57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Wie die Jungfrau zur Mutter kommt
„Madonnen“ (Maria Speth, D/CH/B 2007)
Ein Opening, das viel verspricht: Rita (wiedermal schauspielerisch beeindruckend: Sandra Hüller) mit Säugling vor der Brust flieht vor polizeilicher Verfolgung wegen Diebstahls nach Belgien, um ihren leiblichen Vater zu suchen und zu finden. Der hat freilich mittlerweile neue Familie, neue Kinder und seine Tochter samt Enkel aus früherer Beziehung fällt ihm eher zur Last.
Maria Speths „Madonnen“ zeigt generationsübergreifend Frauen/Mädchen, die wie die Jungfrau zum Kinde kamen, die als Mütter versagen, weil sie noch zu sehr Kind sind. Interpol ist weise und spürt Rita im belgischen „Exil“ auf, um sie dem deutschen Strafvollzug zuzuführen. Während dessen übernimmt Ritas Mutter Isabella (Susanne Lothar) die Pflege der fünffachen Enkelbrut – zusammen mit Ritas Ältester Fanny (Luisa Sappelt), die im zarten Vorpubertätsalter schon die Mutterrolle gegenüber den Geschwistern übernehmen muss. Das Problem, keine Mutter zu haben, aber sein zu müssen, setzt sich fort. So unfähig Isabella war, Rita eine Mutter zu sein, so unfähig ist es Rita gegenüber ihren Nachkömmlingen, die so unterschiedlich hautfarbig sind wie ihre Liebschaften mit Kindesfolge waren. Einzig Marc (Coleman Orlando Swinton), ein US-Soldat, stationiert auf Abruf in Germany, kümmert sich liebevoller, als Rita es kann, um die Kids. Doch auch er ist nur ein zeitweiliger Lover, kein Vater …
Fingerhakeln zwischen Müttern und Töchtern (Foto: Berlinale)
Speths etwas verworrenes, manchmal vom „Plot“ her nur schwer nachvollziehbares Mutter-Kind-Drama passt gut zum heimlichen Berlinale-Thema, dass am Anfang des neuen Jahrhunderts, in einer verspäteten „Fin de siècle“-Ära, die menschlichen Beziehungen so brüchig sind, wie die Globalisierung ungewohnte Maßstäbe setzt und das Klima (am Wetter-Himmel wie in den Beziehungen) so aus den Fugen ist, dass es in Speths Film über die Telefonzellen scheiternder Kommunikation wahrhaft sintflutende Regenfälle ergießt. Gleichwohl ist die Mutter-Kind-Problematik ein archaischer Topos, der sich immer wieder erzählen lässt. Die mythisch-madonnenhafte Dimension tut dem Film dabei aber nicht immer gut.
„Ich bin die Mutter, du das Kind!“, schreit Rita Fanny an, als die Tochter die mütterlichen Pflichten bei ihrer Mutter einklagt. Ein Schlüsselsatz, den man als gescheitert begreifen darf. Rita ist so wenig Mutter, wie sie es bei ihrer eigenen vermisste, Fanny kann es noch weniger sein. Mit einer gewissen Eleganz führt Speth ihre Figuren durch diesen Mutter-Tochter-Zwist, der letztlich die Frage nach Selbstverantwortung stellt. Denn wer für sich selbst keine Verantwortung übernehmen kann, kann das auch nicht für andere, die eigenen Kinder. Familienaufstellungs-Psychologen dürften das als Lehrstück sehen, dem von solcher Theorie unbeleckten Zuschauer zeigt Speths Film nur den Allgemeinplatz, dass es so, wie es funktionieren sollte, eben nicht funktioniert.
Vielleicht sind wir ja auch alle zu unserem Leben gekommen wie die Jungfrau zum Kinde – durch bloße Einflüsterung. Und weil das Leben weiter nur orakelnd einflüstert, statt zu sagen, wo es lang geht und will, bleiben wir wie Rita in der Schwebe. Szenenapplaus für die Leistung der Kinderdarsteller gab es indes bei der Premiere im Delphi-Kino. Bei so viel Verlassenheit sind wir als Zuschauer solidarisch – vermutlich, weil wir ahnen, wie allein wir in unserer Kindheit waren, gepflegt von Eltern, die kaum erwachsener waren als wir selbst es jemals sein werden. (jm)
Madonnen, D/CH/B 2007, 125 Min., 35 mm. Buch, Regie: Maria Speth, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Dietmar Kraus, Ludo Troch, Dörte Völz-Mammarella, Maria Speth, Darsteller: Sandra Hüller, Luisa Sappelt, Coleman Orlando Swinton, Susanne Lothar