49. Nordische Filmtage Lübeck

Glosse: In Finnland haben sie fettige Haare

Nordische Filmtage Lübeck prägen ein Skandinavienbild

In Island war ich einen Monat lang, in Schweden mehrmals ein paar Wochen, in Norwegen viele, viele Sommer und Winter und im nicht einmal 100 Kilometer entfernten Dänemark so oft, dass ich gar nicht mehr weiß, wie oft.

Nur in Finnland war ich noch nie. Wie es in Finnland auszusehen hat und wie die Finnen so sein sollen, weiß ich durch den regelmäßigen Besuch der Nordischen Filmtage in Lübeck. Mit den Nordischen Filmtagen ist es so: Anfänglich zeigten sie Filme, die in Skandinavien nach Lust und Laune, Nationalcharakter, Landschaftstyp und regionaler Weltsicht, spezifischem Humor und Kunstverständnis produziert worden waren. Nach den 30. Nordischen Filmtagen sprach sich herum, dass Lübeck für viele skandinavische Spielfilme das Tor nach außen ist. Nun wurden eine ganze Reihe skandinavischer Filme nach der Maßgabe produziert: Wie wollen uns die Lübecker sehen? Und seitdem erlebte man in Lübeck Parodien der immer gleichen Klischees. Wer sich dem entziehen wollte, konnte immerhin auf Dokumentarfilme, Kinderfilme oder bei Spielfilmen auf solche aus baltischen Staaten ausweichen, denn wie die Balten sein sollten, darüber herrschte in Lübeck noch Unsicherheit. Sonst aber war alles klar:

Finnland in finnischen Spielfilmen also: Die meisten Finnen sind sehr, sehr einsame Männer, und sie haben alle fettige Haare. Vielleicht liegt es an den Haaren, dass sie so einsam sind. Die einsamen Männer sitzen immer ganz allein in einem ansonsten leeren Schnellimbiss, haben ein verschaltes Glas Bier vor sich und stieren trübe auf die Tischplatte. Die Aussicht nach draußen wäre auch nicht besser: Ein nasser Supermarkt-Parkplatz, auf dem die zusammen geschobenen Haufen schmutzigen Restschnees nie schmelzen werden, am Horizont eine Müllkippe, davor ein Schrottplatz mit rostigen Kränen. Zu dem einsamen Mann setzt sich eine unbekannte Frau und starrt mit kalten Augen und unbewegten Gesichts an ihm vorbei. Sieht die Frau aus wie ein Dorsch, dem man das Maul rot angemalt hat, ist sie eine Gangsterbraut. Erinnert sie an einen ungeschminkten Dorsch, ist sie von der Heilsarmee und im Grunde gütig. Dann wäre Hoffnung für den einsamen Mann. Da aber die Lübecker Filmgewaltigen Finnland hoffnungslos sehen möchten, muss der Film an dieser Stelle klar machen, dass wir im Film sind und außerhalb dessen auf finnischem Boden die Güte nie gedeihen kann. Zuviel schmutziger Schnee.

Zum Nachbarland Schweden: Die Lübecker Forderung an Schweden hieß in den letzten Jahren: Schluss mit roten Sommerhäusern, Blaubeeren, Pilzen und Elchen! Macht Problemfilme in Bergmanscher Manier. Was ist die Bergmansche Manier? In der ZEIT vom 27.10.1978 schrieb der Filmkritiker Hans C. Blumenberg zu Ingmar Bergmans „Herbstsonate“, der Film wirke, als habe ihn ein Bergmann-Parodist gedreht, der kein einziges düsteres Motiv auslassen wollte: „Der Pfarrer glaubt nicht mehr an Gott, seitdem sein einziger Sohn ertrunken ist; die verhärmte Pfarrersfrau liebt weder ihren Mann noch ihre Mutter, die sie einst zu einer Abtreibung zwang; die Mutter hat gerade ihren besten Freund durch einen schrecklichen Krebstod verloren und wird nachts von Alpträumen heimgesucht; ihre jüngere Tochter wiederum, einst in eine tragische Beziehung zu Mutters Liebhaber verstrickt, leidet an einer unheilbaren Krankheit und vegetiert nur noch sprachlos und schlaff vor sich hin.“ Das war zur Zeit der 30. Nordischen Filmtage, und seitdem wusste man in Lübeck genau, was man von den Schweden verlangen kann. Aber kleine Abweichungen sind gestattet: Der Pfarrer darf zum Beispiel gerne epileptische Anfälle haben.

