18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014
Welttheater Taxi
„Am Ende der Straße“ (Nils Strüven, D 2013)
Die Bezüge zu Jim Jarmuschs Episodenfilm „Night on Earth“ (1991) sind frappant. Wie Jarmusch macht Nils Strüven ein Taxi zur Bühne eines Welttheaters für fünf ganz alltägliche Geschichten rund um die Suche nach dem Glück. Der Taxifahrer Theo „cruist“ durch die Berliner Nacht und erlebt die kleinen und großen, gewöhnlichen oder skurrilen Tragödien seiner Fahrgäste mit.
Da ist der junge Chinese, der sich in der ihm gleichermaßen fremden wie faszinierenden Großstadt noch nicht so richtig zurechtfindet und nach seinem eigentlichen Ziel sucht. Da ist der Taxi-Kollege, der mal die Seiten wechselt (vom Fahrer- auf den Beifahrersitz) und eigentlich viel lieber Romane schriebe als Fahrgäste durch die Nacht zu kutschieren und sich mit Theo ein ebenso witziges wie lebensweisheitliches Sprichwort-Pingpong liefert. Da ist der Clown, der zu seinem nächsten Nebenerwerbsjob als Barkeeper fährt und von der Verbindung beider Jobs in einer „Clownsbar“ träumt. Da ist die junge Studentin, die ihren Freund nach dessen halbjährigem Aufenthalt in Neuseeland wiedertreffen will – oder auch lieber nicht … Und da ereignet sich zwischen Beifahrersitz und Rückbank ein Liebesdrama in einem ungeklärten Dreiecksverhältnis zweier junger Frauen und eines jungen Mannes. Fünf Geschichten über die Suche nach dem flüchtigen Glück – beziehungsweise einer Definition dessen, was Glück sein könnte -, die geradezu (stereo-) typisch sind. Und mittendrin Theo, von dem wir in seiner Betrachtung und Auseinandersetzung mit diesen Geschichten seine eigene erfahren: Auch seine Glückssuche ist gescheitert, sein 9-jähriger Sohn lebt mit der getrennten Mutter inzwischen in München, Theo kann ihn nur selten besuchen und sonst nur per Handy mit ihm kommunizieren – während einer der quälenden Wartezeiten zwischen zwei „Fuhren“.
„Cruisen“ durch das Welttheater der Großstadt: Taxifahrer Theo (Foto: Nils Strüven)
Die fünf – oder mit der Theos eigentlich sechs – Geschichten verwebt Strüven elegant miteinander, indem der Schnitt zwischen ihnen zu Querbezügen führt. Die Episoden verknüpfen sich, indem sie über die Brücke des Taxifahrers als quasi Erzähler miteinander in Beziehung treten. So erhält Theo von dem Clown eine Visitenkarte, die er später, sich selbst als der Clown ausgebend, an die junge Studentin auf der Suche nach ihrem Freund weitergibt, die wiederum ihn als Clown aus ihren Kindertagen wiederzuerkennen glaubt. Eine kleine Romanze entspinnt sich daraufhin zwischen ihr und Theo – oder könnte sich entspinnen … Wie im wirklichen Leben bleiben auch auf dem Welttheater im Taxi manche Geschichten unvollendet, erzählen sich lediglich als Möglichkeit und regen so die weiterspinnende Fantasie des Zuschauers an. Auch als Hannah, die Zurückgelassene aus dem Liebesdreieck, schließlich aussteigt, ist der Vorhang vor der Windschutzscheibe nicht zu und daher bleiben alle Fragen wundervoll offen.
Apropos Windschutz-/Cinemascope-Scheibe des Taxis: Kameramann Maik Astheimer filmt konsequent durch sie hindurch, so dass wir neben den Protagonisten stets auch die Außenwelt als zerrgespiegelt auf die Scheibe wahrnehmen. Ein distanzierendes wie die Episoden, die das Leben schreibt, in es einbettendes Moment, eine buchstäbliche Per-spektive auf die Per-sonen, die Folie der Lichter der Großstadt, die neben dem Taxi die eigentliche Bühne ist. Last but not least eine schlüssige bildliche Umsetzung eines Settings, das mit Jarmuschs Vorbild zwar schon einmal da war, aber so ergiebig ist fürs filmische Erzählen mit den starken Mitteln der Montage (Matchcut und Kollisionsmontage), dass es Strüven zurecht und mustergültig noch einmal aufgegriffen hat. (jm)
„Am Ende der Straße“, D 2013, 52 Min., Regie: Nils Strüven, Kamera: Maik Astheimer, Schnitt: Elena Weihe, Ton: Thorsten Broda, Musik: Caseros