62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012
Gesellschaften der Sprachlosigkeit
Anmerkungen zu den deutschen Filmen im Wettbewerb
Sprache in den deutschen Wettbewerbsfilmen, die nicht stattfindet, direkte Auskunft verweigert, sich in leere Formeln flüchtet oder in ihrer Kargheit erstarrt. Am ausdrucksvollsten ist das Schweigen der Ärztin „Barbara“ und des übrigen Personals in Christian Petzolds gleichnamigen Film. Wir sehen eine pathologische Gesellschaft infiziert vom Stasi-Virus, dessen offensichtliche Symptome Überwachung, Vorsicht und Angst heißen. Sprache kann verraten oder verräterisch sein, nicht geahnte Folgen haben, weil sie, auch unerwünschte Schlüsse zu ließe. Nina Hoss spielt Barbaras Auskunftsnegation in sturer Sprach- und Informationsverweigerung und trockenem Sarkasmus schmallippig , „beredt“ schweigend und ausdruckstark. In dieser Gesellschaft bleibt jeder eine Insel. Die Natur steht in einem deutlichen Kontrast zu dem versteinerten, aufoktroyierten sozialen Gefüge. Sie „erzählt“ unschuldig von ihrer immanenten Unbelastetheit. Der Wald als heimlicher Schutzort für verbotene flüchtige Schäferstündchen, der heftige Wind in den rauschenden Bäumen der Feldmark und den verbotenen Gestaden der Küste signalisieren mögliche Freiheit. Petzold schafft es, in einem Mikrokosmos der DDR-Provinz die Charaktere glaubhaft in ihrer Ambivalenz zu zeigen, ohne das Geschehen plakativ aufzubauschen oder mit hinzurätselnder Bedeutung zu überladen. Alle sind in Zwangssituationen, die zuvorderst sprachlos machen, aus denen es schwer ein Entrinnen gibt. Die Ärztin Barbara sucht die Möglichkeit zur Flucht in den Westen, ihr freundlicher Chef und Kollege André (Ronald Zehfeld) Vertrauen, Freundschaft und mehr; das drangsalierte, rebellierende Heimmädchen Stella (Jasna Fritzi Bauer) kämpft ums blanke Überleben in des Wortes reinster Bedeutung. Das Geschehen entfaltet sich ruhig in seiner klaren Kompliziertheit, wird kaum von der kontrollieren wollendenden Sprache beherrscht. So vorgeblich einfach kann man einen guten Film machen.
Nina Hoss in der Titelrolle in Christian Petzolds Film „Barbara“
Das sprachliche Zögern, Zaudern, Drumrumreden und Verschweigen in „Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid ist auf Dauer nervtötend und ach so altbekannt. Gelobte Sensibilität des Drehbuchs entpuppt sich als Klischee. Jeder ist schwach, möchte nicht verletzen, vor allem nicht sich selber. Offenheit kommt immer zu spät oder ist vergeblich. Das Lavieren in der Sprache, das schon gewohnt Geäußerte, ja das bis zu einem gewissen Grade nur Alltägliche, nicht zu Konkrete beherrscht die Dialoge. Jedes zweite Wort wird nach bewährter Art der Berliner Schule, obwohl Regisseur Schmid doch gar nicht dazu zählt, nicht gesagt. Eine klassische deutsche Mittelstandsfamilie eiert um ihre typischen Probleme herum. Das Nichtverstehen unter einander als Programm ist nicht nur tragisch sondern bisweilen banal, besonders, weil wir es schon tausend Mal in anderen Filmen gezeigt bekommen haben und wöchentlich in der einen oder anderen Form via Fernsehen erleiden dürfen. Es kommt schließlich zur finalen „Katastrophe“, und letztlich geht alles so weiter wie zuvor. Na und?!
Corinna Harfouch in „Was bleibt“
So ist „Was bleibt“ ein auf die Leinwand verirrtes Fernsehspiel, das in Thematik und Darstellung kaum Neues zum Althergezeigten hinzufügen kann. Allein die Stereotypen, die die einzelnen Familienmitglieder verkörpern, verdeutlichen schon die ganze Malaise. Der Vater (Ernst Stötzner) ist ein wohlhabender, in den Ruhstand gehender mittelständischer Verleger, natürlich mit verheimlichter Geliebter, einer Buchhändlerin; klar bei seinem Beruf. Seine Ehefrau (Corinna Harfouch) ist eine sich um die Fassade mühende, Antidepressiva schließlich verwehrende Hausfrau, der nach allen scheiternden Emanzipationsversuchen nur noch die Flucht ins Nirgendwo bleibt. Die Söhne sind natürlich zwangsläufig erfolglos bzw. unbedeutend als Zahnarzt (Sebastian Zimmler) und als Schriftsteller (Lars Eidinger); verwöhnte, aber sensible „Kerlchen“ halt, die durchaus kämpfen. Lars Eidinger als schriftstellernder Sohn eignet sich mit seinem Kaum-etwas-Sagen, seinem verschämten leisen Lächeln ohne viele Worte hervorragend als Projektionsfläche für den Zuschauer. Er teilt wenig über sein Wesen oder Selbstreflexion mit, bietet daher umso mehr Spekulationsmöglichkeiten nicht für die Personen im Film, denn die sind nicht wirklich an den anderen interessiert; aber uns, die Filmschauer, könnten sie aufmerksam machen. Doch die Dialoge können das Personal für uns leider nicht wirklich „retten“. Dieses gebärt sich letztlich zu uninteressant weil floskelhaft, schade um die exzellenten Schauspieler. Was bleibt, ist der dunkle deutsche Wald mit seinen hohen Wipfeln als mythischer Ort, in dem die beiden „Hänsel“ gemeinsam mit ihrem Vater vergeblich nach der zuvor so verschmähten Mutter suchen und einer dann in einem zweiten Anlauf noch einen für weitere Kritiker schön zu deutenden Traum geschenkt bekommt.
