Bilderhunger, Boom und Konfusion
Bericht über ein deutsches Kurzfilmfestival in China
Crew: Willkommensgruß auf dem Banner (Fotos: Karsten Weber)
Das Blitzfilm Festival wurde im 5. Jahr mit 28 Veranstaltungen in 15 Städten abgeschlossen, eine Tour de Force für die vierköpfige reisende Festivalcrew. Die Tour 2010 war der Erinnerung an die Wiege des deutschen Kinos gewidmet, das als Attraktion auf Jahrmärkten begann. Die ersten Filmvorführungen fanden nicht nur zwischen Marktschreiern und Magiern statt, die Filme selbst hatten Zauberei und Illusion zum Thema. So war es uns eine Freude den bekannten Entertainer und Zauberer Konrad Stöckel für das Festival gewonnen zu haben. Die Chinesen lieben die Zauberei, und so hat das staatliche Fernsehen erst kürzlich Zaubershows in das Programm aufgenommen. Wir konnten das Publikum gleich gewinnen und ihm dann auch, für chinesische Augen, schwere Kost anbieten. Es ging nicht allein darum, deutsche Kurzfilme im Reich der Mitte zu präsentieren, sondern es war ein Versuch, ein tieferes Verständnis der Werke aus einem anderen Kulturkreis zu ermöglichen.
Der Magier Konrad Stöckel
China, ein Land eines unglaublichen Wirtschaftsbooms, mit futuristisch anmutenden Städten voller Modeläden, Miniröcken und trendigen Frisuren. Man mag nicht glauben, dass das Verständnis von Filmen manchmal nur an einer leicht experimentellen oder ungewohnten Erzählweise scheitert. Unter der sehr modernen Oberfläche des Landes liegt eine wahrhaft andere Kultur.
Unsere bisherige Chinaefahrung hatte Einfluss auf Programmauswahl und Präsentationsform. Es galt, sich flexibel an den jeweiligen Veranstaltungsort und dessen Publikum anzupassen. Über die Jahre sind wir immer weiter in die chinesische Kulturszene eingetaucht. Sowohl die staatlichen Institutionen als auch die freie Kunstszene bieten einen immer größeren Rahmen für deutsche Filmproduktionen und Hintergrundinformationen. Nach der langen Abschottung ist der Hunger nach neuen Bildern groß, gilt es, vieles nachzuholen.
Einladungen kamen von Filminstitutionen bis zu großen Universitäten, vom Museum of Modern Art bis zur Hinterhofgalerie. Die Veranstaltungsorte reichten vom Dorfplatz bis zur Vorführung in der angesagtesten Galerie. Die Bedürfnisse sind ebenso verschieden. In staatlichen Einrichtungen war es nicht möglich, Filme mit pornografischem Inhalt zu zeigen, auch wenn es sich nur um Animationsfilme handelte. Einige Professoren bestanden darauf, sich just diese Filme in einem Privatscreening ansehen zu können. Die Kunstszene ist damit beschäftigt, ihre Möglichkeiten auszuloten, und im Moment ist es es en vogue, die Tabus der sexuellen Darstellung in der Kunst zu brechen. Wir kamen da wie gerufen, und alle Ankündigungen, es gebe etwas Skandalöses zu sehen, machten das Publikum nur noch neugieriger.
Heiß auf Neues und Skandalöses
Das Zusammentreffen europäischer mit konfuzianistischer Kultur verläuft nicht reibungsfrei und sorgt für lange Diskussionen. So bedeutet eine Reise aus dem krisengeschüttelten Europa in das Boomland einen Kulturschock: Die jungen Chinesen träumen den Traum vom ewigen Wachstum. Konsum und Karriere sind die dominierenden Wünsche der Studenten. Der Gedanke hinter Independent- und Undergroundfilmen wollte sich vielen nicht erschließen. Eine Arbeit ohne finanziellen Gewinn? Was soll denn das?!
Wo man in anderen Ländern den Traum vom Fußballprofi oder Popstar träumt, ist es in China die Karriere in der Kunst. Und die Neureichen schmücken sich mit zeitgenössischer Kunst und mit Künstlern. Wir wurden in dieser Szene weitergereicht und trafen dort Intellektuelle, die die aktuellen Entwicklungen Chinas kritisch bis tief pessimistisch beurteilen. Das fortschreitende Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich ist auf Dauer kaum in den Griff zu bekommen. Derweil trifft man sich in schicken Galerien und privat finanzierten Museen. Die Reichen ziehen sich zurück in eigene Stadtteile, die durch Mauern, Überwachungskameras und Wachleute geschützt werden.
Es hat sich im letzten Jahrzehnt auch eine unabhängige Filmszene außerhalb staatlicher Kontrolle entwickelt. Gerade Kunsthochschulen haben Interesse an den Entwicklungen des unabhängigen Films in Deutschland und den Wechselbeziehungen zwischen Mainstream und Underground. Wir hielten Vorlesungen zum Thema mit Filmbeispielen und konnten auf diverse Wünsche der Hochschulen und Studenten eingehen. Wir behandelten z.B. den Animationsfilm als separates Thema oder boten Workshops über Filmästhetik an.
