„Und denn ha’ ick einfach jefilmt …“
Gerald Grote und Claus Oppermann versammelten private Blicke auf die Mauer
Im 50. Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer sind die History-Dokus derer Guido Knopp & Co. Legion auf den TV-Bildschirmen. Und immer sieht man die selben Archivbilder: Genosse Ulbricht, wie er nur wenige Tage vor dem Bau derselben verkündet, „niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten“, Peter Fechters Todeskampf im Stacheldraht und Gefreiter Conrad Schumann, wie er im letzten Moment über die Absperrung springt. Bilder, die die Welt bewegten und immer noch bewegen – aber kaum so sehr wie die, welche die Kieler Filmemacher und Schmalfilmenthusiasten Gerald Grote und Claus Oppermann in ihrem Film „Bis an die Grenze – der private Blick auf die Mauer“ versammelten.
Denn der Schmalfilmamateur hat eine andere Perspektive, die der eigenen unmittelbaren Berührtheit. Zum Beispiel Günter Scheler, der just am 13. August 1961 eine Tonbandreportage über den Mauerbau aufnimmt und den „lieben Tonabandfreunden“ vermeldet, dass ihm „jetzt gerade die Worte fehlen, aber man hört ja, was sich ereignet.“ Und sieht es in den Bildern der gleichzeitig drehenden Schmalfilmkollegen, die ihre Zooms melancholisch über das nun abgeriegelte Brandenburger Tor streifen lassen. So hofft Scheler doch, „ein Dokument zu schaffen, das noch in einiger Zeit Bedeutung hat.“ Hat es, weil Grote und Oppermann es ausgruben unter den Einsendungen von über 100 Schmalfilmamateuren, die sich auf ihren Aufruf unter anderem in Berliner Tageszeitungen meldeten und ihr Film- und Tonmaterial, 8 mm, Super-8 und sogar 16 mm, anboten für die wohl einzigartige Sammlung privater Blicke auf, über und hinter die Grenze, die Deutschland und Berlin fast drei Jahrzehnte schmerzlich teilte.
Freuen sich über den Erfolg ihres Filmes bereits bei der Vorpremiere: Claus Oppermann (l.) und Gerald Grote am Schnittplatz (Foto: Frank Peter)
Wie schon Grotes und Oppermanns Super-8-Kompilationsfilme „8 Millimeter Kieler Woche“ und „Schnee von gestern“ (über die Schneekatastrophe 1979) ist auch „Bis an die Grenze“ nicht nur ein Film über Geschichte, sondern zeichnet auch Schmalfilmgeschichte(n) nach, porträtiert zwölf der Schmalfilmer, die „mehr eingebettet als jeder „˜embedded journalist“˜“ damals auf den Auslöser drückten – wie sich einer im frechen Berlinerisch erinnert: „Und denn ha’ ick einfach jefilmt.“ Die Geschichten, die die Schmalfilmamateure von hüben und drüben in den Interviews erzählen, waren für Grote und Oppermann „mindestens so wichtig wie deren teilweise spektakuläres Material“.
50 Stunden Schmalfilm sammelten und sichteten sie, „250 Filme vom klassischen Drei-Minüter (so lang war eine Super-8-Kassette) bis zur 120-Meter-Rolle“. Sogar heute beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen lagernde Filme, „denn auch die Staatssicherheit nutzte Super-8, um zu observieren, was sich auf der Westseite der Mauer an „˜Personenbewegungen“˜ tat“, berichtet Claus Oppermann von einem besonders kuriosen Fundstück. Jeden unwiederbringlichen Schmalfilmschatz holten die beiden persönlich bei den Beiträgern ab und brachten ihn nach der Digitalisierung wieder zurück. Nicht nur ein Misstrauen gegenüber dem Postweg, vor allem Gelegenheit, die Hobby-Filmer persönlich kennenzulernen und zu interviewen. Die Filmer erzählen die Entstehungsgeschichte ihres Materials, zum Beispiel: „Ich hab’ die Kamera draufgehalten, weil ich so empört war!“ Und eben solche persönliche Betroffenheit des Kamermanns und der Kamerafrau teilt sich in ihren Super-8-Bildern mit. „Schmale Filme, weites Herz, ob der Bilder ebenso viel geweint wie gelacht“, fasst Gerald Grote wie auch im Off-Kommentar wortspielend seine Sichtungseindrücke zusammen.
