Lebendigkeit der Langsamkeit

“Zeile für Zeile” (Viola Rusche, Hauke Harder, D 2014)

Nur scheinbar ereignet sich in der Musik von Ernstalbrecht Stiebler wenig, loopen die Cello-Klänge geechoet vom Tonband sich langsamst verändernd. Viola Rusche und Hauke Harder (einst Mastermind der “Gesellschaft für akustische Lebenshilfe”, die in den 90er Jahren Neue Musik – auch von Stiebler – nach Kiel brachte) reflektieren in ihrem Film “Zeile für Zeile” die kontemplative Ruhe des Musik Machens und Erkennens.
“Langsamkeit ist eigentlich die Voraussetzung, um in die Musik hereinzukommen”, sagt darin Stiebler über seine Kompositionsweise. Rusche und Harder haben ihn zum Interview in einen Kahn gesetzt, der ebenso langsam durch einen Kanal im Spreewald rudert. Montiert wird diese im besten Sinne träge Naturbeobachtung im Wechsel mit einer Aufführung von Stieblers “Sequenz II” durch die Cellistin Agnieszka Dziubak. Bei vieler Musik könne man “atemlos den Ereignissen folgend, den Raum gar nicht richtig wahrnehmen”, sagt Stiebler entspannt in die Sitzbank des Kahns gelehnt, und das könnte auch für Rusches und Harders Film gelten. Hier wird nur geschnitten, wo es nicht anders geht, ansonsten ruhig fließende Bilder, die wie Stieblers Musik Zeile für Zeile den (Klang-) Raum aufspannen und wissen, dass es “auf den inneren Rhythmus ankommt” (Stiebler).
Der ist langsam, kontemplativ, feiert wie der Film die Wiederholung. Langeweile, obwohl eine Kategorie, die Stiebler durchaus als Modus konzentrierter Wahrnehmung goutieren würde, kommt dabei nicht auf. Denn “Wiederholung ist nie gleich, dasselbe ist nicht Dasselbe.” Stieblers bewusst langsamen Takt als Kompositionsprinzip spiegelt so der Film in seinem. Neben (produktiver) Langsamkeit geht es wie im Werk Stieblers auch um “Reduktion, Resonanz, Lebendigkeit und Emotion” – und wie die alle zusammenhängen und sich ergänzen zu einem Erlebnis, das in Stieblers Musik ebenso erfahrbar wird wie in dem Film.
Langsam im Kahn – der Komponist der lebendigen Langsamkeit, Ernstalbrecht Stiebler (Still aus dem Film)
“Der Grundbegriff, um sich dem Hörer zu nähern, ist die Resonanz”, beschreibt Stiebler einen “ganz elementaren Begriff” seiner, wenn nicht aller Musik. “Das Grundprinzip ist, dass man Klangereignisse komponiert, die in dem Sinne resonanzartig nachvollziehbar sind. Und das heißt, dafür braucht der Hörer – da kommen wir wieder auf das Moment der Langsamkeit – ein bisschen Zeit.” Nicht anders verfährt der Film, auf dessen Ruhe man freilich bereit sein muss, sich einzulassen. Tut man das, kann man Stiebler umso mehr folgen, der sagt, dass “ein lang ausgehaltener Ton eine größere emotionale Substanz” habe als die eilige Abfolge vieler Töne. Das sei eine Art “Starrsinnigkeit”, die aber auch “eine Form der Emotion ist”.
Solche Sätze beschreiben den Film perfekt und machen ihn zu einer treffenden Bebilderung für Stieblers Musik. Dem nicht nur musik-, sondern auch filmästhetisch Kundigen fällt auf, dass die Filmemacher dabei bis ins (klang-) räumliche Detail inszenierten und montierten. So sind die Klangwelten von Cello-Performance und Kahnfahrt am Anfang streng getrennt, um sich später mehr und mehr zu vermischen, zu interferieren. Vögel zwitschern in die Musik hinein und vice versa rhythmisiert die Musik des Fährmanns Ruder im Bild. Und nicht zuletzt zeigt ein durch die Szenerie röhrendes Motorboot – bewusst nicht herausgeschnitten – wie Recht Stiebler hat, wenn er für die Öffnung der inneren Klangräume Ruhe und lebendige Langsamkeit reklamiert. (jm)
“Zeile für Zeile” – Ein Film über den Komponisten Ernstalbrecht Stiebler, D 2014, 33 Min., HD 16:9. Buch & Regie: Viola Rusche, Hauke Harder. Kamera: Roman Pernack, Ton: Hauke Harder, Schnitt: Viola Rusche. Mit Ernstalbrecht Stiebler, Agnieszka Dziubak (Cello), Olaf Schiela (Kahnfährmann). Gefördert von der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH.
Premiere: 15. November 2014, 16 Uhr, Radialsystem V, Studio 2 C (Holzmarktstr. 33, 10243 Berlin) (im Rahmen des Festivals faithful! II – Treue und Verrat der musikalischen Interpretation (13. – 23. November 2014, www.faithful-festival.de).
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