BLITZFILM-Festival in China:
Langer Marsch der kurzen Filme
Wir hatten schon im Jahr 2010 erklärt, an die Grenzen unserer Kräfte und Möglichkeiten gekommen zu sein. 2012 führten wir dennoch 26 Veranstaltungen in zehn chinesischen Städten durch. Der finanzielle Rahmen, der durch die Förderung der FFHSH und German Films sowie einzelner Sponsoren zur Verfügung steht, ist weder den rasanten Preissteigerungen Chinas gefolgt, noch konnte er den sich verschlechternden Wechselkurs des Yuan ausgleichen. Wir haben für unsere Arbeit de facto weniger Geld zur Verfügung.
Festivalauftakt
Es ist uns durchaus bewusst, nicht nur die größte Präsentation des deutschen Kurzfilmschaffens in China etabliert zu haben, es gibt auch kein anderes Land, dem etwas ähnliches gelungen wäre. Vergleichbare Initiativen wurden nach kurzer Zeit eingestellt. China hat einen enormen Hunger nach Informationen und Bildern, doch spielt das Land nach eigenen Regeln und macht es seinen Gästen nicht leicht. Wir hatten den Vorteil, uns das Land nicht selbst ausgesucht zu haben. Wir folgten einer Einladung aus China voller Neugier und ohne Erwartungen. Und da dieser erste Besuch für beide Seiten eine positive Überraschung war, konnten wir uns in einer fremden Kultur langsam vorantasten. Wir haben gelernt, Fettnäpfchen zu umgehen, und über die Jahre ein Netzwerk an Kontakten aufgebaut, das von staatlichen Stellen, über den privatwirtschaftlichen Kunstbetrieb bis hin in die großstädtische Subkultur reicht. Das Abenteuer solcher Reisen mag zwar für vieles entschädigen, doch die Selbstausbeutung hat natürliche Grenzen. Wir suchen nach Institutionen, denen das BLITZFILM Festival mehr wert ist als ein Schulterklopfen. Wir können und wollen nicht weitermachen wie bisher.
Dabei war unsere Rundreise überaus erfolgreich. An einigen Orten gibt es eingefleischte Fans, die keine unserer Veranstaltungen der letzten Jahre verpasst haben, einige sind uns sogar nachgereist, um die Filme ein weiteres Mal sehen zu können.
Wenn Kurzfilme offene Münder hervorrufen …
Die Entwicklungen sind in diesem Land rasant, und die chinesische Regierung investiert enorme Summen, um eine eigene Filmindustrie jenseits von Hongkong aufzubauen, die im globalen Konkurrenzkampf Bestand hat. Kaum eine Uni wagt es, auf einen Filmbereich zu verzichten, und Kunstuniversitäten eröffnen New Media Departments. Inzwischen gibt es auch privatwirtschaftlich geführte Filmhochschulen – mit enorm hohen Studiengebühren.
Banner mit Willkommensgruß an das Deutsche Filmfestival
Die Rezeption von Filmen ist im Wandel, und die ablehnende Haltung gegen jegliche ungewöhnliche Filmsprache ist der Neugier gewichen. Unsere Sonderveranstaltungen mit Vorträgen und Workshops fielen auf fruchtbaren Boden. Angehende Filmemacher wollen nicht nur Ideen aus dem Westen kopieren, sie fragen auch nach dem Wie und Warum. Eine Universität bot eine Stelle als Gastdozent an. In einer Podiumsdiskussion mit Kimiko Suda, die das Asian Film Festival Berlin organisiert, und dem Organisator des Kinemastik Malta International Shortfilm Festival Slavko Vukanovic diskutierten wir darüber, wieso man sich in Zeiten von Internet und Youtube für Kino und Filmfestivals engagiert. Die Diskussionen am Ende der Filmveranstaltungen sind ein gern genutzter Anlass, sich über die Situation in Deutschland zu erkundigen, jenseits der gefilterten offiziellen Informationen, und man diskutiert auch Missstände im eigenen Land.
