FilmTrain 2004-2006

Eine „ein bisschen realisierte“ Utopie

„Liberate Funen / Befri Fyn!“ (Peter Michaelsen, DK 2005)

Der Charakter von Utopien ist, dass sie sich nicht realisieren lassen, sonst wären es ja keine Utopien und die Insel Utopia wäre auf der Landkarte verzeichnet. Die dänische Insel Fünen hingegen ist ganz real auf der Landkarte zu finden, ebenso die Städte Orte, Odense und Svendborg, wo 1973 versucht wurde Utopia „ein bisschen zu realisieren“, wie Peter Michaelsen in seinem Film-Debut „Liberate Funen / Befri Fyn!“ anhand von Super 8-Archivmaterial und „Talking Heads“ mehr als 30 Jahre danach zeigt. Auf dem verlassenen Bauernhof Stavnbogården in Orte gründeten Lone, Knud und Peter eine Kommune und aus den drei wurden bald zehn Leute, „die die ideale Gesellschaft schaffen wollten“.

Nur: Wie sieht die aus? Wie macht man aus der sozialistischen Theorie vom gemeinsamen Leben und Arbeiten „jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ eine Praxis, die nicht nur theoretisch funktioniert? Erstes Problem: „Wir teilten alles, Leben, Arbeit und Sachen, aber wir waren darin eine von der Außenwelt komplett isolierte Gruppe.“ Um aber nicht nur sich, den kleinen Hof in Orte, sondern ganz Fünen zu befreien, musste man ausstrahlen. Der Zeitgeist Mitte der 70er war danach und so gründeten sich bald weitere Kommunen-Projekte in Odense und Svendborg, die sich mit Utopias Urzelle zur Kommunen-Gemeinschaft „2. Oktober“ zusammentaten, eine eigene Zeitung, die „avisen FYN“, herausbrachten und in diversen Teil-Projekten vom Buch-Café über eine Rock-Gruppe mit agitatorischen Liedern bis hin zur (ob des Klimas nicht sehr erfolgreichen) „Zucht von roten sozialistischen Tomaten“ eine Zeitlang recht prominent den Kommunen-Gedanken auf Fünen verbreiteten.

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Kommunarden von gestern auf Super 8

Doch Theorie, die so zur Praxis drängt, hat ihre Tücken oder wie Ex-Kommunarde Leif es erinnernd ausdrückt: „Je realistischer das Projekt wurde, umso mehr bemerkten wir, wie unrealistisch wir waren.“ Der „Faktor Mensch“ steht nämlich seinem Glück unter der sozialistischen Sonne zuweilen faktisch recht archaisch im Wege. „Wir sollten gleich sein, aber nicht identisch“, erinnert man sich an das alltägliche Problem „24 Stunden mit immer den gleichen Leuten zusammen zu sein“, keinerlei Privatsphäre zu haben. Denn Privates schien den Kommunarden „bourgeois“, namentlich auch die Eifersüchteleien, die sich dennoch ereigneten, sei es wegen „Beziehungsgeschichten“ oder unterschiedlichen Bildungsniveaus. Zentripetale Kräfte, die die Kommune 1980 zum Aufgeben zwangen. Eine Stiftung „2. Oktober“ wurde gegründet, um fortan Projekte zu unterstützen, die wie die Kommune wenn nicht Fünen, so wenigstens den einzelnen Menschen befreien wollten. Für Gründungs-Kommunarde Knud ist das ein bisschen schizophren: „Wir hatten doch schon das, was wir jetzt mit dem Kommunen-Kapital der Stiftung fördern.“

Trotz alledem, die meisten der heute von Michaelsen zu den wilden Zeiten der Kommune befragten ehemaligen Mitglieder schauen positiv auf die gemeinsame Vergangenheit. „Wir haben eine Menge gelernt und damit bin ich heute sehr glücklich“, weiß Britta. Und Knud: „Wir hatten Probleme, aber die haben wir uns selbst gemacht.“ Lone: „Wir wissen so viel von einander, das sind alles Freundschaften fürs Leben.“ Was man sehen kann (obwohl durch Aussparung mancher im Streit auf ewig Geschiedenen etwas idealisiert), wenn Michaelsen die Wiedersehens-Treffen von heute zeigt. Er selbst sagt über die Kommunenzeit: „Ich träumte von einem Platz, wo ich glücklich sein kann. Ich habe das Ziel nicht erreicht, aber vielleicht war der Weg dorthin schon ein bisschen Realisierung der Utopie. Ich glaube, dass Aktion immer Veränderungen bewirkt.“

Die Aufarbeitung der „68er“, ihrer Visionen und ihres (partiellen) Scheiterns ist derzeit gerade en vogue – oft sich im Nachhinein über die Utopien lustig machend. Doch Michaelsens Kommunen-Porträt reiht sich nicht ein in die übliche „Abrechnung mit 68“, enthält sich aber andererseits auch jedweder links-romantischen Nostalgie. Das Lächeln der Ex-Kommunarden heute über ihre damaligen Visionen, die etwas realistischere Sicht der Dinge aus dem zeitlichen Abstand bewahrt dennoch die Achtung vor dem eigenen Tun damals. Und die zahlreichen Super 8-Archiv-Schnippsel zeigen recht hautnah, wie es damals war, was sein sollte, aber noch nicht sein konnte. Eine sympathische Bilanz einer bewegten Zeit, deren Bewegungsecho man noch nachspüren kann. Fünen wurde nicht befreit, ebensowenig der Mensch von seinen Unzulänglichkeiten zu einer manchmal gar nicht so menschlichen Utopie. Aber – und mit dieser ollen Sponti-Parole lässt Michaelsen seinen Film enden: „Der Kampf geht weiter!“ (jm)

Liberate Funen / Befri Fyn!, DK 2005, DV Betacam/Super 8, 30 Min. Buch, Regie: Peter Michaelsen, Dramaturgie, Produktionsleitung: Jannick Sørensen, Kamera: Christian Hülnhagen, Licht: Christian Hülnhagen, Poul Gejel, Archiv-Fotos: Christian Hülnhagen, Schnitt: Kasia Larsen, Jannick Sørensen, Peter Michaelsen, Super 8-Kamera: Dennis Kongstad, Frederik Crone, Fotos: Niels Nyholm. Trailer: http://rzglab15.rz.uni-kiel.de/geotv/filmtrain/liberate.wmv

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