Kurzfilmgewitter in Ostasien

BLITZFILM Festival zum 4. Mal in China – Ein Erlebnisbericht von Karsten Weber (Filmgruppe Chaos)

Das vierte Mal in China fühlten uns schon fast heimisch in dem Land der Mitte, und in Chongqing, der größten Stadt der Welt, sehen wir unsere „Homebase“. Von dort aus wird unsere BLITZFILM-Tour durch das Land organisiert, und in den Räumlichkeiten der freien Kunstszene haben wir die Möglichkeit, unsere Filmprogramme und Präsentationsformen auszuprobieren. Die Veranstalter scheren sich wenig um staatliche Reglementierungen, und wir sind auch frei von den Erwartungshaltungen kommerzieller Galerien, die mit internationalem Flair und Glamour der Veranstaltungen glänzen wollen. Beim selbstverwalteten „Organhaus“ können wir auf die Publikumsreaktionen achten und unbekümmert mit den Zuschauern diskutieren und so an unseren Programmentwürfen feilen.
BLITZFILM wieder in China – rechts: Filmemacher Karsten Weber (Fotos: Karsten Weber)
Hier konnten wir uns auch als neue Crew austesten. Für das Tourmanagement vor Ort haben wir auf Bojana Dimitrovska zurückgegriffen, die wir als Aktivistin der KINEMASTIK Crew, unseren Seelenverwandten aus Malta, kennengelernt haben. Bei der Suche nach einem Musiker haben wir uns für Uwe Bastiansen, ein Mitglied der Krautrock Band FAUST entschieden. Er spielte zuvor bei den Sisters of Mercy, hatte auch mit den Einstürzenden Neubauten gearbeitet und ist auch als Filmemacher aktiv.
BLITZFILM-Crew-Mitglied Uwe Bastiansen
In China muss man flexibel sein, vieles wird sehr kurzfristig organisiert, einiges wird vor Ort wieder verworfen, und die Technik erweist sich gern als eigenwillig. Wir haben gelernt, dies gelassen zu nehmen, mit Hintergrundberichten über Filmemacher und Filme werden technische Haker überbrückt oder mit Performance- und Livemusikeinlagen. Aber der Mix aus Erzähltem, aus Gezeigtem, aus Klang und Performance ist unser Konzept, um das Publikum mit Neuem zu konfrontieren. In China sind eine Kurzfilmkultur, nicht narrativ erzählte Filme und selbst Filmfestivals weitgehend Neuland. Die Neugier ist enorm, und man lernt schnell. Vor zwei Jahren fragte man uns noch in Chongqing, was ein Filmfestival eigentlich sei, im vergangen Jahr wurde dort bereits das erste unabhängige chinesische Filmfestival der Stadt organisiert.
Die Rasanz des Wandels im Land ist schier unglaublich. Sichtbar wird sie für uns durch Hochhäuser und Hochstraßen, dort wo im vorigen Jahr noch Wiesen lagen. Es ist auch spürbar, dass man mehr Menschen trifft, die ein wenig Englisch sprechen. Die kommerzialisierten Medien verkünden auf Großbildleinwänden in den Innenstädten und auf Flatscreens in Bussen und Taxen die bunten Verheißungen des Konsums. Die Sehnsüchte, an dem Reichtum der Welt teilzuhaben und auch Zerstreuung und Genuss in das eigene Leben zu bringen, lassen sich für die meisten nicht umsetzen, wie es die Werbung verspricht. Der chinesische Staat hat seine sozialistischen Werte längst aufgeben und schlingert nun in der Furcht vor einer unruhig werdenden Bevölkerung zwischen Sozial- und Wirtschaftsprogrammen und der Möglichkeit der Repression.