Unser Konzept, nicht einfach ein Filmprogramm abzuspulen, sondern schwer verdauliche Kost zusammen mit Informationen und Unterhaltung zu präsentieren und die Mischung am jeweiligen Publikum auszurichten, wird sehr geschätzt. Interaktion mit Künstlern und anderen Kunstformen gehört dazu. 2012 hatten wir mit dem renommierten serbischen Perkussionisten Igor Malesevic einen Musiker als Mitstreiter, der bereits bei der Expo in Shanghai für sein Land trommelte und beim European Songcontest in Baku auftrat. Seine Auftritte bei BLITZFILM waren meist ein Zusammenspiel mit lokalen Musikern zu Projektionen von Bildmaterial, das während der Reise entstand. Unvergessen ist sein Auftritt in Chongqing mit einem mongolischen Obertonsänger und einem französischen Jazz-Saxofonisten.
Igor Malesevic’ BLITZFILM Jam Session im chinesischen TV
In Kunming wurde die Filmshow zu einem rauschenden Fest. Die bekannteste Modedesignerin der Siebenmillionenstadt entwarf, inspiriert durch Martinas Faible für Silberschmuck und die Farbe Schwarz, Outfits im Gothic-Look für die Mitarbeiterinnen der Galerie. Die Veranstaltung ging fließend über in eine Party, bei der Igor mit der Sängerin einer bekannten Popband jammte. Die Galeriebetreiberin schwärmte von „der furiosesten Veranstaltung des Jahres“.
Gothic Blitzfilm Party in Kunming
Es ist aufregend zu erleben, wie sich die Kultur des Landes wandelt, und es ist berührend, Teil dieser Entwicklung zu sein. Unsere Freunde in Tianjin, die seit Jahren Underground-Kino veranstalten, hatten 2011 in einem Rock-Club die Doku „Der Häuserfilm“ über Stadtsanierung und Widerstand gezeigt und uns die Möglichkeit gegeben, live über Skype mit dem Publikum zu diskutieren. Die Zähigkeit, mit der die Aktivisten vom „Independent Film Fans Kindergarten“ gegen alle Unbill arbeitet, machte sich bezahlt. Es war zu einem Teil echte Untergrundarbeit. Die Behörden waren wenig erfreut über das Zeigen unabhängiger und auch verbotener Filme. Das öffentliche Plakatieren für die Filmshows wurde untersagt, der Polizei gelang es jedoch nur für kurze Zeit, die Veranstaltungen ganz zu unterbinden. Vor wenigen Monaten fiel ihr Veranstaltungsraum dem Bauboom der Zwölfmillionenstadt zum Opfer. An der Stelle des Rock-Clubs findet man nun eine U-Bahnstation. Die Suche nach einem neuen Veranstaltungsort führte zum Schritt vom Untergrund in den offiziellen Kulturbetrieb. Ein Kinobesitzer hat den Filmaktivsten einen festen Termin in seinem Multiplex Kinocenter gegeben. Wir hatten unsere Aufführungen in dem ausverkauften Kinosaal. Eine Filmprofessorin hielt die Eröffnungsrede. Die staatliche Kontrolle der Filmkultur wird den sich ändernden Gegebenheiten angepasst. Es lässt sich längst nicht mehr alles kontrollieren.
Wir bereisten in der Zeit des Regierungswechsels das Reich der Mitte. Zu diesem Zeitpunkt ließ die Regierung die Muskeln spielen und zeigte, wozu sie auch in der Lage ist: Sie verbot das China Independent Filmfestival in Nanjing, die wohl etablierteste Plattform des unabhängigen Films des Landes, und in dieser Zeit wurde auch die Internetzensur verschärft. BLITZFILM blieb von dieser Situation weitgehend unbehelligt, nur eine Universität bat uns, einen Film aus dem Programm zu nehmen. Es war ein Musikvideo im Stil eines Zombie-Films.
2012 galt es wieder, veranstalterisches Neuland zu betreten. Gleich mehrfach fand BLITZFILM in kommerziellen Kinos statt. Weitaus spektakulärer erschienen uns Veranstaltungen für die Belegschaften einer Manufaktur für Luxus-Wohn-Accessoires und einer Fabrik für LED-Leuchten. Als berührendste Vorführung blieb uns eine Show für chinesische Kinder in Erinnerung. Mit offenen Mündern folgten sie dem Geschehen auf der Leinwand, und nach dem Lieblingsfilm befragt, hatte fast jeder einen anderen persönlichen Favoriten.
BLITZFILM und das Filmpublikum von morgen
Es klingt nach vielen Möglichkeiten und einer großen Zukunft für das Festival. Aber nach sieben Jahren ist eine Zukunft von BLITZFILM alles andere als gewiss. (Text und Fotos: Karsten Weber)