FilmTrain 2004-2006

Pfeifen in den Wäldern des Krieges

„I am Whistling / Jeg fløjter“ (Morten Chr. Olsen, DK 2005)

Wohl die ungewöhnlichste, experimentellste und auch emotionalste Dokumentation des FilmTrain-Projekts legt Morten Chr. Olsen mit „I am Whistling“ vor. Lange nach den Kriegsberichterstattern aber durchaus in deren Sinne des Versuchs, den Krieg (und seine Folgen) abzubilden, ist Olsen nach Bosnien gereist, um u.a. in Srebrenica, einem der Schauplätze grausamer Massaker des Balkan-Krieges Anfang bis Mitte der 90er Jahre, nachzufilmen, wie der Krieg seine überlebenden Opfer geprägt hat. Mit dem Ergebnis: Das geht nicht.

Wo die „Bilder“ von Massakern, den abscheulichsten Kriegsverbrechen nach dem 2. Weltkrieg, um die CNN-Welt gingen, was gibt es da noch zu filmen? Ist Kriegsberichterstattung und die des „danach“ nicht bloß Pfeifen im Walde, wenn man den heute, mehr als ein Jahrzehnt später, noch unter den Kriegsfolgen leidenden Opfern nach ihrer Existenz nicht auch noch die schrecklichen Bilder aus den Köpfen rauben will? Olsen löst dieses Problem des Dokumentarismus, der je authentischer er zeigt auch umso voyeuristischer vernutzt werden kann, indem er sich den Bildern gleichsam entzieht, indem er sie verwackelt, unscharf macht, verzerrt, in hastigen Schwenks zerreißt. Indem er mit der Kamera durch Srebrenica, dessen Zerstörungen immer noch sichtbar sind, hinter einem Holzlaster herfährt, der meistenteils die grausigen Nachhälle des Krieges verdeckt wie der im Off dazu gesprochene Text eines Tourismusführers durch „diese bezaubernde und reiche Landschaft“. Indem er seine Interviewpartner immer nur im Schattenriss oder überhautnah unscharf an der Kameralinse zeigt, als schauten sie forschend genau dort hinein, in dieses Instrument, dies hohle Auge der Unwissenden dessen, was hier wirklich vorgefallen ist.

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Verzerrte Bilder des Unmöglichen Bilder zu machen

Im Off, während die Kamera über die Kachelwände einer ehemaligen Folterkammer streift, hört man die Opfer reden: „Nur die, die dies überlebten, wissen, wie es wirklich war.“ Das Bild vom Krieg bleibt unkenntlich, lässt sich nicht herausschneiden aus den Köpfen der Überlebenden. Solche dokumentarische Einsicht, die sich nicht filmen lässt, erzeugt Demut, die Olsen ins Off als beschwörenden und sehr persönlichen Text raunt: „Die Unmöglichkeit zu beschreiben“, heißt es da lakonisch, „ein Extrakt der Identität, meine Kamera, reduziert auf eine Einstellung des Geistes. Dies ist das Unmögliche, die Umfassung der Peripherie. (…) Das Detail ist zu unbemerkt um es zu erkennen. (…) Ich zwinge meine Erinnerung aufzuwachen in die Realität.“

Das ist fast schon ein ästhetischer Offenbarungseid des Dokumentarischen, das angesichts der unbegreiflichen Grauen eines Krieges nichts tun kann, was nicht auch die (nicht) Porträtierten tun – Pfeifen im Walde, um die nicht weichen wollende Angst zu vertreiben … (jm)

I am Whistling / Jeg fløjter, DK 2005, DV/Betacam, 30 Min. Skript, Regie, Kamera, Schnitt, Musik: Morten Chr. Olsen, Ton: Kasper Harbo Bendixen, Morton Chr. Olsen. Trailer: http://rzglab15.rz.uni-kiel.de/geotv/filmtrain/whistling.wmv

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