Filmen wie auf dem Theater
Bernd Fiedler dreht „Kein Kinderspiel“ mit kleiner Kamera und minimalen Mitteln.
„Die Einstellung macht richtig Spaß“, freut sich Bernd Fiedler. Eine Aussage, die an einem Film-Set Seltenheitswert hat, zumal wenn sie vom Kameramann kommt, der gleichzeitig Drehbuchautor, Produzent und Regisseur ist. Überhaupt ist im Lutterbeker am achten von zehn Drehtagen zu „Kein Kinderspiel“ fast alles anders als sonst bei einem Dreh zu einem 90-minütigen TV- oder Kino-Film.
Spaß beim Drehen mit der kleinen Kamera: Bernd Fiedler (Fotos: jm)
Kein Riesenstab, lediglich zehn Leute arbeiten unauffällig hinter der Kamera, keine aufwändige Beleuchtung, keine Kamera, für die für jede Fahrt die Schienen des Dolly neu verlegt werden müssten, kein Kabelgewirr – fast wie Heimkino bei einer Familienfeier mutet der entspannte Dreh an. Genau so will es das neue Filmproduktionskonzept „Drehbank“, das Bernd Fiedler im Mai beim von der Kulturellen Filmförderung S.-H. veranstalteten Symposium „Kleine Kamera – großes Kino“ vorstellte und nach dem er hier erstmals produziert. Kleine, leichte, lichtempfindliche Digital-Videokameras machen möglich, wovon Filmemacher früher nur träumen konnten: Schwenks und Fahrten aus der Hand (unterstützt von Fiedlers Erfindung „Steady Grip“, einem Doppelgriff, der unter die Kamera geschraubt wird), Drehs unter „authentischen“ Lichtverhältnissen. Vor allem aber senken sie die Produktionskosten auf ein Zehntel. Mindestens rund eine Million Euro kostet sonst die Produktion eines abendfüllenden Spielfilms und das ist schon eher „Low Budget“. „Drehbank“ definiert den Begriff neu, nicht nur finanziell und vom Zeitaufwand her (der Film wird schon Ende Oktober fertig geschnitten sein), auch ästhetisch. „Das machen wir nochmal“, bittet Fiedler, „Kamera läuft weiter“. Ein Ding der Unmöglichkeit wäre dies bei teurem 16- oder gar 35mm-Film, doch die Festplatten, auf die die digitalen Filmbilder aufgezeichnet werden, sind geduldig und preiswert. Für den Dreh bringt das „lange Einstellungen, mehr Tempo und Konzentration auf das Schauspielerische“, so Fiedler.
Neue Anforderungen allerdings auch für die Schauspieler, denn dass knapp fünf Minuten Dialog in einem Take gefilmt werden, daran müssen sie sich erst gewöhnen, haben dafür aber Zeit, ihre Figuren nicht nur im Stakkato von 10-Sekunden-Einstellungen, sondern kontinuierlich wie auf der Theaterbühne zu entwickeln. Ein weiteres Charakteristikum einer „Drehbank“-Produktion: „eine gute Geschichte“. Ohne die komme man zwar auch sonst beim Film nicht aus, weiß Fiedler, „aber hier kann man Schwächen der Geschichte nicht mit tollen Effekten wie Verfolgungsjagden kaschieren“.
Also heißt es „Proben, proben, proben!“ bei laufender Kamera. Im Lutterbeker dreht das Team eine Szene, die nicht von ungefähr auf der Theaterbühne als „Stück im Stück“ spielt. Der pensionierte Studienrat Arno Havemann (Siegfried Jacobs), dessen spätes Glück mit Doro kinderlos blieb, möchte Vater werden. Auch die fast 40 Jahre jüngere Helene (Anna Warntjen), nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt, strebt nach Mutterschaft. Sie hat keinen Mann dafür, er keine Frau, so bilden beide eine Zweckallianz, die sich jedoch als „kein Kinderspiel“ entpuppt, denn es gibt ja noch die Gefühle … Am Rande der Proben zu einer „Schmierenkomödie“, die Arno mit ein paar Freunden für das Dorftheater im Gasthof „Zur Linde“ inszeniert, wird ihr Bund durch einen Tanz symbolisch besiegelt. (Film-) Wirklichkeit und Bühne verzwirbeln sich zu einer starken Szene voller untergündig brodelnder Emotionen.
Proben, proben, proben! – Bernd Fiedler (l.) gibt letzte Anweisungen vor dem Dreh, rechts Regieassistent Marco Finke, im Hintergrund Nicole Marischka als Sigrid
Eine gute Geschichte in der guten Geschichte, für die sich Nicole Marischka, Willi Schlüter, Carla Becker, Jacobs und Warntjen ins Zeug legen. „Das ist ein schönes Angebot, wenn du das so überziehst“, ermuntert Fiedler Marischkas Posen als Hure im Angestelltenverhältnis. Nochmal also mit vergrößerten Gesten, „Kamera läuft weiter …“ Mit jedem Take entwickeln sich die Charaktere spielfreudig, nicht zuletzt, da dies nicht nur Spiel im Spiel, sondern ganz authentisch Probe in der Probe ist. Da kommt man auch schon mal ins Schwitzen, doch Maskenbildnerin Juliane Bauer ist flink zur Stelle, um Siegfried Jacobs die Stirn zu trocknen, während Aufnahmeleiterin Nadine Lindenau mit einem kurzen Blick ins Skript die Anschlüsse überprüft.
Spiel im Spiel – Nicole Marischka mit „großen Gesten“ (rechts neben ihr Willi Schlüter als Jochen)
Nach zwei Stunden sind fünf Filmminuten im digitalen Kasten, zehn bis zwölf schafft das Team an einem Tag und die „Drehbank“ hat bewiesen, das man mit ihr schnell, konzentriert und preiswert zu auch filmästhetisch neuen Ergebnissen kommt. Eine Filmerfindung aus Schleswig-Holstein, umgesetzt in und mit Schleswig-Holsteinern, die bundesweit Schule machen könnte. (jm)