20. Filmfest Schleswig-Holstein 2016
Ein paar Erinnerungen und Gedanken zur „Augenweide“ seit 1993 anlässlich des 10. Filmfests S.-H.
Am Samstag, dem 4. September 1993, fand das erste „schleswig-holsteinische Filmfest Augenweide“ im Kieler Kommunalen Kino in der Pumpe statt. Wir wollten so viel und hatten doch nur einen Samstagnachmittag und -abend dafür: der Öffentlichkeit zeigen, dass es sich lohnt, auch hierzulande in Filmförderung zu investieren. Wir wollten möglichst viele, gute Filme zeigen, feiern und mit anderen über Filme aus Schleswig-Holstein ins Gespräch kommen. Im Programmfaltblatt hieß es dazu unter anderem: „Dabei möchten wir Ergebnisse unser Arbeit präsentieren und eine Auswahl von Filmen zeigen, die im Rahmen der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein entstanden sind.“ Hinzukommen sollten, wie weiter unten zu lesen stand, „Produktionen von Filmemacherinnen und Filmemachern, die keine direkte Förderung erhielten, ihre Talente aber aufgrund der kreativen Atmosphäre im Land entfalten konnten“.
Kurzfilme, Dokumentarfilme und ein Spielfilm standen auf dem Programm. Dieses begann schon um 15 Uhr mit einem ersten Block. Um 17 Uhr folgte ein zweiter und erst nach 19 Uhr im dritten Block folgte die offizielle Begrüßung durch Staatssekretär Dr. Dieter Swatek aus dem Kultusministerium und die damalige Vereinsvorsitzende der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V., Linde Fröhlich. Nach 20.30 Uhr gab es ein tolles Kaltes Buffet, gesponsort aus der Kieler Gastronomie. Eine halbe Stunde verspätet, nämlich erst gegen 22 Uhr, lief dann nach zwei Kurzfilmen von Kai Zimmer (darunter auch der legendäre „One Minute in America“) Michael Miensopusts 90-minütiger Spielfilm „Norden“ (der in Koproduktion mit dem NDR entstanden war). Das bei enger Bestuhlung rund 220 Personen fassende Kino war zu klein, der Andrang so groß, dass zu „Norden“ die bewegliche Wand zwischen Kneipenraum und Kinosaal der Pumpe geöffnet werden musste. Nach der Vorführung waren alle zufrieden, aber auch so erschöpft, dass niemand mehr zur Mitternachtsdisco, dem letzten Programmpunkt der ersten „Augenweide“, auf die Tanzfläche ging.
Schon das zweite Filmfest wechselte vom Herbst ins Frühjahr und fand am 1. April 1995 statt. Der zweijährigen Turnus wurde für „Augenweide“ 2 bis 5 beibehalten. Ab der 4. „Augenweide“ 1999 gab es ein zweitägiges Programm. Anlass für diese Ausweitung war das 10-jährige Bestehen der Kulturellen Filmförderung; gleichzeitig wurden auch noch 20 Jahre Kommunales Kino in der Pumpe und 25 Jahre LAG Jugend und Film gefeiert. Neben den Filmvorführungen gab es dazu noch ein Festprogramm mit Marc Schnittger und seinen Handpuppen sowie dem Chansonduo Wolf & Schnack.
Persönlich ist mir besonders der Auftritt von Lydia Kavina mit ihrer Theremin Vox auf der 2. „Augenweide“ im Gedächtnis geblieben. In einem Midnight Special begleitete sie live mit ihrem Instrument den Charlie-Chaplin-Stummfilm „Easy Street“ von 1917, in dem der zum Polizist gewordene Tramp einen Slum-Straßentyrannen besiegt. Kavina, die führende Theremin-Vox-Solistin der Welt, spielte ihr elektronisches Musikinstrument, bei dem sie mit den Händen in ein elektromagnetisches Schwingungsfeld, quasi in die Luft, greift und mittels eines Verstärkers Töne erzeugte, die vom Klang her zwischen Cello und Sopran anzusiedeln sind, so souverän und beeindruckend, dass ihr Auftritt für alle Anwesenden zu einem Erlebnis wurde.
Das 6. Filmfest Ende Mai 2002 brachte erneut Änderungen. Die dem Auswahlgremium vorliegende Menge an sehenswerten Filmen (besonders auch die Zunahme an mittellangen Dokumentarfilmen) und der Wunsch, in Zukunft jeweils einem ausländischen Dokumentarfilm-Festival die Möglichkeit zu bieten, sich mit einem Auswahl-Programm auf der „Augenweide“ vorzustellen, rechtfertigten eine Ausdehnung auf drei Festivaltage. Zu Freitag und Samstag kam nun der Sonntag hinzu. Auch wurde ein Publikumspreis eingeführt.
