66. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2016

450 Quadratmeter und ein Todesfall

„Kollektivet“ (Thomas Vinterberg, Dänemark/Schweden/Niederlande 2015)

Ein Vorort von Kopenhagen in den 1970er-Jahren: Eigentlich können sie sich das Wohnen in der riesigen Villa, in der Erik (Ulrich Thomsen) aufgewachsen ist, schlichtweg nicht alleine leisten. Deswegen und weil besonders Anna (Trine Dyrholm) neuen Erfahrungen und Bekanntschaften gegenüber äußerst aufgeschlossen ist, kommen Sie auf die Idee, eine Wohngemeinschaft zu gründen. Und so finden sie sich – vorausgesetzt, die offene Abstimmung beim Vorstellungsgespräch wird bestanden – zusammen: Eriks langjähriger Kumpel Ole, ein bereits WG-erfahrenes Paar mit zehnjährigem Sohn, eine etwas durchgeknallte Flower-Power-Tussi, Annas und Eriks Tochter Freja sowie Allon, ein Typ mit Migrationshintergrund. Fortan werden die Mahlzeiten in großer Runde eingenommen, zu den gemeinschaftlich finanzierten Grundnahrungsmitteln zählen Bier und Rotwein, in banalen und fundamentalen Fragen des Lebens wird gründlich diskutiert und abschließend abgestimmt. Und weil allen so sehr an einer positiven Grundhaltung gelegen ist, wird das Wort „nein“ durch „bumm“ ersetzt. In dieser Gemeinschaft ist es der Mensch, der zählt – so sehr, dass Ole beim Einzug der ersten Geschirrspülmaschine schon die Herrschaft der Technik fürchtet.
Wenn schon freie Liebe in diesem Kollektiv genau genommen nicht vorkommt, so suchen und finden sich im Lauf der Handlung Architekturprofessor Erik und seine Studentin Emma (Helena Reingaard Neumann), ein zwanzig Jahre jüngerer Klon seiner Frau Anna. Und da letztere ganz zeitgemäß über allen Konventionen zu stehen glaubt, schlägt sie vor, Emma solle ebenfalls in die Villa einziehen – eine erfolgreiche Vorstellung vor den anderen Mitbewohnern und das entsprechende Votum vorausgesetzt. Am allerwenigsten überrascht es den Zuschauer, dass dies jedoch keine Erfolgsgeschichte wird, auch nicht als Element einer Komödie, für die man „Kollektivet“ in der ersten Hälfte des Films vielleicht noch gehalten haben mag.
Einstimmig in der Kommune, mehrstimmig im Genre-Mix – Still aus Thomas Vinterbergs „Kollektivet“ (Foto: Berlinale)
Regisseur Thomas Vinterberg, der klar blickende Enthüller der Mechanismen menschlicher Gemeinschaften mit ihrer Dynamik, Fatalität und Brutalität wie im legendären Dogma-Klassiker „Das Fest“ (1999) und im verstörenden „Die Jagd“ (2012), wartet in „Kollektivet“ mit einem zähen Genre-Mix auf. In der Komödien-Phase des Films sind die Gags im Grunde konventionell und oft vorhersehbar; die Handlung hat Längen. In der Charakterdrama-Phase hingegen brilliert im Wandel von der dynamischen Idealistin zur einsam Leidenden zwar Trine Dyrholm, die dafür mit dem Silbernen Bär als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Das Kommunen-Setting des Films tritt jedoch völlig in den Hintergrund, was alles andere als stimmig erzählt wird. Der Tod eines Akteurs überschreitet die Grenze zum Makabren völlig unausgewogen.
In Deutschland wird „Die Kommune“, so der das „Kollektiv“ Richtung Klischee zuspitzende deutsche Titel, am 21. April 2016 in den Kinos anlaufen. Regisseur Thomas Vinterberg hat das Drehbuch zusammen mit Tobias Lindholm verfasst – wie auch schon für „Submarino“ (2010) und den Oscar-nominierten „Die Jagd“ (2012). Vinterberg hat als Kind selbst in einer WG gelebt und lässt den Zuschauer diese Kommune wohl nicht von ungefähr durch die Augen der 14-jährigen Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) erleben, die alles mitmacht, sich aber relativ schnell ihren eigenen Weg sucht. An dem allerdings deutlich wird, dass das menschliche Miteinander in der nächsten Generation wohl auch nicht besser laufen wird. (gls)
„Kollektivet“, Dänemark/Schweden/Niederlande 2015, 111 Min., DCP Farbe; Buch: Thomas Vinterberg, Tobias Lindholm; Regie: Thomas Vinterberg; Kamera: Jesper Tøffner; Schnitt: Anne Østerud, Janus Billeskov Jansen; Darsteller: Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard Neumann, Martha Sofie Wallstrøm Hansen, Lars Ranthe
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