64. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2014

Versuch eines fremden Näherkommens

„Le beau danger“ (René Frölke, D 2014)

Die Tonspur rauscht, ja knistert. Das erste Bild ist eine Texttafel, mit nur einem einzigen Wort und einem Satzzeichen: „No,“. Was dann kommt, sind über etliche Minuten weitere Texttafeln. Ein englischer Text, mit dem der Zuschauer alleine gelassen wird. Insgesamt 169 weitere Texttafeln werden im Film „Le beau danger“ von René Frölke noch folgen. Erst später, nach vielleicht 10 Minuten, sieht man etwas anderes als ein „Textbild“. Man kann dieses „No“ (obwohl es der Anfang einer Geschichte ist) als Symbol für die Verweigerung des Regisseurs begreifen, einen konventionellen Dokumentarfilm über seinen Protagonisten, den rumänischen Schriftsteller Norman Manea, zu machen. Vielleicht ist es auch die produktive Kapitulation, sich diesem auf die Achtzig zugehenden Mann tatsächlich zu nähern, der als Kind das Konzentrationslager überlebt hat und erst spät, im Alter von 38 Jahren freier Schriftsteller wurde, 1986 aus Rumänien emigrierte und seitdem in New York lebt.
Frölkes Film setzt auf eine Versuchsanordnung, die den Künstler mit experimentellen Mitteln künstlerisch zu begreifen versucht. Es ist ein Spiel mit Texttafeln, die mehr als eine Geschichte erzählen sollen, Einblicke in dichterisches Schaffen geben wollen, und filmischen Fragmenten von diversen Interviewsituationen mit Dritten, die sich in Form und Inhalt ähneln, denen Frölke als Außenstehender mit seiner distanzierten Kamera beobachtend „beiwohnt“. Dazu gesellen sich Aufnahmen von bestimmten Orten und Realitätsausschnitte in Festeinstellungen wie Footage, das übrig geblieben ist.
Spröde: Norman Manea in „Le beau danger“ (Foto: René Frölke)
Frölke versucht, Manea sich und uns näherzubringen, indem er ihn spröde als Fremden belässt. Diese paradoxe Methode tritt auch in den Interviews zu Tage, die Frölke zum Film gibt. Er erzählte dem Forumspublikum in Berlin auf die Frage, warum er Texttafeln für den Film verwendet habe, dass man so in seinem Film am Besten das Werk Maneas kennen lernen könne, auch weil man im Grunde genommen nichts über einen Schriftsteller und sein Werk erzählen könne. Nur das Werk, die Literatur, könne für sich selbst sprechen, mit anderen Worten: sich aus sich heraus erklären. (Nebenbei bemerkt würde diese irrende Annahme den Tod nicht nur jeder Literaturwissenschaft bedeuten.) Frölke er- und bekannte zugleich, jetzt über Manea erklärend zu sprechen. Erst in diesem Gespräch nach dem Film erfuhr der Zuschauer, dass die Texttafeln eine neun Seiten lange Kurzgeschichte in Gänze wiedergegeben hatten und später im Film Fragmente aus einem Roman von Manea gefolgt waren. Frölkes Film war diese Erklärung schuldig geblieben. Der Zuschauer konnte nur versuchen, die Verrätselung von vielen irgendwie zusammenhängenden Texttafeln für sich zu entwirren und zu interpretieren, den Zusammenhang herzustellen, der für Frölke so offensichtlich schien. Kennt mam Frölkes Erklärungen wird vieles klarer. „Der Film ist letztlich ein Versuch, Text und Bild sich gegenseitig befragen zu lassen. Mir scheint, es ist auch eine Beobachtung, in der die Zerrissenheit unserer Zeit erkennbar wird. Eine Zerrissenheit, in der die Information zum Gegenspieler der Erfahrung und somit auch der Erinnerung wird“, meint Frölke in einem anderen Interview.
Frölkes künstlerischer Film ist modern, erklärt sich nicht aus sich selbst heraus, sondern bedarf der Erläuterung, widerspricht eklatant, aber produktiv seinem Ansatz und Diktum, für sich stehen zu können. Sein interessanter Versuch, kein kohärentes Künstlerportrait zu liefern und statt dessen die Frage, „wie sich Erinnerungen und Erfahrungen von Exil und Entfremdung vermitteln lassen, in Literatur und Film“ (Berlinale-Katalog), mit einem sehr freien Essay filmisch „abzuarbeiten“, verlangt dem Zuschauer viel ab. Neben der Bereitschaft, sich auf filmische Verschiebungen, ja den beinah „statischen“ Tanz zwischen Text(tafeln) und Bild einzulassen, auch die Geduld, sich einem kreativen Sehen „hinzugeben“, ohne unmittelbar den Sinn des Ganzen sogleich verstehen zu können. Insofern war „Le beau danger“ nicht nur ein Film fürs Forum auf der Berlinale, sondern wäre auch etwas für die Documenta in Kassel. (Helmut Schulzeck)
„Le beau danger“, Deutschland 2014, 100 Min., Farbe. Regie, Buch, Kamera und Schnitt: René Frölke, gefördert von der Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Projekts „Grenzgänger“
Cookie Consent mit Real Cookie Banner