Die 7. „Augenweide“ folgte dann schon ein Jahr später. Dieser jährliche Termin, jeweils im Mai, soll beibehalten werden. Auch stellte sich heraus, dass das Programm von „Augenweide“ einfach zu vielschichtig für einen Publikumspreis ist. Und somit wurde dieser ab 2003 durch einen Kurzfilm- und einem Dokumentarfilmpreis ersetzt. Des weiteren können seit 2003 internationale Dokumentarfilme bis zu einer Länge von 30 Minuten eingereicht werden, die keinen Schleswig-Holstein-Bezug (bezüglich der Förderungen, des Inhalts oder der Herkunft der Macher) haben müssen.
Die „Gemengelage“ der zur Auswahl stehenden Filme gestaltet sich naturgemäß jedes Jahr anders. Hatte das Auswahlteam beispielsweise 2003 eine wahre „Flut“ von mittellangen und langen Dokumentarfilmproduktionen aus dem Lande und eher ein quantitativ gesehen schwaches Kurzfilmjahr, so konnte es 2004 im Vorfeld zur „Augenweide“ auch wieder aus einer sehr großen Anzahl von Kurzfilmen aussuchen. Aus den vielen sehenswerten Filmen blieb besonders die kleine meisterhafte, portugiesische Elegie „Barbeiros“ um zwei „wortlos kauzige Friseure“ von Mervi Junkkonen aus Finnland unvergessen – eine Entdeckung von Bernd Günther Nahm, die in der Programm-Kategorie „FilmDock“ lief.
Zwar waren dann die Preisträger zur ihrer Ehrung am Sonntagabend nicht zugegen und Filmkritiker Gerald Koll versuchte sich in seinem Rückblick aufs Festival an den Schäfchen auf Plakat und Programm-Faltblatt abzuarbeiten. Doch wurden die Zuschauer beim Finale mit Axel Brandts hervorragendem Dokumentarfilm „Zug um Zug“ (über den Freikauf der ungarischen Juden 1944 und die Rolle des Zionisten Dr. Rudolf Kasztner dabei) aus diesem 8. Filmfest verabschiedet.
Die 9. „Augenweide“ konnte unter anderem mit Kay Gerdes’ Dokumentation „Kiel im Bombenkrieg“ aufwarten, die einen beeindruckenden lokalhistorischen Beitrag zum 50. Jubiläum des Endes des Zweiten Weltkrieges darstellt. Klar schaute man wieder über den schleswig-holsteinischen Tellerrand nach Dänemark, Finnland, Japan, Kuba und Afrika, hatte aber auch mit Lars Jessens Brockdorf-Komödie „Am Tag als Bobby Ewing starb“ den aktuellen „Max-Ophüls-Preisträger“ zu bieten.
So ist das Filmfest „Augenweide“ längst zu einer festen Größe in der schleswig-holsteinischen Kulturlandschaft geworden. Das Programm platzt inzwischen aus allen Nähten. So mussten für das 10. Filmfest mit der Samstagvorführung um 14 Uhr und der Sonntagsmatinee ab 11 Uhr zwei zusätzliche Programmblöcke in den Zeitplan eingefügt werden.
Nicht nur viele sehenswerte Dokumentarfilme finden hier ein interessiertes Publikum. Die Kurzfilmabende am Freitag und Samstag besitzen Kultstatus, was Publikumsstimmung und ausverkaufte Vorstellungen belegen. Auch die Präsentation jeweils eines ausländischen Festivals erweist sich immer mehr als ein schöner Mosaikstein im Gesamtprogramm.
„Augenweide“ bietet zudem jedes Jahr wieder viele Kontaktmöglichkeiten zwischen den Filmschaffenden im Lande, den aus Schleswig-Holstein stammenden Filmern, die inzwischen jenseits der Landesgrenzen ihrem Metier nachgehen, und einen Publikum, das das Festival zu schätzen weiß. (Helmut Schulzeck, 2006)
(P.S.: Folgendes bloß der Vollständigkeit halber festgehalten für die Archive und Geschichtsbücher: Der schöne Name AUGENWEIDE für das Filmfest Schleswig-Holstein, den es ja leider seit 2014 nicht mehr gibt, stammt vom Verfasser obiger Zeilen. – hsch, 15.03.2016)