Die private Kamera „ist näher dran als die Profis“, weiß Grote. „Die Bilder bekommen Gesicht“, etwa der zitternd schwenkende Blick über Stacheldraht und Beton, dem man das namenlose Erstaunen anmerkt. Auch die Chuzpe, die der West-Berliner Detlef Höselbarth aufbrachte, als er sich mitten unter die in in der „Hauptstadt der DDR“ paradierenden NVA-Soldaten mischte oder die Schmalfilmkamera beim Grenzübertritt an der Heinrich-Heine-Straße versteckt unter einer Jacke einfach mitlaufen ließ, denn „bei jedem Film muss immer auch Herzklopfen dabeisein“. Und Herzblut, wenn Christine Krüger, anfangs noch überzeugt vom neuen Weg des Sozialismus, ihre Freundinnen beim Ernteeinsatz in der LPG filmt. Da das Filmmaterial knapp und teuer ist, schwenkt sie rasch, „damit auch alle drauf sind“. Schmalfilmgeschichten, die „Geschichte von unten“ sind – und gerade die zu dokumentieren, war Absicht der Kieler Filmemacher.
„Ein Film für alle Generationen“ sollte es werden, sagen die beiden Kieler, die als Publikum nicht nur die im Blick haben, welche Mauer und Teilung noch aus eigener Erfahrung kennen, „besonders die Jungen, für die das nach 20 Jahren nur noch Geschichte ist“. An Fernseh-Auswertung haben sie dabei nicht gedacht.Sie wünschen sich „die breite Leinwand für den schmalen Film“. Und die fanden sie schon bei der Vorpremiere am 11. August in der Berliner Urania, die die 900 Gäste kaum fassen konnte. Das war ganz im Sinne der Kieler Filmsammler, die mit ihrer „besten je gesehenen Geschichtsdoku“, so ein begeisterter Zuschauer in der Urania, und den Zeitzeugen „direkt zu den Menschen wollen, nicht nur in die Kinos, auch in Kultureinrichtungen, (Mauer-) Museen und vor allem an die Schulen“.
Inzwischen hat auch das Ausland Interesse an dem „privaten Blick auf die Mauer“. Am 30. September ist der Film an der Pariser Sorbonne zu Gast, und es gibt bereits Anfragen nach einer Synchronfassung „in den drei Sprachen der Alliierten“. Um die zu erstellen, wollen Grote und Oppermann wie schon für die Produktion erneut Förderung bei der Filmwerkstatt Kiel beantragen. Einstweilen feilen sie jedoch am Schnittplatz ihrer Einfallsreich Filmproduktion noch an der 94-minütigen Endfassung, die sinnigerweise am „Tag der deutschen Einheit“ im Saal der Kieler Pumpe Premiere feiern wird. Am Anfang des Films steht ein Ende, das katastrophale des von den Deutschen ausgelösten Weltkriegs. Am Ende ist die Mauer, nichtzuletzt dessen Folge, gefallen und somit wieder ein Anfang. Ein Anfang mit Hoffnung, dass sich Menschen über Grenzen hinweg umarmen – nicht zuletzt mit einer Amateurkamera in der Hand und dem Mut zum Filmen im Herzen. (jm)
Kiel-Premiere: Montag, 3. Oktober 2011, 17 und 19 Uhr, Kommunales Kino in der Pumpe, Kiel (Saal). Infos: www.bis-an-die-grenze.de, www.8mm-kino.de.