53. Nordische Filmtage Lübeck 2011

Kampf um die Freiheit

“King Of Devil’s Island” (Marius Holst, NOR 2010)

Morgendämmerung am Fjord vor Oslo. Der 17-jährige Erling wird im beginnenden Winter 1915 in Handschellen auf einem Versorgungsschiff auf die Gefängnisinsel Bastoy gebracht wird. Der junge Seemann ruft sich die Bilder von einem enormen weißen Pottwal auf der Flucht vor den Walfängern in Erinnerung: Drei Harpunen und ein ganzer Tag der Jagd waren nötig, bis der Leviathan schließlich zur Strecke gebracht war. Auch Erling ist “harpuniert” und an die Leine gelegt: Der frisch Verurteilte muss eine mehrjährige Strafe im Lager für schwer erziehbare Jugendliche auf Bastoy verbüßen. Viele Seemeilen rauer Atlantik umschließen die Insel, eine Flucht scheint unmöglich. Erlings Auftreten jedoch ist unbeugsam und rebellisch, eine Konfrontation mit dem Direktor der Vollzugsanstalt aber auch mit den anderen Insassen bahnt sich an.
Kings of Devil’s Island” (Originaltitel “Kongen ov Bastoy“) beginnt wie der klassische Gefängnisthriller. Der Neue – im Lager nur C19 genannt – muss sich gegen die sadistischen Aufseher behaupten, bastelt aber unbeirrbar an seinen Fluchtplänen. Erling scheitert schnell, die Strafe folgt mitleidlos, aufgegeben wird er deswegen nicht. Der zwischen pädagogischer Härte und eigennützigen Motiven changierende Direktor HÃ¥kon (souverän und differenziert: Stellan SkarsgÃ¥rd ) zieht die Daumenschrauben aber nicht nur bei Erling (Benjamin Helstad) an, sondern auch bei dem kurz vor der Entlassung stehenden Olav (Trond Nilsen), der sich als Stubenleiter durch vorbildliches Verhalten eine besondere Position erarbeitet hat. Die beiden unterschiedlichen Charaktere werden gegeneinander ausgespielt, was zunächst funktioniert, denn sie verfolgen dasselbe Ziel, aber mit unterschiedlichen Methoden: Während Erling die offene Konfrontation in Kauf nimmt und sich seinen freien Willen nicht nehmen lässt, arrangiert sich Olav mit dem System, um möglichst unbeschadet in die Freiheit zurückkehren zu können.
Regisseur Marius Holst und sein Drehbuchautor Dennis Magnusson nutzen den spannend geschriebenen Plot um den “rebel without a cause” Erling und den vermeintlich angepassten Olav für eine Reflektion über den ewigen Konflikt des freiheitsliebenden Individuums mit dem totalitären System. Die Protagonisten in “King of Devil’s Island” stehen stellvertretend für die politischen Positionen einer Gesellschaft, deren Erhalt auf der Anwendung von Gewalt beruht. Oberflächlich betrachtet scheint es eine Rechtsgrundlage zugeben, auf Bastoy spricht man von Regeln, die zu lernen und zu befolgen sind. Doch es ist die Heimleitung, die Regeln missachtet, Gelder veruntreut, Insassen missbraucht und sich dann gegenseitig deckt. Ungerechtigkeit ist der Nährboden für Widerstand, die aufgestaute Wut entlädt sich wiederum in Gewalt. Ein schwer zu durchbrechender, fataler Kreislauf.
Freiheitswille gegen unterdrückende Gewalt – Benjamin Helstad (mitte) in “King of Devil’s Island” (Foto: NFL)
Regisseur Holst und sein Kameramann John Andreas Anderson verstehen es, die raue Natur nicht nur stimmungsvoll ins Bild zu setzen, sondern als Metaphern zu nutzen: Das Meer lockt mit dem Versprechen der Freiheit, aber gleichzeitig ist die kalte, stürmische Nordsee die definitive Fluchtmauer. Der Winter glättet zwar die Wogen und bedeckt die Landschaft mit leuchtend weißem Schnee, doch die Idylle trügt: Der Weg in die Freiheit führt über dünnes, brüchiges Eis.
Dass Jugendstrafgefängnisse wie das auf Bastoy tatsächlich von der Jahrhundertwende bis in die 50er Jahre existierten und es kurz vor dem Ersten Weltkrieg dort tatsächlich zu einer Rebellion der Jugendlichen kam, gibt dem zeitlosen Thema zusätzlichen Nachdruck: Mit Hunderten von Soldaten und Kanonenbooten musste der Aufstand gewalttätig niedergeschlagen werden. Damals siegte das System. Der menschliche Freiheitswille aber bleibt ungebrochen. Der Einzelne kann einen Unterschied machen, wenn er bereit ist, den Preis zu zahlen. Das erzählt uns der “König von Bastoy”. (dakro)
“King Of Devil’s Island”, Norwegen 2011, 116 min, 35 mm, Regie: Marius Holst, Drehbuch: Dennis Magnusson, Kamera: John Andreas Andersen, Darsteller: Stellan SkarsgÃ¥rd, Benjamin Helstad, Kristoffer Joner, Web: www.kongenavbastoy.no
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