49. Nordische Filmtage Lübeck
Mörderische Paradoxien
Die Kurzfilmnacht im Filmforum Schleswig-Holstein
Ein Mann findet einen Umschlag im Briefkasten, darin eine Videokassette. Er legt sie ein und sieht darauf, wie sich eine junge Frau mit blutigem Messer über eine Leiche beugt. Die Leiche ist er selbst. Es klingelt. Vor der Tür die junge Frau, sie rennt weg, er folgt ihr – und wir ahnen schon: Es wird gleich das passieren, was das Video schon zeigt. „Rewinding“ (D 2006, 7 Min., Nils Strüven) spielt elegant und „mörderisch“ mit der paradoxen Perspektive Film versus Wirklichkeit, Dokument versus Fiktion – ein Knaller zur Eröffnung der Kurzfilmnacht des Filmforum Schleswig-Holstein. Mag sein, dass der „Scheersberger“ Strüven in der Ausführung manche technische Mängel produziert, die Filmidee hat überraschende und einnehmende Kraft.
Der Mord geht weiter in Philipp Scholz’ „The Dead Meat“ (D 2007, 11 Min.) – filmisch hier auf höchstem Niveau, von der Geschichte her ähnlich paradox wie „Rewinding“. Ein Mann wird hingerichtet. Denn der Henker mit der Giftspritze ist nur der Henker, nicht aber der „Flackerlichtmörder“, der im Viertel metzelt. Nur weiß der Hingerichtete noch nicht, was sein Fleischermesser damit außer in der Küche auch im Mörderkeller zu tun hat. Eine schöne Parabel auf wechselnde Perspektiven – vielleicht ein wenig zu artifiziell mit Horror-Klischees spielend. Dennoch lobende Erwähnung der Jury.
Artifizielle Horror-Klischees: „The Dead Meat“ (Foto: NFL)
Noch paradoxer wird’s, wenn Götter morden. Den Mythos um Zeus’ Sohn „Dionysos“ (D 2007, 14 Min.) animieren Jörg Weidner und Anke Späth mit archaischen Gipsfiguren. Wo Götter und Menschen um- und miteinander ringen, fließt viel Filmblut, nicht zu schweigen von Schweinsnabelschnüren und Katzenhoden. Der ob Weidners Textfassung des Mythos allerdings meist etwas „überkandidelten“ Erzählung verleihen solche „Vivendis“ eine eigentümliche Kraft zwischen den ständigen Zerwürfnissen und buchstäblich gefilmten Zerfällen der Figuren. „Echtes Fleisch und echte Maden“ haben Weidner und Späth eingesetzt, ansonsten gilt wie bei Ringelnatz: „Alles aus Gips“. Und gibt man dem einen „Stipps“, zerfällt auch die Faszination der göttlich-fleischlichen Bilder. Die Jury vergab dennoch – und nicht unberechtigt – den ComLine-Preis für das „in unterschiedlichen Materialien auf der Bildebene überzeugende Erzählen“.
Eine lobende Erwähnung erhielt eine weitere „Mordsgeschichte“: „Doppelmord“ (D 2007, 13 Min., Dana Linkiewicz). Abgesehen davon, dass man sich fragt, wo bei diesem Film der Schleswig-Holstein-Bezug ist (es geht das Gerücht, dass die Nebenfigur, ein Barkeeper, aus Lübeck stammt), ist auch dies eine Geschichte um die Paradoxien, die Ableben aufwerfen. Daniel begegnet seinem alten Freund Sebastian in einer Bar. Sebastian spannte ihm einst die Freundin aus und – so vermutet Daniel – betrügt ihn noch immer mit seiner jetzigen Frau. So lügt er, sie sei bei einem Unfall gestorben. Was kaum sein kann, denn Sebastian kommt gerade von ihr. Also ist Daniel im Zugzwang und der erfundene Tod muss mörderisch wirklich werden …
Aus Misstrauen wird Mord: „Doppelmord“ (Foto: NFL)
Nochmal ein weniger wirkliches als mögliches Verbrechen flackert durch Ranjan Shettys Handy-Film „Solitude Dreams“ (D 2007, 3 Min.). Obwohl mit dem Nokia Mobile Film Award ausgezeichnet, fragt man sich, was solche zappelig zerpixelten Traumwelten auf der Leinwand verloren haben. Aber das steht vermutlich irgendwo in den Büchern in der Bibliothek, in der der Absolvent der ISNM Lübeck sein Horrorfilmchen ansiedelt.
Richtig erholsam von solchem Geflimmer ist der Cinegate-Preisträger für den besten Kurzfilm im Filmforum: „Mars“ (D 2007, 16 Min., Marcus Richardt). Zumal es hier mehr um Liebe als Lebensenden geht, freilich auch um einen „clash of cultures“. Lilly ist Anführerin einer Mädchengang, die mit Gewalt gerne leichtfertig umgeht. Nur bei Anna, dem sensiblen Mädchen aus besserer Gesellschaft, zieht Lillys Abzieh-Masche nicht. Vielmehr tauschen die beiden irgendwann einen lesbischen Kuss. Eine „coming of age“-Geschichte, die wahrscheinlich für einen abendfüllenden Spielfilm getaugt hätte. Aber Filmschüler können eben nicht immer, wie sie wollen und vielleicht schon könnten. Richardts Film besticht durch einfühlsame Bilder, schwächelt jedoch in der (notwendigen) Verknapptheit der Erzählung. Da bleibt manches eher offen als zur geschlossenen Geschichte zu finden. Aber vielleicht ist das ja auch eine paradoxe Stärke eines Films, der wie ein Exposé für etwas Größeres wirkt.
Mädchengang mit Stärken: „Mars“
Und was haben wir noch im Paradoxienreigen? Kai Zimmers „Night Windows“ (D 2007, 5 Min.) spielt mit den Erfordernissen des Genres von Hitchcock bis Experiment. Seine Blicke in nachbarliche Fenster erzählen eben nicht, sondern deuten an, was sich dort schon von selbst erzählt haben könnte – mitten im und aus dem Leben. Im Publikum Unverständnis. Wie oft bei kompromissloser Kunst. Entsprechend muss man auf der anderen Seite der Paradoxie über Michael Zimmers Joke-Porträt „Hier bin ich!“ (D 2007, 3 Min.) über einen übereifrigen Tennislehrer keine Worte verlieren. Ein filmischer Treppenwitz – nicht mehr, aber auch nicht mehr gewollt. Ähnlich dürr aber doch schön paradox ist Christian 3 Rooosens Selbstporträt „3 Rooosen singt seine Bilder“ (D 2007, 13 (viel zu lange) Min.). Ein Witz, über den man nur beim ersten Take herzlich lacht. Auch nicht wirklich überzeugend: „Husby“ (D 2006, 13 Min.) von Ulla Bay Lührsen. In der „Danske Skole“ in Husby gibt es einen geheimnisvollen Schrank. Darin ein Altar, Traum für eine Kinderliebe von späterer Heirat. Ja, hübsche Idee, aber nicht mehr, obwohl man gerade für diesen Film im Publikum viel Zustimmung hört. Das liegt wohl daran, dass man nach so viel Paradoxem ganz froh ist, mal eine ganz einfache Geschichte ganz ohne Mord erzählt zu bekommen. (jm)