51. Nordische Filmtage Lübeck 2009
Bloß keine unnötigen Ausgaben
„Aldi – Mutter aller Discounter“ (D 2009, Rasmus Gerlach)
Rasmus Gerlachs Film „Aldi – Mutter aller Discounter“ will die Schattenseiten des Handelsriesen Aldi beleuchten. Und es nimmt den unvoreingenommenen Betrachter nicht Wunder, dass es diese gibt. Warum soll es bei Aldi, dem Urmodel aller Discounter in Deutschland wenn nicht sogar in Europa, in vielen Dingen anders zugehen als zum Beispiel beim Erzkonkurrenten Lidl oder bei der Drogeriemarktkette Schlecker, von denen hinlänglich bekannt ist, dass sie sich nicht gerade durch einen tadellosen Umgang mit ihren Mitarbeitern ausgezeichnet haben, sondern eher die Rechte ihrer Angestellten verletzten (z. B. Repressionen am Arbeitsplatz, gesetzeswidrige Videobespitzelung)? Und dennoch ist bei Aldi einiges anders. Der Discounter schottet sich hermetisch ab und macht so seinen Handel (wenn man von Werbeaktionen absieht), wie Gerlach gegen Ende seiner Dokumentation resümierend bilanziert, zu „einem verschwiegenen Gewerbe“. Er geizt nicht nur mit Preisen, der Präsentation der Waren, sondern auch mit Informationen jeglicher Art.
Die Frage, was es zu verbergen gibt, bleibt nach Gerlachs Ergebnissen eher rhetorisch. Bleibt die Frage, wie durchbricht man „die Mauer des Schweigens, die Aldi um sich selbst errichtet hat“. So muss Gerlach von Anfang an mit seiner investigativen Filmrecherche vor der Ladentür halt machen. Das nutzt der Filmemacher aber bald zu einem sympathischen Underdog-Filmmittel. Fast lungernd versucht er von den Fenstern der Filialen aus die Lokalitäten zu erspähen, den Verkaufs- und Arbeitsalltag optisch einzufangen, treibt sich so mit seiner Kamera an bitterkalten Wintermorgen auch vor den Hintertüren der Supermärkte herum, um Erhellendes zu erhaschen, stellt manchmal scheinbar banale, harmlos wirkende Fragen an die Beschäftigten und kitzelt so mit einer Engelsgeduld Typisches und Entlarvendes aus dem zu untersuchenden Objekt Aldi heraus.
Hilfreich für Gerlach wird dabei die Arbeit eines Rechercheteams von ehemaligen und noch bei Aldi tätigen Angestellten, die dabei sind, in langwierigen Nachforschungen unter den Betroffenen ein so genanntes „Schwarzbuch Aldi“ zu erarbeiten. Und so begleitet denn Gerlach dieses Team des Öfteren zu Gesprächen mit drangsalierten Arbeitnehmern von einst und heute. Aldi-Süd von Karl Albrecht ist wohl der härtere Brocken. Er lässt noch nicht mal Betriebsräte im seinem Konzern zu. Da scheint es für Gerlach, der von Hamburg aus seine Recherche für seine NDR-Auftragsproduktion startet, bei Theo Albrechts Aldi-Nord etwas leichter.
