15. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2011

Heimliche Helden

Kurzfilmabend bei der Augenweide

Man kennt diesen unerschütterlichen, wenn auch zeitweilig taktisch vorübergehend ermatteten Heldenmut: Schnaps- und Nikotinleichen am Morgen danach, nach durchgemachter Nacht für niemand. Solchen Kater, „Kaffee un’ Kippen“ ungestüm gefallener Party-Engel und -Recken haben Jana Magdalena Keuchel und Daniel Wacker in ihrem gleichnamigen Musikvideo (D 2009, 3’10 Min.) nach dem Song von Herschel & dwig als ebenso kurzweiliges wie komödiantisches Kasperletheater filmisch umgesetzt. Man liegt schwächelnd, rappelt sich zu störrischem Tanzkaffee auf und kann weder die Kippe noch die Kaffeetasse aus Muppet-Schaumstoff abwerfen. Wahre traurige Helden in der schönen Tradition Don Quichottes und des Slapsticks a la Laurel & Hardy.
Filmhistorischen Bezug nimmt auch Anna Linke in ihrem Kurzspielfilm „Arbeiter verlassen die Fabrik“ (D 2010, 10’29 Min.) auf den wohl ersten Kurzfilm der Kinogeschichte, der Gebrüder Lumières „Arbeiter verlassen die Lumière-Werke“ (1895). Schon damals fragte man sich, woher die Arbeiter kommen und in welche „Freiheit“ sie nach getaner Fron entlassen werden. Im Kino natürlich immer in die der Traumfabrik, die Gegenwelt und nicht zuletzt Protestation der Kunst gegen die reine Nützlichkeit. Ein noch nicht Paar sendet sich heimliche Botschaften, indem es sich Skulpturengrüße aus selbst zusammengeschweißtem Stahlrohr sendet. Linke, Studentin an der Bauhaus-Universität in Weimar, sieht darin durchaus den „Bauhaus-Gedanken der Verbindung von Kunst und Technik“. Aber auch „das Ausbrechen der Arbeiter aus ihrer auf die Arbeit reduzierten Existenz“. Ganz bewusst bleibt die Symbolik dabei ein wenig rätselhaft. „Man macht etwas, und alle anderen überlegen sich, was das ist“ – das ist nicht nur Linkes künstlerisches Credo, auch das ihrer Protagonisten. Selten hat man einen Schmetterling aus Stahl so frei flattern sehen. Eine schillernde Parabel auf die Helden der Arbeit wie der Kunst.
Die Lotseninsel an der Schleimündung, ihre Farbspiele, ihre vögelnden Bewohner und zwei geheimnisvolle Frauen, „die irgendwie da waren und auch nicht so genau wussten, was ich da machte, wenn ich sie filmte“, sind die heimatfilmischen „Heldinnen“ in Kai Zimmers im Rahmen eines Stipendiums auf der Lotseninsel entstandenem Experimentalfilm „Die Poesie der Insel und der Vögel“ (D 2011, 6’30 Min.). Treu seinem umfangreichen bisherigen Werk mixt Zimmer wieder Stillleben, die auf den ersten Blick wie zufällig vor die Linse geraten, auf den zweiten Blick aber so hoch symbolisch aufgeladen erscheinen wie der Griff einer der Frauen in eine Baumspalte, die einer Vulva nicht unähnlich ist, mit „querständigen Soundscapes“ aus Horrorfilmen und „amerikanischen Nächten“. Zitate an allen Ecken und Enden, Andeutungen so gewiss nebulös wie die wabernden Wasser der Schlei, die an die Inselufer schwappen und windmaschinenheulen. Mitten drin Zimmers bewusst voyeuristische Kamera, mal auf ausgestopfte Vogelleichen gerichtet, mal auf ganz lebendige Frauenfüße in sie klobig verbergenden Gummistiefeln, die durch einen dunklen Sumpf poetischer Gefühle stapfen. „Psychoslasher im Unterhemd und im Keller“ wollte Zimmer eigentlich aufnehmen. Aber dann waren da eben nur die zufällig anwesenden Frauen, die Insel, die Vögel – und ihre Poesie …
Schwansen im Winter wirkt nicht minder entrückt pittoresk, wenn Friedrich Tiedtke darin eine heimliche Tragödie antiken Ausmaßes ansiedelt. In „Es war einmal im Winter“ (D 2010, 12’30 Min.) regiert ein dunkles Geheimnis. Linea hat einst den Tod eines Kindes verschuldet, jetzt wird ihr „das nicht noch einmal passieren“. Allein, der ihr zum Rodeln anvertraute kleine Junge Max erlaubt sich einen folgenschweren Scherz: Sein Schlitten landet mitten in einem dünneisigen See, der Knabe scheint ertrunken, als Linea den Ort der vermeintlichen Tragödie erreicht. Dabei hat er sich nur versteckt. Doch ihr bricht der Unfall das Leben, und dem Knaben liegt fortan eine schwere Schuld auf den noch engen Schultern. Was fröhlich begann, endet tödlich. Kein Unfall, sondern schicksalhaftes Missverständnis, ganz wie bei den Helden einer griechischen Tragödie. Der erst 19-jährige Eckernförder Filmemacher beweist hier erzählerische wie filmbildnerische Kraft, die ihn als junges und hoffnungsvolles Ausnahmetalent ausweist.
