Im neuen Viertel der Reichen und Schönen

„Kaiserkai – Leben in der Hafencity“ (Katharina Höcker, Claudia Willke, D 2010)

Das TV-Feature „Kaiserkai – Leben in der Hafencity“ von Katharina Höcker und Claudia Willke hätte auch heißen können: „Hinter Glas – Leben an einer Baustelle“. Die Filmemacherinnen beschreiben in ihrem gelungenen und deshalb sehenswerten Dokumentarfilm das Wohnen in einem Genossenschaftshaus auf bzw. an Deutschlands größter Baustelle, der neuen Hafencity in Hamburg. „Hinter Glas“ könnte der Filmtitel lauten, weil die gezeigten Wohnungen bisweilen von außen wie gläserne Schaukästen wirken, die das Herz eines jeden Spanners erfreuen könnten. Ein Anwohner meint, mit den Touristen komme man sich manchmal vor wie im Zoo: „Kuck mal da, ein Mensch!“
Das Genossenschaftshaus, in dem die Filmautorin Katharina Höcker seit 2007 mit ihren Nachbarn wohnt, steht in der ersten bezugsfertigen Straße der Hafencity, Am Kaiserkai, „Aushängeschild und Entrée“, wie es im Film heißt, die direkt auf die immer noch im Bau befindliche Elbphilharmonie zuführt. Der Film berichtet mit Katharina Höcker als subjektiver Erzählerin vom Leben in diesem neu entstehenden Viertel. Einige Bewohner werden vorgestellt. Alle wirken positiv und offen, freuen sich auf das Leben hier, trotz des ständigen Baulärms und der sich aufdrängenden Sterilität, die wenig Urbanität zuzulassen scheint, die doch so gepriesen, erwünscht und postuliert wird. Immerhin, die einmalige Lage mit Elbblick in absoluter Citynähe zum Mietpreis von 15 Euro pro qm (welcher hier natürlich in dieser relativ geringen Höhe die absolute Ausnahme ist) scheint für vieles zu entschädigen. Die Wohnungen wirken hell und frisch. Und so preist der Film anfangs auch eher positiv die attraktiven Wohnmöglichkeiten und entwirft nebenbei kleine Ansichten eines neu entstehenden Soziotops. Die Mieter erzählen belustigt, dass sie nun in ihrem Bekannten- und Freundeskreis unberechtigterweise für sehr wohlhabend gehalten werden, da sie im neuen Viertel der „Reichen und Schönen“ residieren.
Doch so scheinbar positiv es sich anfangs auch anlässt, die negativen Aspekte dieser Stadtarchitektur (ein ansässiger Architekt spricht von „Würfelhusten“), die nur halbdurchdachte Stadt- und Verkehrsplanung (z.B. enge Straßen, keine Parkplätze, kaum Grün), die Mängel in der Infrastruktur für die Anwohner und anderes scheinen sich im Verlaufe des Films immer mehr in den Vordergrund zu drängen. Über den Baulärm sollte man sich nicht beschweren; man wusste ja vorher, dass man in ein Viertel ziehen würde, das in den nächsten 20 Jahren noch im Entstehen ist. Aber dass es z.B. kaum Geschäfte für die tägliche Versorgung gibt, dafür aber dutzendweise Restaurants und andere Verköstigungsmöglichkeiten für die hier arbeitenden Büroangestellten und tausenden Touristen, die das Viertel „heimsuchen“, konnte man zwar bei genauer Analyse auch schon vorher erwarten, hatte es aber, wie die Kommentare der Anwohner zeigen, meist wohl nicht.
Höcker und Willke begleiten wohlwollend ihre Protagonisten. Mit leicht gezügelter, doch gegen Ende zunehmender Kritik werden Struktur- und Alltagsprobleme dieses noch im Entstehen begriffenen Renommierviertels benannt. Innenansichten, zu denen man aus anderer Sicht bisweilen auch sagen könnte: Leute, wenn ihr sonst keine Sorgen habt … Ein tatsächliches Problem, das wirklich eines ist und zwar für den Hamburger Steuerzahler, ist die Elbphilharmonie, die hier en passant mit in den Film „eingebaut“ wird, deren im Film genannten bzw. prognostizierten Eckpunkte (eine halbe Millarde Euro Baukosten, Fertigstellung 2011) von den aktuellen Prognosen aber längst mit schlechteren Daten überholt worden sind. (Helmut Schulzeck)
„Kaiserkai – Leben in der Hafencity“, D 2010, 52 Min., Buch: Katharina Höcker, Regie: Claudia Willke, Kamera: Bernd Meiners, Thomas Schmidt, Svea Andersson, Lorenz Müller, Ton: Thomas Keller, Max Kielhauser, Jochen Laube, Schnitt: Margot Neubert-Maric, Mischung: Pierre Brand, Produktionsleitung: Linda Matern (Willke Film), Wolfgang Kramer (NDR), Redaktion: Kathrin Bronnert, NDR/Arte, Produktion: Willke Film in Koproduktion mit NDR/Arte, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH).

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