Kammerspiel mit kleiner Kamera
Am Schönberger Strand entsteht die „Drehbank“-Filmproduktion „Still-Leben“
Sonja umarmt Erwin von hinten, sie will ihn festhalten, er will gehen, nach München, weit weg von ihr, der Beruf ruft. „Und was wird aus uns?“, fragt Sonja verzagt. „Wir haben doch eine schöne Zeit gehabt“, weicht Erwin aus. „Gehabt …?“ – Szene aus einem Kammerspiel, bei dessen Dreh Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Bernd Fiedler „oft genug eine Gänsehaut“ bekommt, so „intim, zart und diskret“ sei das Spiel von Margrit Sartorius und Siemen Rühaak.
Möglich macht solche Nähe zum fast theaterhaften Spiel auf auch buchstäblich engstem Raum – in einem Ferienhäuschen gleich hinterm Deich am Schönberger Strand – Fiedlers Filmproduktionskonzept „Drehbank“, mit dem er nach „Kein Kinderspiel“ im letzten Jahr hier schon den zweiten 90-Minüter namens „Still-Leben“ realisiert. Für ein klassisches TV-Drama brauche man keinen riesigen Produktionsapparat, kein Millionenbudget und keinen großen Stab. „Drehbank“-Filme kosten maximal 200.000 Euro, das Set ist überschaubar, große Beleuchtungskörper, Kamera-Dollys und dergleichen Filminventar fehlen. Die digitale HDV-Kamera trägt Fiedler „am Mann“. Sie wiegt gerade mal zwei Kilo, braucht auch kein Stativ, denn Fiedler filmt, unterstützt von seiner Erfindung „Steady Grip“, aus der Hand, befindet sich immer mitten im Geschehen, kann den Figuren auf den Leib rücken und in die Seele schauen, „wie mit einer Lupe“.
Intensive Zusammenarbeit: Schauspieler Margrit Sartorius, Siemen Rühaak und Regisseur und Autor Bernd Fiedler (v.l.n.r.) beim Diskutieren einer Szene (Foto: jm)
Die höchst bewegliche Kamera behindert zudem das Spiel nicht. „Die Technik tritt völlig zurück, wir können uns auf die Interaktion der Figuren konzentrieren.“ Gedreht werden Takes von bis zu fünf Minuten, Zwischenschnitte und damit die sonst Zeit und Geld raubenden Umbauarbeiten für verschiedene Einstellungen entfallen. „Indem wir Szenen so einfach durchspielen, können wir sie auch ganz anders entwickeln“, freuen sich die Schauspieler Sartorius und Rühaak. Beide sind TV- und Film-erfahren, waren in zahlreichen Serien wie „Tatort“, Fernsehfilmen und auch auf der Kinoleinwand zu sehen. „Es macht Spaß, hier etwas ganz anderes auszuprobieren“, sagt Rühaak, der Fiedler schon seit knapp 30 Jahren kennt und schätzt. „Mit Bernd kann man sich streiten“, was an einem konventionellen Filmset auch nicht möglich wäre. In der – bewusst inszenatorisch eingesetzten – Enge des Ferienhauses arbeiten die drei intensiv zusammen, entwickeln die Auflösungen direkt aus dem Spiel, ungebremst von den Trägheiten des sonst üblichen „Business“. Die Kamera wird zum Akteur, denn Fiedler „spielt mit den Möglichkeiten des Bildes“ mehr als mit denen des Schnitts.
Friedrich Luft habe mal gesagt, Film sei keine Kunst, weil er sich nicht distanziere. Für Fiedler und seine „Drehbank“ ist das, anders herum gelesen, geradezu ein Credo. „Klar ist das keine Kunst, aber künstlerisch, weil atmosphärisch und ganz nah dran am Gefühl der Figuren“. Der Einfluss der Produktionsweise auf den Film werde unterschätzt. Mit der neuen Produktionstechnik, ermöglicht durch kleine, leichte Digitalkameras mit gleichwohl Bildqualität „im Kino-Look“, entstünden auch inhaltlich andere Filme. Die „Drehbank-Kompatibilität“ bezieht sich dabei auch auf die Geschichte. „Still-Leben“ ist ein Drei-Personen-Stück um eine junge Frau am Scheideweg. Soll sie weiter auf ihren älteren Partner setzen, sich an sein Leben ankoppeln oder ihren eigenen Weg gehen? Fiedler hat als Autor das Figureninventar „radikal reduziert“ – auch nach der Erfahrung mit der ersten „Drehbank“-Produktion „Kein Kinderspiel“, in der „manchmal vielleicht etwas zu viele Geschichten gleichzeitig erzählt werden“.
Ein Pragmatismus, der sich nicht nur durch die Produktionsweise begründet, sondern auch ästhetisch. „Mein Traumziel ist nicht Kino“, gesteht Fiedler. „Da unterscheiden wir uns“, sagen die Schauspieler auf dem Weg in die Mittagspause. „Für mich ist das französisches Kino made in Deutschland“, so Siemen Rühaak. „Das war der Grund für mich mitzumachen.“ (jm)