Wenn der Kopf ahnt, was der Bauch weiß
Das Symposium des Forums der Muthesius Kunsthochschule spürte der Intuition nach.
Die intermediale Tanzperformance „Vivisector“ von Klaus Obermaier und Chris Haring am 20. Mai im Kieler Schloss könnte man als den Film zum Symposium „Intuition“, welches das Forum der Muthesius Kunsthochschule vom 17. bis 21. Mai veranstaltete, begreifen, genauer: erahnen. Denn die Performance bringt manchen der Diskurse des Symposiums auf eben den Punkt, wo man keinen Punkt setzen muss.
Als eine „ecriture corporelle“, Schrift der Körper, fassen Philosophen wie Henri Bergson das auf, was als Intuition ebenso oft klar definiert wie in nebulöse Esoterik gehüllt durch die Ideengeschichte geistert: Eine „andere Logik“, eine Form der Erkenntnis, die dem Irrationalen nur insofern nahe ist, als sie die Begrenztheiten des Rationalen zu ergänzen und zu erweitern versucht. Wenn im „Vivisector“ die digitalen Pixel, Symbol für die absolut(istisch)e, technoid-totalitäre Kontrolle des Seins, über die schwitzend belebten Tanzleiber huschen und sie erst damit sichtbar im Dunkel machen, wird ein Dualismus augenscheinlich, der eher eine Dialektik ist: Der analytische, die Welt begrifflich sezierende Geist und das ganzheitlich und augenblickshaft von Welt sich berühren Lassende, was man landläufig „im Bauch“ verortet, sind vielleicht Antagonisten, aber solche, die in einer weiter gefassten Erkenntnis zu einer Synthese finden. Anders gesagt und um in einem durchaus problematischen Bild zu bleiben: Der Kopf ahnt stets, was der Bauch schon weiß. Oder, um es im „Vivisector“ zu erfahren: Erst die sich krümmenden Leiber bringen die stoisch über sie hinweg gleitenden Scan-Balken „zum Tanzen“. Nietzsche und sein leiblich tanzender Zarathustra lassen da nicht von Ungefähr grüßen.
Erst die Körper reflektieren die digitalen Pixel: „Vivisector“ (Foto: Gabi Hauser)
Dennoch, Intuition als etwas Irrationales führt in die Irren mythischer Dumpfheiten. Das ist der Tenor fast aller Vorträge des Symposiums. Sehr einleuchtend führt das der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Martin Zenck vor, indem er die Legendenranken um die Entstehung von Mozarts „Don Giovanni“-Ouvertüre mit intuitiv scharf denkender Schere kappt. Dass Mozart die Ouvertüre in der Nacht vor der Prager Premiere schrieb, war keiner „engelhaften“ Eingebung geschuldet, sondern den zeitlich engen Produktionsbedingungen. Und dennoch entstand sie intuitiv, nämlich aus der Summe der ganz realen Probenerfahrungen.
Wenn der Kopf ahnt, was der Bauch weiß, bedeutet das nicht, dass der Bauch die Macht übernimmt. Er relativiert nur die, die der Kopf zu haben glaubt. Das Symposium verwies immer wieder auf den intellektuellen Anteil der Intuition. Ein solcher Gedankenfaden spinnt sich durch die gesamte Ideengeschichte von der Antike, wo Intuition als die höchste Form der Erkenntnis galt, bis in die Leib-Philosophien des frühen 20. Jahrhunderts. Nämlich dass Kopf und Bauch einander gute Berater sind und dass man dann irrt, wenn man einem der beiden die Vorherrschaft einräumt. Das demonstriert nicht zuletzt das von Marina Abramovic autorisierte Video zu ihrer Performance „Freeing the Body“ (1975), das in der zum Symposium gehörenden Ausstellung „Ohnmacht“ zu sehen war. Rational geplant begibt sich Abramovic in einen existenziell bedrohlichen Rauschzustand, der die Grenzen des Kopfes und des Bauchs in Frage stellt.
In Frage-Stellung als humoristisch-groteske Opposition zu allem vorschnell Begrifflichen geht auch Fritz Schwegler in seinen „Effeschiaden“, die der Muthesius-Film-Professor und Schwegler-Schüler Stephan Sachs präsentierte. Schwegler bedient sich in seinen Kurzfilmen, denen er das poetische Drehbuchkonzept als gesprochenen (Sub-) Text unterlegt, dadaistischer Methoden. Der Unsinn wird paradox zum Sinn und stellt auch darin die Frage nach einer ganzheitlichen Form der Erkenntnis, an der die Intuition näher ist als ihre reduktionistischen Ableitungen, entweder in Richtung rein logischer Ratio oder gefühlsduselnder Begriffslosigkeit.
Ein Symposium liegt hinter uns, das einen Begriff von seinen Überladungen befreite und dennoch seine Potenz heraus stellte. Im besten Sinne wusste da der Bauch, was der Kopf immer schon ahnte. (jm)