An Hour from the Middle of  Nowhere (D 2023, 83 Min., Regie: Ole Elfenkaemper, Kathrin Seward)

Die USA haben das weltweit größte Abschiebesystem. 2022 wurden – vor allem an der Südgrenze zu Mexiko – jeden Tag mehr als 1.000 Geflüchtete verhaftet. Der Anwalt Marty versucht, sie zu unterstützen, obwohl es kaum Aussicht auf Erfolg gibt. Gerade mal sechs Geflüchteten pro Woche kann er helfen. Für jeden derer bricht unter den Mitarbeiter*innen in seinem Büro Jubel aus. Aber die meisten Fälle sind aussichtslos gegenüber einer staatlichen Administration, die Menschen wie Manöveriermasse behandelt, von den rassistisch motivierten Cops, die vor Ort zu handeln haben, nicht zu schweigen.

Handy-Telefonate zwischen denen, die rüber kamen, und denen, die bleiben mussten. Sehnsucht. Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Durchhalten. Trennung ohne Aussicht auf Wiederbegegnung. All das zeigt der Film eindrucksvoll. Detention Centers, die mit ihren Stacheldrahtzäunen an Konzentrationslager erinnern. Amnesty International protestiert vergeblich …

Die Detention Centers, sagt Marty, lägen nicht im Nirgendwo, sie lägen „eine Stunde davon entfernt“. No Way out, no Way in ins nur scheinbar gelobte Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für die Ausgeschlossenen sind die Möglichkeiten gleich Null. Marty  – sein Handy klingelt – arbeitet weiter, unermüdlich. Wenn es im Legalen keine Möglichkeit gibt, das Menschenrecht auf Asyl und Migration wahrzunehmen, was macht man dann?, fragen die Klient*innen. Marty versucht Antworten, Ratschläge – auf einem wackligen Grund wie Treibsand. Schon beim Frühstück im Unterhemd schaut er aufs Laptop. Was könnte für wen gelingen? „God is not listening to me“, sagt eine Geflüchtete.

Hinzu kommt, dass die Schlepper*innen Millionengeschäfte auf Kosten der Geflüchteten machen. Haben sie die „Klient*innen“ einmal rübergeschafft, zocken sie sie ab, sind beteiligt an jedem Dollar, den die Geflüchteten in Niedrig-Lohn-Jobs – moderner Sklaverei – verdienen. Ein Abhängigkeitsverhältnis auf lange, wenn nicht Lebenszeit. Und im Zweifel profitieren auch die staatlich bestellten Abschieber*innen – Korruption rulez – von dieser Ausbeutung.

„Ich kam in die Gefängnisse als Konservativer”, sagt Marty über die täglich erfahrene Ungerechtigkeit und Unterdrückung seiner Klient*innen, „ich kam heraus als Radikaler“. Als solcher kämpft er weiter für die Geflüchteten. Dabei ist zuweilen taktisch vorzugehen. Was der Geflüchtete vor dem Immigration Court zu sagen hat, muss gut überlegt sein.

„Schon früh in meinem Leben wurde mir bewusst, dass ich gegen Ungerechtigkeit arbeiten muss“, sagt Marty und hat daran festgehalten. Der Film zeigt ihn in diesem Bestreben – und auch im schmerzlichen Scheitern gegenüber den unerbittlichen staatlichen Institutionen. Zuweilen sieht man ihn, wie er aufs Handy schaut, kopfschüttelnd darüber, wie der (Unrechts-) Staat agiert. Seine Fröhlichkeit bleibt, wenn er jemandem helfen konnte. Und der Kloß im Hals über all die, die unrettbar waren … (jm)

Podcast aus der Filmlounge während des Filmfest SH 2024: Felix Arnold (rechts) im Gespräch mit den Regisseur*innen Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward über “An Hour From The Middle of Nowhere” (Foto: Daniel Krönke; Podcast-Produktion: Johann Schultz, Merlin Slamanig):

 

 

Titelfoto: „An Hour from the Middle of Nowhere“ – Filmstill: Anwalt Marty vor einem Detention Camp
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