Protest vor einer ALDI-Filiale (Foto: NDR / Rasmus Gerlach)
Zum Glück gelingt es dem Film nicht nur, über Unzumutbares am Arbeitsplatz zu berichten, wie z. B. regelmäßig unendgeltlich abzuleistende Überstunden, Schikanen gegenüber Betriebsräten und Inszenierungen fadenscheiniger Kündigungsgründe für Unbequeme, sondern er findet in dem ehemaligen Aldi-Vorstandsmitglied Dieter Brandes auch jemanden, der die Gegenseite beleuchtet. Brandes hat ein Buch mit dem Titel „Die Aldi-Diät für Deutschland“ verfasst, das kein Kochbuch ist, sondern versucht, mit seinen Rezepten für eine einfache Politik, das Aldi-Konzept auf ein Modell für einen schlanken Staat umzumünzen. Da Brandes nicht mehr im Aldi-Konzern ist, kann er relativ offen aus dem Alltag von Aldi erzählen und beantwortet auch ohne Scheu private Fragen über seinen ehemaligen Chef, Theo Albrecht, dessen „rechte Hand“ er war. Ansatzweise versucht Gerlach, in diesen Gesprächen mit einem positiv von Aldi Überzeugten auch die Geschichte und die Mentalität der Albrechts zu beleuchten, die mit ihrer sprichwörtlichen Sparsamkeit um nicht zu sagen Geiz noch immer die Mentalität ihres Konzerns prägen, obwohl beide Milliardäre (mit einem nach neuster Phorbes-Liste geschätzten Vermögen von 42 Mrd. Dollar gehören sie zu den reichsten Männern der Welt) schon weit über achtzig Jahre alt sind.
Bei Aldi wird selten über die Umsätze gesprochen, sondern immer nur über Kostenminimierung. Und der Betrieb soll bitte so einfach wie möglich laufen. Gerlachs Film zeigt, dass Heizung und Beleuchtung in vielen Läden mangelhaft sind, die Kassiererinnen sogar die Fenster putzen müssen und der eigene Abfall mit den Transportern, die zuvor die Ware angeliefert haben, abgefahren wird, Hygiene-Verordnung für Lebensmittel hin oder her. Der geschäftliche Erfolg scheint dieser Knauser-Politik Recht zu geben, und mag es noch so viele berechtigte Klagen über Dumpingpreise bei der Milch oder die in Billiglohnländern der dritten Welt gefertigten Textilien geben. Aldi ist Kult, weil die Preise niedrig sind und die Qualität stimmt.
Auch Rasmus Gerlachs Aldi-Film musste zwangsläufig mit dem Prinzip der Kostenreduzierung bei seiner eigenen Herstellung zurechtkommen. Für eine Dokumentation auf einen Sendeplatz um 24 Uhr (NDR Fernsehen, 3.11.2009) sind unter den herrschenden Verhältnissen bei den öffentlich rechtlichen Sendeanstalten, selbst wenn diese fast anderthalbstündig ist und auch im Ausland gedreht wurde, keine großen Produktionsmittel einzuwerben. Man sieht es dem Film bisweilen an, dass er mit kleinstem Team und guten, aber simplen Camcordern entstanden ist. Geschadet hat es ihm nicht, im Gegenteil. Die unauffällige und flexible Drehweise war für diesen Stoff bestimmt von Vorteil (was jetzt nicht als Plädoyer für unterbudgetierte TV-Dokumentationen zu verstehen ist, vom versteckten, mitternächtlichen Sendeplatz ganz zu schweigen). So sehen wir einen guten Film zu einem Discountpreis in der Herstellung, der aus der Not eine Tugend macht und viel Erhellendes in Wort und Bild zum Thema beisteuert.
Selbst die auf den ersten Eindruck episodischen Bilder aus dem Sommerhaus von Theo Albrecht auf der Insel Föhr, einem reetgedeckten Kapitänshaus aus dem 18. Jahrhundert, hinterlassen einen sprechenden Eindruck, wenn die Kamera über die schäbig anmutende Klingelanlage neben der Haustür fährt und uns die Botschaft zu vermitteln scheint: bloß keine unnötigen Ausgaben. (Helmut Schulzeck)
„Aldi – Mutter aller Discounter“, D 2009, 83 Min., Digibeta, Buch und Regie: Rasmus Gerlach, Kamera: Rasmus Gerlach und Oleg Welk, Schnitt: Betina Vogelsang, Produktion: Bernd Michael Fincke, Moonlightmovies für den NDR.
Der Film wurde im Filmforum der Nordischen Filmtage Lübeck, am Donnerstag, den 5. November 2009, um 13.45 Uhr im Kino 7 der Stadthalle / CineStar gezeigt