49. Nordische Filmtage Lübeck
Dokumentation über Kinderbuchautor James Krüss
„James Krüss oder Die Suche nach den glücklichen Inseln“ (Martina Fluck, D 2007)
Helgoländer sind ein ganz eigener Menschenschlag, erzählt die Dokumentarfilmerin Martina Fluck in ihrem TV-Feature „James Krüss oder Die Suche nach den glücklichen Inseln“. James Krüss hat seine ersten 16 Lebensjahre auf Helgoland gelebt. Und diese Zeit hat ihn, so gesteht er in einem Interviewausschnitt, sehr geprägt. Eine glückliche, freie Kindheit auf dieser kleinen Hochseeinsel scheint unter anderem das Fundament für seine Phantasie gelegt zu haben. Humorvoll, eigenwillig, sympathisch, aber kein einfacher Menschenschlag. So charakterisiert eine Nichte von James Krüss die Helgoländer und scheint dabei auch ihren 1997 verstorbenen Onkel im Blick zu haben. Martina Fluck versucht, diesem nicht nur zur Lebzeiten sehr bekannten und beliebten Kinderbuchautoren nahe zu kommen, was sich als nicht ganz so einfach erweist. Zum einen ist Krüss, wie gesagt, schon seit zehn Jahren tot, zum anderen scheint er, was das Private betrifft, doch ein ziemlich verschlossener Mann gewesen zu sein, trotz seiner offensichtlich zu Schau getragenen Beredsamkeit. Fluck hätte sich nun in die Werk- und Mediengeschichte des Autors retten können. Denn Krüss hat weit über 100 Kinderbücher verfasst und war auch in Rundfunk und Fernsehen kein Unbekannter, sondern mit Hörspielen, wunderbaren Kinderliedern und vielen TV-Kindersendungen präsent. Nicht zuletzt hätten sich Ausschnitte aus den Verfilmungen seiner Bücher angeboten. Doch diesen Weg wollte die Filmautorin nicht gehen, obwohl sie sehr wohl auf Radiointerviews und Fernsehausschnitte in ihrem Feature zurückgreift, so z.B. auf die seiner Zeit sehr populäre TV-Serie „James Tierleben“, mit der der „Sprachartist“ Mitte der 60er Jahre seinen feinen Sinn für Kinderlyrik ins Fernsehen trug. Fluck versucht vielmehr, besonders auch den privaten Krüss sichtbar werden zu lassen. So ist sie folgerichtig nicht nur den Spuren des Dichters auf seiner Heimatinsel gefolgt, sondern ist auch auf die Kanarischen Inseln gereist, wo Krüss für über 30 Jahre seine Exilheimat fand, um dort seinen langjährigen Lebenspartner, den Spanier Dario Francesco Perez Rodriguez, und alte Freunde Krüss’ zu Wort kommen zu lassen.
Vom Nachkriegsnorddeutschland geht Krüss nach München und lernt dort seinen Mentor Erich Kästner kennen. Er schreibt eine Hörspiel-Fassung von Kästners „Die Konferenz der Tiere“. Literaturwissenschaftler Klaus Doderer bezeichnet die Krüss’ Phantasie als hochkonzentrierter als bei Kästner selbst. Krüss’ schriftstellerische Karriere erfährt einen entscheiden Schub durch die Verleihung des deutschen Jugendbuchpreises 1960 für „Mein Urgroßvater und ich“. Der Film erzählt chronologisch von diesen Ereignissen, lässt unter anderen Verlegerin Silke Weitendorf vom Oetinger Verlag und den langjährigen Illustrator der Krüss-Bücher, Rolf Rettich, zu Wort kommen. Komponist Christian Bruhn erzählt vom Vertonen der Krüss-Liedtexte, Udo Jürgens singt in einer Fernseh-Sendung von Krüss. Der Film arbeitet praktisch die Zeit bis hin zu Krüss’ Umzug nach Gran Canaria ab, um dann aus der Chronistenrolle zu fallen. Nach gut der Hälfte der Filmzeit wechselt Fluck den Schwerpunkt. Krüss als Kinderbuchautor und Protagonist in der Frühzeit des bundesrepublikanischen Fernsehens tritt im Interesse zurück. Was aus seinem Fernsehschaffen ab den 70er Jahren wird, erfahren wir nicht. Auch wie es mit seinem schriftstellerischen Schaffen weitergeht, kommt nur an zweiter Stelle zur Sprache. Krüss als Mensch drängt in den Vordergrund des Films.
Krüss flüchtet 1965 auch vor der Intoleranz gegenüber Homosexuellen nach Gran Canaria. Er litt unter dem Verhältnis der Deutschen zu seiner „Schwulität“, wie es ein Freund ausdrückt. Auf Gran Canaria hingegen konnte er „sein“. Vorsichtig tastet sich Fluck in das Leben von Krüss mit seinem Freund Dario vor und bleibt trotz aller Offenheit mit diesem Thema relativ diskret. Der Film zollt seinem vorgegebenen TV-Feature-Format in gewisser Weise Tribut, bleibt in einigen Dingen leider fast fragmentarisch.
Gegen Schluss des Films, nachdem Krüss’ Schwester und Nichte fast heiter von Krüss’ Seebestattung auf Helgoländer Friesisch erzählt haben, kommt Krüss noch einmal mit einem Text über Glück zu Wort. „Wir müssen wissen, was das Glück ist, wenn wir es suchen“, rät er, und wir sehen dazu Seevögel zwischen den Klippen von Helgoland vom Wind getragen durch die Lüfte schweben. „Wir brauchen ein Bild des Paradieses, wie der Seemann den Polarstern braucht, um sein Schiff sicher zu führen.“ Ein schönes Ende. So als ob der Film sagen wollte, Krüss hätte dieses Bild vom Paradies vor Augen gehabt und so in seine Gedichte und Geschichten einschreiben können. (Helmut Schulzeck)
„James Krüss oder Die Suche nach den glücklichen Inseln“, D 2007, 43.40 Min., Regie und Produktion: Martina Fluck, Kamera: Jürgen Hoffmann, Ton: Tim Kuhlmann, Schnitt: Stephan Lübke, Sprecher: Rufus Beck, Musik: Wibke v. Grone-Lübke, Redaktion: Armin Kratzert. Idee, Recherche und Buch: Tatjana Maas. Gefördert durch die MSH – Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein mbH und durch die Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. Kontakt: YUCCA Filmproduktion, Martina Fluck, Österweide 21, 25746 Heide, Tel.: 0160-4392130
Der Film wird am Sonntag, den 4. November, um 19.45 Uhr im Filmforum Schleswig-Holstein auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck gezeigt.