Zurück zu den Helden des Alltags, die Marie-Catherine Theiler in ihrer Schweizer Heimat aufgespürt hat: „Trinkler“ (CH 2010, 9’30 Min.) sind Athleten der Kuhglocken. Was beim Almauf- und -abtrieb verrät, wo sich das Rind herumtreibt, dient auch als traditionelles „Musikinstrument“. 65 „Trinkler“ hat Theiler bei der Annäherung an die Glocke, ihrem Aufheben, dem Bimmeln und beim Absetzen derselben gefilmt – in ihrer jeweiligen Arbeitswelt. Kurios, witzig und nicht ohne slapstickhafte Lacheffekte. Und zudem intelligent in den „Phasen“ des „Trinkelns“ montiert. Ein Bilderbogen über ein seltsames Völkchen und seine noch seltsameren sportlich-musikalischen Leidenschaften. Bimmeln als Volks-, Leistungs- und nicht zuletzt Filmsport.
Apropos Heimathelden: Max Zähle sendet eine Familie in die Schlammschlacht ihrer Animositäten und des Watts. „Wattwanderer“ (D 2009, 12’18 Min.), die sich unversehens von der Flut ebenso eingeholt sehen wie von ihren untergründigen Konflikten. Auf dem „Floß der Medusa“ dümpeln sie bei „16 Grad, leichter Wind aus Nordwest, diesig, kein Wellengang“ durch eine Einöde, die auch in ihnen ist. Freilich, so verwandtes Heldendasein schweißt zusammen – und das mit einem guten Gefühl für eine echte norddeutsche Kurzkomödie.
Ins Wattenmeer haben sich auch Alexandra Pohlmeier und ihre Fotokamera begeben. Ihre „Zeitenblicke“ (D 2011, 2 Min.) zeigen von einer stets gleichen Position aus das nordfriesische Wattenmeer in seinen mannigfaltigsten Lichtern und Stimmungen auf mittlerweile tausenden Fotos. Ein Fotofilm, der sich in seinen in einfühlsam überblendeten „Match-Cuts“ einer Landschaft und ihren „Sprachen“ nähert. Ein Film nicht zuletzt über den Lauf der Zeit mit ihr als heimlicher Heldin.
An poetischer wie herzender Intensität wird das allenfalls übertroffen von Nils Strüvens „Heartwork“ (D 2010, 9’14 Min., hier als Netzvideo anschaubar). Die Augenweide-Jury sah in diesem Porträt einer traurigen Heldin des Nachtlebens zurecht Bezüge zum expressionistischen Film der 20er Jahre. Untermalt wie schnittrhythmisch geleitet von einem Triphop-Track des dänischen DJs Anders Trentermøller schickt Strüven eine junge Frau durch die Abgründe der Nacht in sterilen Clubs und Bars Berlins. Mitten im berstenden Leben ist sie immer wieder von der Einsamkeit des Herzens umfangen. Bis engelhafte, in das Kostüm eines Herzens gekleidete und davon beflügelte Engel ihr den Weg des nämlichen weisen. Eine Heldin von den Abwegen auf dem Weg zu ihrem ganz eigenen, verleugneten Herzen, der die Jury den Spielfilmpreis der Augenweide zusprach. Berechtigt, denn dieser Film ist ebenso beeindruckend in seiner Bildgestaltung wie berückend und bestürzend in seiner Botschaft.
Nach solch schwerer Kost beweist die Augenweide-Kurzfilmabend-Dramaturgie (wiedermal ein gründlich komischer Filmheld neben und hinter den Helden des norddeutschen Filmschaffens: Moderator Eckhard Pabst) nocheinmal ihr sicheres Händchen für befreiende Auflösungen. Mit „Jürgen Dose – Trittschall im Kriechkeller“ (D 2010, 20 Min.) beweist Erfolgsregisseur und Landeskind Lars Jessen einmal mehr sein Gespür für komödiantische Helden. Mit Heinz Strunk, dem stoischen Dadaisten der Hamburger Schule, wollte er schon immer mal einen Film machen. Jetzt verfilmte er mit ihm in der Hauptrolle (nicht minder ein Kracher: Charly Hübner als greinender und rollstuhl-gefesselter Meister im „Panzer-Quartett“) an nur einem Tag und in einer Nacht eines von Strunks Hörspielen, die dieser in den 90er Jahren unter dem Titel „Trittschall im Kriechkeller“ versammelte. Strunks stets verhinderten Alltagsheroen seien „herrlich pointenlos“, weiß Jessen und entfacht damit zusammen mit Strunk wahre Lachkaskaden. Ein veritabler „Dittsche“-Attack, wäre das Fernsehen nur so lernfährig wie das begeisterte Augenweide-Publikum. Nun, von weiteren Schritten des Trittschalls werden wir gewiss noch klopfen hören. (jm)
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