17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2013
Einander fremd sein
„Öffne dein Herz“ (Antje Lass, Deutschland 2013)
„Öffne dein Herz und du wirst sehen, dass die Liebe zu dir kommt …“, singt Preetis Mutter gegen Schluss des Dokumentarfilms von Antje Lass. Doch die Zeilen dieses in seiner Einfachheit sentimental wirkenden Liedes wirken zu diesem Zeitpunkt wie eine Illusion und grundieren das vorher im Film Gesehene leicht bitter. „Öffne dein Herz“ porträtiert die junge Inderin Preeti, die als zahnmedizinerische Fachkraft in Norddeutschland lebt, und beobachtet den Konflikt der immer noch jungen Frau mit ihrer Mutter in Indien.
Der Film thematisiert wie nebenbei erzählt eine grundsätzliche Entfremdung zwischen Mutter und Tochter, anlässlich eines Besuchs der Protagonistin mit zwei deutschen Freundinnen (eine von ihnen ist die Filmemacherin) in ihrer indischen Heimat. Damit essentiell verknüpft beleuchtet er zugleich kulturelle Unterschiede zwischen indischer und westlicher Welt. Und obwohl der Film nicht länger als knappe 47 Minuten ist, schafft er es, präzise die Problematiken anzusteuern. Sicherlich erzählt er sein Thema nicht aus bzw. zu Ende; aber das wäre auch zu viel verlangt von einem mittellangen Autorenfilm, der neben den Schilderungen seiner Personen auch in Situationen und Bildern erzählen will.
Zu Beginn ein kurzer Blick in eine Zahnarztpraxis, Preeti bei der Arbeit, dann ein Blick in die Freizeit, Preeti tanzt belustigt und ungestüm an der Förde bei der Kieler Woche. Kurze Einführungen aus dem Off und schon befinden wir uns vor dem Abflug nach Indien auf dem Airport. In Indien, auf der Bahnreise in den Norden: der erste Kontakt für Preetis Begleiterinnen mit der indischen Bevölkerung. Die älteren Herren stehen der westlichen Kultur, wenn auch freundlich im Ton, skeptisch gegenüber, sind von ihrer eigenen überzeugt. Wenig später im Film erreichen die Besucher Preetis Heimatort. Die mehrstöckigen Häuser dort wirken wie eng aber imposant in die Bergwelt „geklatscht“. Hier zuhause trifft Preeti zuerst auf ihre Schwester Jyoti, von der wir erfahren, dass sie in Hamburg lebt. Der Gegensatz zwischen beiden Schwestern wird später im Film noch deutlich. Während Preeti sich total in Deutschland integriert zu haben scheint, vom flachen Land und dem Meer in ihrer neuen Heimat schwärmt und auch gar nicht mehr für länger in die für sie enge nordindische Bergwelt zurück will, beklagt sich ihre Schwester Jyoti über die Isolation in Deutschland, die Unzufriedenheit der Leute dort, kritisiert das Westliche grundsätzlich: „Hier sind die Leute im Lebensverhältnis arm und da sind die Leute im Kopf arm“. Jyoti preist die genügsame und freundliche Lebenseinstellung ihrer Landsleute, die mit wenig glücklich sein können, und plant deshalb ihre Zukunft in Indien. Frappant bringt sie die typischen Klischees auf den Punkt, die trotz aller Pauschalität so wahr sein können.
Entfremdet in der alten „Heimat“: Preeti
Doch der „Clash of Cultures“ offenbart sich nicht nur in den unterschiedlichen Einstellungen der Schwestern, sondern spiegelt sich tiefer im entfremdeten Verhältnis zwischen Preeti und ihrer Mutter. Er ist aber hier nicht vor allem kulturell verursacht, sondern hat seine Wurzeln in Kindheit und Jugend von Preeti, die zusammen mit Jyoti getrennt von ihren leiblichen Eltern in Internaten und bei Pflegeeltern aufwuchs und dies offenbar anders verarbeitet hat als ihre Schwester. Die westliche Kultur, das weit von ihrer Heimat geführte Leben, scheint so zu einer Befreiung aus ihren negativen Kindheits- und Jugenderfahrungen zu werden. Fluchtpunkt Deutschland, das in seiner scheinbar freieren Lebensführung, alte Wunden besser heilen lässt? Gesagtes und Filmbilder legen diese Interpretation nahe, auch wenn eine Antwort letztlich nicht gegeben wird.
Der Film profitiert von der Nähe der Filmemacherin zu ihren Protagonistinnen. Antje Lass als Regisseurin und Kamerafrau in einer Person konnte die intimen Situationen von Vieraugengesprächen mit Preeti, ihrer Mutter und auch den anderen aufs Beste nutzen. Langsam öffnet sich Preeti, von der doch am Anfang gesagt wurde, dass sie in Deutschland nur ungern von sich selbst erzählte, und auch die Mutter hat Vertrauen zur Filmemacherin gefasst. So erfahren wir von der „Leidensgeschichte“ eines Mädchens, deren „Odyssee“ sie durch mehrere Internate führte und die eher Halt bei ihren heute noch geliebten Pflegeeltern findet als bei ihren leiblichen, denen Beruf und anderes in Bhutan und Nepal wichtiger zu sein schien. Wir hören aber auch die Erklärungen der Mutter, die schließlich einsichtig und selbstkritisch zugibt, dass sie ihren Kindern keine Liebe geben konnte.
Am Schluss bleibt die Hoffnung der Mutter, dass die Tochter eines Tages, „bevor sie alt ist“, endgültig zurückkommen wird und, damit unausgesprochen, die Hoffnung auf „wirkliche“ Versöhnung. In seinen letzten Bildern zeigt der Film noch einmal das Hier und Hort, vorgebliche Libertinage („Partymachen“, Orginalton Preeti) gegen indische Kontemplation und Ruhe, und entlässt uns nachdenklich, gerade weil vieles gesagt wurde, aber das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen ist. (Helmut Schulzeck)
„Öffne dein Herz“, Deutschland 2013, Farbe, 46 Min., Buch, Regie, Kamera, Ton, Schnitt: Antje Lass, Supervision Schnitt: Milenka Nawka, dramaturgische Beratung: Jonas Grosch. Filmtrailer.
„Öffne dein Herz“ wird auf dem 17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide am Samstag, 16. März 2013, 15.30 Uhr in der Pumpe, Haßstr. 22, 24103 Kiel, gezeigt.