Zwischen Medien und Mythen: Der Tianamnen-Platz im Wandel
Die gewaltigen Finanzspritzen in Infrastruktur und Bildung haben Wirkung gezeigt, und die Krisenfolgen scheinen überwunden, der wirtschaftliche Boom ist unübersehbar. Mögen fast unbefahrene Autobahnen bei der hohen Zahl an PKW-Neuanmeldungen noch vorausschauend gebaut worden sein, so ist vieles auch ein Zeichen einer gewissen Planlosigkeit der Regierung. Wo es an Ideologie und einem Konzept fehlt, wird erst einmal Arbeit und wachsender Konsum versprochen. Während Religion als abgeschafft gilt und zu Zeiten der Kulturrevolution Tempelanlagen zerstört wurden, konnten wir nun einen Taoistischen Tempelturm besichtigen, der erst vor zwei Jahren errichtet wurde, und ein riesiger goldener Buddha strahlt seit einem Jahrzehnt von einem Berggipfel. Wir hörten von den Hinrichtungen uigurischer „Unruhestifter“ und sahen gleichzeitig, wie der Staat sich mit seinen Minderheiten zu schmücken versucht und mit Trachtengruppen und Volkstänzen das Fernsehprogramm bunter macht. Die Kamerafirma Canon präsentiert sich als Sponsor zum Erhalt der Minderheitenkulturen.
„Buddhas“ des Film-Undergrounds und neuer Religiosität
Der Wirtschaftsboom hat auch eine wachsende Schicht Neureicher hervorgebracht, die ihren Status durch den Erwerb moderner Kunst repräsentieren. Ein Sehen und Gesehenwerden in der wachsenden Galerieszene gehört zu dem hippen Livestyle der Wohlhabenden. Ein deutsches Kurzfilmprogramm mit ungewöhnlicher Performance war just nach dem Gusto der Galeriebetreiber und des Publikums.
Wir machten Veranstaltungen an Universitäten, deren Gebäudekomplexe beeindruckend und deren Ausstattung vorbildlich ist, doch vermag man nicht, die Möglichkeiten zu nutzen und die Räume mit Ideen zu füllen. Sind die Studenten erstmal froh, ihrem Elternhaus entflohen zu sein, werden sie nach dem Hochschulabschluss doch meist in die Arbeitslosigkeit entlassen. So bekamen wir Angebote, im Land zu bleiben und einen Lehrauftrag anzunehmen.
Mit unserem Tourplan, Chongqing, Chengdu, Honghe, Suzhou, Shanghai, Nanjing, Macao, Guangzhou, Xiaozhou, Shenzhen, Beijing, gab es für uns nicht nur neue Orte zu sehen, sondern auch viele neue Kontakte zu knüpfen. Wir lernten den „Godfather“ des chinesischen Independentfilm kennen, der sich als Starkünstler von europäischen Institutionen und Sendern hofieren und finanzieren lässt. Weitaus unauffälliger gaben sich diejenigen, die sich für eine unabhängige Entwicklung bei den Medien engagieren, oder die Chronisten, die versuchen, mit der Kamera die rasanten Veränderungen des Landes zu dokumentieren.
Es ist schwer, die Widersprüchlichkeiten des Landes und unserer Erlebnisse in Worte zu fassen. Zu unseren Veranstaltungen kamen der deutsche und der französische Konsul, der pakistanische ließ sich entschuldigen. Wir diskutierten mit Filmschaffenden, hatten ein Publikumvon einer Schicki-Micki-Szene bis zur Dorfbevölkerung mit Kindern und Rentnern. Es steht aber fest, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Es gibt einen Hunger an zeitgemäßen Ausdrucksformen und internationalen Kontakten. Wir waren Interviewpartner bei einem College-Radio und zwei Fernsehstationen. Es war schon verwirrend, egal in welcher Ecke die Leute anzusiedeln waren, ob sie sich kritisch mit den politischen Verhältnissen auseinandersetzen oder sich als Underground-Künstler definieren, ob sie zum kommerziellen oder offiziellen Kunstbetrieb gehören, bis hin zu Hochschullehrern und Parteifunktionären, alle konnten etwas mit uns und den Veranstaltungen anfangen. Nur die Erwartungen, die sie an uns haben, dürften höchst unterschiedlich sein.
China im Wandel zwischen Mao und Moderne
Aus einer aufregenden Einladung nach China ist mehr geworden, als man ahnen konnte. Wir planen nun, chinesische Filme und Filmemacher nach Deutschland zu holen, und das Goethe-Institut bat uns um eine Veranstaltungsreihe in Shanghai im Rahmen der EXPO. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)
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