbüßten.
Wie es um den Einfluss seines aktuellen Schaffens bestellt ist, das ist freilich schwer zu beurteilen.
infomedia-sh:
Springen wir zu einem anderen Thema: Magst du uns kurz etwas zum Japan Filmfest in Hamburg sagen und warum du der lokalen Filmszene einen Besuch in Hamburg empfehlen würdest?
Martin Ramm:
Nun, letztlich ist das Japan Filmfest Hamburg das, was der Titel bereits suggeriert: Wir zeigen in Hamburg im Metropolis Kino, im 3001 und im Studio Kino primär aktuelle, aber auch einige nicht ganz brandneue japanische Filme um ein loses Rahmenprogram herum. Die Auswahl selbst ist traditionell sehr breit und deckt letztlich alles zwischen Thrillern, Dramen, Komödien, Anime jeder Art, Splatter und Experimentalfilm ab. Allerhand Gäste aus allen Bereichen der Filmproduktion werden außerdem anwesend sein.
Letztlich ist das Festival jedem zu empfehlen, der Filme mag, ein Häufchen Neugierde in sich bereithält und sich gerne von Neuem und Ungewohntem verblüffen lassen möchte. Eine Besonderheit, die zugleich auch einen triftigen Grund für den Besuch darstellt: Viele Filme, ganz unabhängig von deren Qualität, bekommen später keinen deutschen Verleih. Das Japan Filmfest Hamburg ist also nicht nur die einmalige Gelegenheit, bestimmte Filme auf der Leinwand zu erleben, sondern auch, sie überhaupt zu Gesicht zu bekommen.
infomedia-sh:
Martin, wir bedanken uns für das Gespräch.

Links zu den Themen im Interview:

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