Move It! Vorlesung über Trickfilm
Und überall fanden wir Zuschauer, die die Geschichten und Anspielungen aus den deutschen Filmen auf ihr Leben beziehen konnten. Umweltzerstörung wurde von Zuschauern thematisiert, und sie schienen überrascht, solch ein Thema in lustigen Zeichentrickfilmen zu finden statt in Dokumentationen. Die Bilder von den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 bedurften keiner weiterer Erklärung: Pläne von Investoren, die von Politikern und Polizei gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden, und den schmerzhaften Zusammenprall beider Interessengruppen kennt man in China zur Genüge. Man war überrascht, auf welchen Gebieten sich die Kulturen so wenig unterschieden.
Der Übergang von einem sozialistischen System in den Turbokapitalismus hinterlässt Spuren. Wir erlebten die mehrheitlich atheistischen Chinesen sowieso als abergläubische Menschen, und in Zeiten des Umbruchs suchen viele ihren Halt in der Religion. Die religiöse Freiheit ist im Westen wenig bekannt. Der Staat reagiert nur dann rigoros, wenn Religionsgemeinschaften es wagen, den Staat zu kritisieren oder staatlicher Autorität Konkurrenz machen. Es gibt muslimische Regionen und Stadtteile, Moscheen, Kopftücher und Schleier, doch vieles wird locker und recht chinesisch gehandhabt. In vielen muslimischen Restaurants kann man sein eigenes Bier mitbringen. Der Vatikan ist wenig begeistert von dem eigenwilligen Umgang mit dem Glauben. Es gibt eine chinesische Bibel, die man nicht nur übersetzt, sondern auch neu interpretiert und erweitert hat. Man weiß dort von der Wiedergeburt des Messias in der heutigen Zeit, und dieser „Gesalbte“ wandelt in Gestalt einer Chinesin unter uns.
Neuer Buddha, Kirche in Shanghai, Muslimischer Markt
Die smogverhangene Industriestadt Wenzhou ist eine Hochburg chinesischer Christen und Buddhisten. Sie nennen sich dort selbst die „Juden Chinas“ und meinen damit ihre Geschäftstüchtigkeit. Wenzhou ist führend in der chinesischen Schuhproduktion, und dort ist 70% der weltweiten Feuerzeugproduktion beheimatet. So entzündete sich bei einem Essen eine Diskussionen mit einer Feuerzeugproduzentin und einem Schuhhändler, der Deichmann und Salamander mit frischer Ware versorgt, über die unterschiedliche Wertigkeit von Schuhen, Feuerzeugen und Kunst im Leben der Menschen. Wir fragten unsere christliche Übersetzerin, ob es ein Problem für sie sei, einen das Christentum attackierenden Film („Judas und Jesus“) anzusagen, doch mit einem „it’s my job“ war das Thema für sie abgehakt. Auf ihrem christlichen Fundament schien sie nicht sicheren Fußes zu stehen und verwechselte Maria Magdalena mit Maria, der Mutter Jesu. Ein junger Buddhist, der Geschichte und Friedensforschung studiert, machte keinen Hehl aus seiner Begeisterung für den Nationalsozialismus. In seinem Geschichts-Club übernimmt er meist freiwillig die Rolle einer alliierten Macht, weil alle nur die Deutschen spielen wollten, denn „die hatten die coolsten Uniformen und Panzer“ für das Nachstellen der Schlachten des 2. Weltkriegs im Sandkasten. Die chinesische Regierung investiert inzwischen auch in Buddhastatuen und Tempel, die sich touristisch und ökonomisch rentieren. Jedes Heilsversprechen hat Konjunktur, und einige Taxifahrer versuchen, sich mit einer Mao-Büste vor Unfällen zu schützen. Rentner singen auf der Straße Lieder aus Zeiten, die nicht so verworren waren. Im Mao-Mausoleum erhob eine Bäuerin die geballte Faust, die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Der große Vorsitzende kann dieses Chaos nicht mehr entwirren.
Lieder aus der Kulturrevolution
Das neue chinesische Kino ist erst im Entstehen. Der Staat hat sich bisher auf die Erstellung von Historiendramen konzentriert, weil sie die nationale Identität stärken sollen und politisch unbedenklich sind. Es ist aber offensichtlich, dass damit auf dem Weltmarkt des Films kein Blumentopf zu gewinnen ist, und man macht sich auf die Suche nach neuen Wegen. Vielleicht wurden wir deshalb nach einer Veranstaltung von den Leitern der größten chinesischen Film- und Fernsehstudios eingeladen, ein bekannter Regisseur reiste extra aus Hong Kong an, um unsere Filmshow zu sehen, und ein hoher Parteifunktionär überlegt, uns in ein Konzept für die Ausbildung chinesischen Filmnachwuchses einzubinden.
Historiendramen im Kino
(Karsten Weber)