Dänemark: Die Dänen sollten regelmäßig etwas derben Humor liefern, wie er in den Filmen von der Olsen-Bande schon angedeutet ist: Dauernd fliegen Leute in die Luft, überleben das aber rußgeschwärzt. Eine der jüngeren dänischen Filmparodien darauf sieht so aus: Ein Pfarrer, dänisch diesmal, nimmt entlassene Straftäter auf und weiß, daß er sie nicht resozialisieren kann. Im Kopf hat er einen Tumor. Ein Neo-Nazi schießt den Pfarrer in den Kopf. Blut und Gehirn spritzen auf den Boden. Der Pfarrer wird aber geheilt, denn in der herausgeschossen Gehirnmasse befand sich auch der Tumor. Wie die dänischen Drehbuchautoren sich noch steigern sollen, falls die Lübecker immer mehr von diesem Humor verlangen, ist schwer vorstellbar. Viel Glück dabei!

Island, ehemals dänische Provinz: Aus alten isländischen Helden- und Götterliedern ist eine gewisse Wertschätzung von Prahlerei und Übertreibung zu erkennen. Autoren und Regisseure von Spielfilmen, die diese Tugenden pflegen, waren bisher in Lübeck Hahn im Korb. Von Reykjavik hatte ich den Eindruck, es sei nicht aufregender als Flensburg, vom allabendlichen Geländewagen-Korso auf der Hauptstraße mal abgesehen. In isländischen Filmen erscheint Reykjavik dagegen als kochendes Sündenbabel, und man könnte erwarten, dass es bekiffte Einheimische massenhaft auf den geothermisch beheizten Bürgersteigen miteinander treiben, Tag und Nacht, Sommer und Winter. Die isländische Provinz ist auch nicht besser. Vor einiger Zeit wohnte ich einer Lesung des Autors bei, dem die Vorlage zum Film „101 Reykjavik“ aus der Feder geflossen war. Das neue Buch soll auch verfilmt werden: Der Held ist Lehrer auf dem Lande und wird vom Schuldirektor entlassen. Daraufhin besteigt er die Tochter des Direktors auf der Ladefläche seines, des Lehrers, Kombi bei geöffneter Heckklappe am Rande des kleinen Dorf-Flugplatzes. Die Hockey-Mannschaft des Nachbardorfes schwebt in diesen Minuten ein. Der Lehrer strengt sich an, seinen Zuschauern ordentlich was zu bieten. Dann fährt er nach Reykjavik und erschießt den Ministerpräsidenten, weil der nichts dagegen getan hat, dass im isländischen Fernsehen unsägliche amerikanische B-Movies laufen. Jetzt lässt sich der Lehrer als Ministerpräsident einsetzen und beherrscht auch das Fernsehen. Die Filme, die von nun an gezeigt werden, kann man sich vorstellen: Lehrer auf dem Lande werden entlassen und dann aber …

Norwegen: Der große Markt skandinavischer Filme, auf dem Produktionen für Lübeck ausgesucht werden, findet im norwegischen Haugesund statt. Dadurch sollten die Norweger geschmeichelt sein, aber sie lassen sich nicht schmeicheln, nicht drohen, nicht verführen, sich keine typisch norwegische Filmkunst anhängen. Sie sind stur, und man darf ihnen nicht reinreden, weder beim Walfang noch beim Filme Machen. Norwegische Filme folgen keiner Masche. Zur Strafe spielten sie in Lübeck trotz etlicher Erfolge nie die erste Geige, mussten finnischen, schwedischen, dänischen und isländischen Produktionen das Rampenlicht lassen. Nun aber ist in Lübeck ein norwegischer Film zum Eröffnungsfilm gekürt worden, ein lustiger noch dazu.

Was hat das zu bedeuten? Es bedeutet, die Nordischen Filmtage werden weich, die Macht der Lübecker Filmhanse bröckelt. Unabhängigkeitsbestrebungen im skandinavischen Film sind nicht mehr zu unterdrücken. Wenn das so weitergeht, werden sich 2008, zum 50. Jubiläum der Nordischen Filmtage, die Finnen womöglich noch die Haare waschen. (Mins Minssen)

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