Ein Rückblick auf das BLITZFILM Festival
Mit kurzen Filmen im rasenden Wandel unterwegs
Seit 2006 bereisen wir einmal jährlich China mit deutschen Kurzfilmen und sind Beobachter und Chronisten der Veränderungen in dem ostasiatischen Land. Die vom Westen bejubelten Reformen brachten nicht nur einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich, sie sorgten auch für eine stärkere Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. 2013 gab es einen Regierungswechsel, und die neue Regierung versucht mit harter Hand, gesellschaftliche Konflikte zu kontrollieren. Ausländer wurden mit einer Verschärfung der Visa-Bestimmungen und strengen Meldeverordnungen bedacht. Das BLITZFILM Festival wurde Opfer der aus der Umstellung resultierenden Turbulenzen und erhielt 2013 die Visa nicht rechtzeitig. Im folgenden Jahr war das strengere Reglement zur Routine geworden, und es gab keinerlei Probleme mit der Visa-Erteilung.
Es ist schwer, jemanden zu vermitteln, wie schnell sich das Land verändert, der es nicht selbst erlebt hat. Es sind beispielsweise die Fahrten vom Flughafen, die beim letzten Mal noch durch Ödland führten, nun durch Schluchten gewaltiger Hochhaustürme. Es ist nicht nur die Architektur, auch die Alltagskultur befindet sich in einem rasanten Wandel. Bei unserem ersten Besuch in der Megacity Chongqing wurden wir auf der Straße noch wie eine kleine Sensation angestarrt, doch bereits im Folgejahr erschien der Anblick von Westlern als völlig normal. Öffentliche Veranstaltungen mit Kurzfilmen waren selbst in der umtriebigen Kunstszene Chinas etwas Neues, doch es dauerte nicht lange, bis sich im Land ein ganzes Netz an unabhängigen Filmfestivals und alternativen Spielstätten entwickelte. Während in den ersten Jahren von BLITZFILM die technische Ausstattung sehr improvisiert war, ist sie heute bei einigen Veranstaltungen weitaus besser als wir es in Deutschland erwarten könnten. Aber China wäre nicht China, wenn es uns nicht stets zum Improvisieren zwingen würde.
Gleichzeitig ist die Rasanz, mit der sich die Kultur wandelt, beeindruckend. Bei unserem ersten China-Besuch gab es noch Probleme mit der Verständigung auf Englisch, selbst am Flughafen-Infocounter der chinesischen Hauptstadt. Inzwischen hat ein großer Teil der jungen Leute Grundkenntnisse der Sprache. Der heutige Umgang mit ungewöhnlicher und experimenteller Filmsprache hat nichts mehr mit der Ablehnung zu tun, die wir in den ersten Jahren zu spüren bekamen. Aber am bedeutsamsten ist wohl der brachiale Übergang in die Marktwirtschaft, was am Wandel der Universitäten ablesbar ist. Studenten, die nicht an den Einrichtungen der Volksbefreiungsarmee studieren, müssen Studiengebühren entrichten. Die Privatisierungswelle macht auch vor den Universitäten nicht halt. Zuerst ging die Mensa an privatwirtschaftliche Betreiber, dann Veranstaltungs- und Kinosäle. Inzwischen stellen Unternehmen Dozenten für den Unterricht und bekommen dafür Studenten, die unentgeltliche Praktika leisten. Es ist ein Goldgräberfieber ausgebrochen. Viele sind in kurzer Zeit reich geworden, und in den Städten entstehen immer weitere Gated Cities, in denen die Neureichen abgeschottet vom gemeinen Volk leben.
Die Siebenmillionenstadt Changsha ist der Ort, an dem Mao seine Jugend verbrachte und sich zum Kommunismus wandte. Heute ist dies eine boomende City, in der das Wirtschaftswachstum doppelt so hoch liegt, wie im chinesischen Durchschnitt. Am Ufer des Xiang Flusses hat man eine 32 m hohe Granitbüste des jungen Mao errichtet. An der anderen Uferseite befand sich eine ehemalige Baumwollfabrik als Austragungsort des BLITZFILM Festivals, geschmückt mit großen Festivalbannern und Fahnen in schwarz-rot-gold. Zu den Statussymbolen der Reichen gehören Schweizer Uhren, französische Weine und deutsche Kultur. Unser Gastgeber führte uns in den Keller der hundertjährigen Gebäudes, auf dessen 1.000 qm französische Weine gelagert werden sollen. Für unsere Show hat er eine bekannte TV-Moderatorin angeheuert und sich auch bei der Ausstattung des Saales nicht lumpen lassen. Dem Händler für Yachten und Helikopter bedeutete es viel, sich mit zeitgenössischer europäischer Kultur zu schmücken, während der steinerne Mao stoisch über die futuristische Skyline der Stadt auf ein Land blickte, das so wenig mit den Idealen seiner Jugend zu tun hat.
Gleichzeitig gibt es Initiativen, wie Theater Joker/Independent Film Lovers Kindergarten in Tianjin, die seit mehren Jahren wöchentlich Screenings veranstalteten mit unabhängig produzierten Filmen und Diskussionen mit deren Machern.
Die Regierung versucht, mit harten Maßnahmen Ordnung in das Land der Gegensätze zu bringen, doch auch egal wie sehr die Zensur wieder ausgeweitet wird und wie viele Manager und Funktionäre hinter Gitter kommen, die Kontrolle über den aus dem Ruder laufenden Turbokapitalismus scheint niemand zu bekommen.
Künstler erzählten, wie die aktuelle Regierungspolitik sie zunehmend beträfe und einschränkte. Das Goethe-Institut Peking berichtet von wachsenden Problemen mit den chinesischen Behörden. Beim Festival für den Deutschen Spielfilm fiel fast jeder 2. Film der Zensur zum Opfer, und man konnte die betroffenen Werke nur in Räumlichkeiten der Konsulate zeigen.
Obwohl BLITZFILM sich durch ein nicht gerade stromlinienförmiges Programm auszeichnet, ist das Festival durch gute Kontakte und geschickten Umgang mit den Gegebenheiten vor ernsten Zensurmaßnahmen verschont geblieben. Bei der überwältigenden Mehrheit der Veranstalter genießen wir ein so großes Vertrauen, dass wir ohne Voransicht unsere Programme zeigen können, und nur in seltenen Fällen wurden wir von einem Gastgeber gebeten, auf das Zeigen eines Kurzfilms zu verzichten.
Nicht ohne Bitterkeit blicken wir auf die Probleme, dieses Festival zu finanzieren. Jenseits des nördlichsten Bundeslandes gibt es nur wenig Anerkennung dafür, eine Institution der deutschen Filmkunst mit großer Resonanz in China geschaffen zu haben. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)