Der treffendere Titel „Vergebung“, denn um die handelt es sich eigentlich in dem Film von Matthias Glasner, war wohl schon durch Titelschutz für die gleichnamige Stieg-Larsson-Roman-Verfilmung blockiert. Und so heißt der Film jetzt „Gnade“, was man bedeutungsmäßig mit Wohlwollen in Verbindung bringen kann, und was oft auch in Bezug zu religiösen Implikationen steht. Wohl gewollt hat Matthias Glasner sicherlich mit seinem in Norwegens Hammerfest in der winterlichen, täglich 24 Stunden dauernden Polarnacht angesiedelten Film. Was die Einbeziehung von grandioser Natur, „magischem“ Licht und nordischer Atmosphäre betrifft, ist ihm das auch vorzüglich gelungen. Originalsets und Kamera schlagen die Handlung um einiges. Dem nordischen Temperament ihrer Umgebung angemessen schweigen sich die Hauptpersonen, fast die reine elendige Leere erreichend, bisweilen durchs Geschehen. „Skandinavische“ Sprachlosigkeit wacht über das ach so mächtige Schicksal. Aber Gott sei Dank gibt es dann zum Schluss in mitsommerlicher Idylle, pseudo-dokumentarisch vor tief stehender Sonne von der Kamera eingefangen, etwas, was keine Dialoge mehr braucht: „Erlösung und Gnade“, für die kleine deutsche Familie unter all den modernen, aber dennoch kernig gebliebenen Wikingern. Dass dieser Sprache entberende Epilog etwas an den Film, auch in seiner Bildästhetik, drangesetzt wirkt, ist noch das Geringste.
Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel in „Gnade“
Vorher wird der Zuschauer bald satte zwei Stunden in seiner Festivalgeduld „geplagt“. Ohnmacht lässt Täterin und den durch Mitwisserschaft zum Komplizen gewordenen Ehemann oft verstummen. Angst vor den Konsequenzen ihres Tuns lässt die Worte nur noch schwer wie Blei, formelhaft und hilflos trocken aus ihrem Mündern fallen. Die frostigen Temperaturen und das tragische Ereignis um einen zunächst durch Fahrerflucht kaum wahrgenommenen, vorerst vertuschten, letztlich durch unterlassene Hilfeleistung zu verantwortenden tödlichen Unfall lässt die Sprache versteifen, isoliert die Personen, die mit der Seele strampeln. Birgit Minichmayr als Maria ringt und ringt mit sich selbst, beschwört und beschönigt. Worte kommen wie von Papier. Ehemann Niels (Jürgen Vogel) glotzt vor sich hin, starrt stumm, erstarrt bis zur Verhärtung und gewinnt so eisige, wortlose Fassung. Glasners Drehbuch übertreibt oder untertreibt, fast mit Freude, möchte man meinen, fordert, trifft trotz guter Schauspieler nicht immer ins Ziel. Die Dialoge scheinen manchmal fast hölzern, nicht nur, weil sie sprachliche Hilflosigkeit der Personen treffend charakterisieren, sondern weil Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson auch mitunter hilflos zu sein schien – oder weil die deutsche Übersetzung sich von falschen Steifheiten nicht lösen konnte? Das Ganze quält sich inklusive seiner sensiblen, wenn auch nicht immer spannenden Nebenhandlungen bisweilen auf der Stelle. So konnte dann Journalist Harald Martenstein, der im Berliner Tagesspiegel schon seit Jahren eine tägliche, oft ironische und amüsante Berlinale-Kolumne verfasst, spaltenlang, freilich neu sortiert, die hilflosen Frageformeln, mit denen der Film nur so glänzt, dokumentieren, was hier nur ausschnittsweise, abermals neu sortiert, wiedergegeben sei: „Du willst gar nichts sagen?“ – „Können wir privat sprechen?“ – „Was?“ – „Du weißt, dass wir niemals davon erzählen dürfen.“ – „Seit sechs Monaten vögelst du mit mir und dann ist plötzlich Schluss?“ – „Du glaubst, du kannst einem in den Rucksack spucken und dich dann einfach nur entschuldigen?“ – „Was habt ihr gedacht, was jetzt passieren sollte?“ – „In Kiel hattest du auch eine?“ – „Ist das nicht schön?“ (Helmut Schulzeck)
„Barbara“, Regie: Christian Petzold, D 2012, 105 Min.
„Was bleibt“, Regie: Hans Christian Schmid, D 2012, 85 Min.
„Gnade“, Regie: Matthias Glasner, D 2012, 131 Min.