Direkter Blick auf die Poesie der Wirklichkeit
Im KulturForum Kiel porträtiert eine Filmreihe den Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn
Mitte der 70er Jahre schrieb Klaus Wildenhahn mit seiner 5-teiligen Filmreihe „Emden geht nach USA“ nicht nur TV-Geschichte, sondern löste auch einen Skandal aus. Sein Porträt der VW-Standorts Emden, der in die USA verlegt werden sollte, sein Blick auf die dortigen Arbeiter und ihre Umgebung schien den NDR-Programmmachern zu „direkt“. Oder auch zu ungeschönt. Aber genau diesen direkten, authentischen Blick auf die Wirklichkeit, den manche so nicht aushalten mochten, beabsichtigte Wildenhahn in seinen Dokumentarfilmen. In der Filmreihe „Poesie der Wirklichkeit“ zeigt das KulturForum zwei Dokumentarfilme Wildenhahns und zu Beginn das Porträt „Klaus Wildenhahn. DIRECT! Public and Private“ von Quinka Stoehr in der erstmals in Kiel zu sehenden 85-minütigen Kinofassung.
„Direct cinema“ heißt die Methode, die Wildenhahn in den 60er Jahren vom britischen Dokumentaristen Richard Leacock gelernt und weiterentwickelt hatte. Sie beschrieb er einmal so: „Festfrieren von Stille, Momente des Alleinseins, der Fremdheit breiten sich aus im filmischen Erzählen, Chronologie wird streckenweise aufgehoben. Zeit wird ein Raumgehäuse.“ Diese Technik bedingte wie später beim „Dogma“-Film: bewegliche Kamera, Verwendung natürlichen Lichts, den sich nicht einmischenden Beobachter. Gerade durch letzteren entsteht aber ein sehr individueller, poetischer Blick jenseits von ohnehin nur behaupteter „Objektivität“ des Dokumentarfilms.
In ihrem Dokumentarfilm „Klaus Wildenhahn. DIRECT! Public and Private“, dessen gekürzte TV-Fassung bereits bei 3sat und dessen Kinofassung auf mehreren Dokumentarfilmfestivals gezeigt wurde, verwendet Quinka Stoehr einen ähnlichen Blick. Wildenhahn, den sie in einem Seminar kennenlernte, sei seither „unbedingt ihr Mentor“, sagt die Kieler Filmemacherin. Gleichwohl habe sie ihren „eigenen Film gemacht“, auch wenn Wildenhahn, der immer lieber hinter der Kamera stand als nun vor ihr, schon in der Anfangsszene „Regieanweisungen“ gibt, was „bei einem Dokumentarfilm über einen Dokumentarfilmer nicht ausbleiben kann“, so Stoehr augenzwinkernd. Das „direct cinema“ beobachtet sich hier sozusagen selbst, und das sehr direkt, indem Stoehr nicht nur Wildenhahns Werdegang anhand von Ausschnitten aus seinen Filmen zeigt, auch seine gegenwärtige Lebens- und Schaffenssituation – inklusive während der Dreharbeiten virulenter Krebserkrankung. „Alles Theater“, scherzt Wildenhahn in die Kamera, die, wenn er sie selbst führte, genau das zeigen wollte: Die Wirklichkeit als Welttheater, dem der Dokumentarfilmer seine ganz wirkliche Poesie entlockt. (jm)
Gibt „direct“ Regieanweisungen: Klaus Wildenhahn (Filmstill aus Quinka Stoehrs Doku)
Dokumentarfilmreihe im KulturForum:
So, 4.12.2011, 19 Uhr: „Klaus Wildenhahn. DIRECT! Public and Private“, Quinka Stoehr, D 2010, 85 Min. Im Anschluss diskutieren Klaus Wildenhahn und Quinka Stoehr mit dem Publikum, Moderation: Karl Dahmen (NDR).
Mi, 14.12.2011, 19 Uhr: „498, third avenue“, Klaus Wildenhahn, BRD 1967, 83 Min.
Do, 19.1.2012, 19 Uhr: „Emden geht nach USA (Teil 5): Im Norden das Meer, im Westen der Fluss, im Süden das Moor, im Osten Vorurteile“, Klaus Wildenhahn, BRD 1975-1977, 63 Min.
Eintritt jeweils 3 Euro.