63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013

Die nicht so schönen Tage

„Gold“ (Thomas Arslan, D 2013)

Einen Western, hörte man im Vorfeld der Berlinale, habe Thomas Arslan gedreht. Nun ist der Western ein Genre, das wie kaum ein zweites von zwei Seiten her definiert ist. Da ist zum einen die Ikonografie: Pferde, Hüte, Revolver, optional Indianer, Rinder, Planwagen – um nur ein paar Merkmale zu nennen. Zum anderen ist da der Mythos: die Landeroberung, das Duell, die Fragilität des Gesetzes, die Spannung zwischen dem Pionier und dem Bürger. Thomas Arslans Film spielt nun zu einer Zeit, da viele dieser Elemente obsolet geworden sind. Arslan schickt seine Figuren auf Goldsuche nach Kanada, zu erobern gibt es in diesem Sinne nichts mehr – es handelt sich um ein Pioniertum zweiter Ordnung. Die deutschen Teilnehmer der Expedition nach Dawson, das großen Reichtum auf noch verfügbarem Land verheißt, haben alle schon einmal versucht, in den – selbst gerade erst eroberten – USA Fuß zu fassen. Daran ist jeder von ihnen auf jeweils verschiedene Weise gescheitert, so dass nun eine Gruppe von – so hart kann man es wohl sagen – hoffnungsvollen Verlierern zum zweiten Mal den amerikanischen Traum träumt.
Viel eher ein Goldsuchfilm also. Und was bleibt vom Western? Nicht viel mehr als die Ikonografie – also Hüte, Pferde, Waffen, ein Planwagen. Wenn man nun all diese Zeichen ernst nimmt, also in dem Sinne, dass sie auch Gegenstände sind, dann kann man es so machen wie Thomas Arslan. Man stattet seine Figuren damit aus, dazu noch mit all der Kleidung, über die sie noch aus ihrem gescheiterten ersten Versuch verfügen, und stellt sie in die Landschaft, die nun mal so ist wie sie ist: mal spektakulär und erhaben, mal herzlich banal. Insofern ist es durchaus ein Kompliment, wenn sich ein Sitznachbar mokiert, manches sehe aus wie bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. So sieht es halt aus, wenn fachfremde Menschen abenteuerlustig und verkleidet in der Landschaft herumstehen und -reiten.
Passt nicht in die Umgebung, ist aber trotzdem da: Nina Hoss auf Goldsuche in Kanada (Foto: Patrick Orth)
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen sehen wir nämlich die Westernzeichen im anfangs gemächlichen Fluss der Reise sich normalisieren, während das menschliche Drama zunimmt. Wie in John Fords „Stagecoach“ enthüllen die höchst verschiedenen Figuren unter Druck ihren wahren Charakter. Dieser Druck ist aber nur die Beschwerlichkeit des Wegs. Es gibt keine angreifenden Indianer. Die einzigen, die man trifft, sind vielmehr gute und geschäftstüchtige Helfer. Gefährlich ist lediglich, ihrem Rat aus Vorurteilen heraus nicht zu folgen. Was es in dieser Gruppe aber nicht gibt, ist ein John Wayne (auch wenn der von Peter Kurth gespielte Anführer Laser in manchen Einstellungen an den kantigen Helden zu erinnern weiß – äußerlich wohlgemerkt). Darin unterscheidet sich Arslan am deutlichsten vom Erzählmuster des Western. Die Heldentat, wenn es eine gibt, ist die Stressbewältigung. Wenn man so will, platzt für die meisten Teilnehmer die Spekulationsblase. Nur wer lern- und kooperationsfähig ist, kommt weiter. Letztlich folgen wir also einer Professionalisierung. Und die liegt sehr wesentlich darin, die eigenen Grenzen zu erkennen. Folgerichtig gibt auch das Koch-Ehepaar, die einzigen echten Profis, vorzeitig auf und bleibt in einer kleinen Ortschaft zurück. Insofern gilt es – wenn man so will -, in „Gold“ ironischerweise gerade nicht darum, in die „frontier“, also über die Grenze hinaus vorzudringen, sondern sich innerhalb der Grenzen zurechtzufinden. Räumliche Grenzen spielen demzufolge auch gar keine Rolle.
Wie gesagt, Arslan ist offensichtlich nicht daran gelegen, mit Mythen zu spielen, sondern er nimmt eine Genresituation ernst. Soll heißen, er nimmt Ausgangspunkte, Ausgangssituationen und lässt sie sich dann entwickeln, und zwar nicht so, wie wir es aus unzähligen Western kennen, sondern so wie er annimmt, dass Menschen sich in dieser Situation verhalten würden. Und so spielen Eitelkeiten, Angst und immer wieder wirklich gefährliches Halbwissen eine Rolle. Am drastischsten kommt das alles zusammen, wenn der Journalist Müller (Uwe Bohm) in eine Bärenfalle stapft. Dem drohenden Wundbrand zu entgehen, ringen sich die Goldsucher zur Amputation durch. Instrumente: Säge, Whisky, Beißstock. Zudem ist die Operation nutzlos, der Patient stirbt kurz darauf.
So geht es andauernd: Wo geht es lang, wie jagt man schmackhafteres Essen als getrocknete Kartoffeln, was ist gerecht? Es ist ein einziges Scheitern, denn normale Menschen sind nun einmal keine Helden, sondern normale Menschen. All die großartigen Schauspielertypen, die diesen Film bevölkern, vermögen genau das plastisch zu machen: Sie passen nicht in die Umgebung, aber sie sind trotzdem da. Das allein aber reicht noch nicht für den Erfolg ihrer Figuren: Der amerikanische Traum ist eben nur ein Versprechen. Wenn es gebrochen wird, kann man niemanden dafür verantwortlich machen. Insofern ist der Schluss, den Arslan wählt, vielleicht für viele Zuschauer unbefriedigend, aber vor allem höchst konsequent. (Sven Sonne)
„Gold“, D 2013, 113 Min., DCP. Buch, Regie: Thomas Arslan, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Bettina Böhler, Darsteller: Nina Hoss, Marko Mandic, Uwe Bohm, Lars Rudolph, Peter Kurth, Rosa Enskat, Wolfgang Packhäuser u.a.
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