FilmTrain 2004-2006

Authentisch durchgeknallt

„Dead Man Singing / De dødes land“ (Martin Sommerdag, DK 2006)

Ein Gesicht in Großaufname, das Licht einer vorgehaltenen Taschenlampe erzeugt unheimliche Schatten. Wirres Zeug redet der Mann mit den weit aufgerissenen Augen. Man ist vorgewarnt. Super-8-Aufnahmen aus glücklichen Legoland-Kindertagen wiegen den Betrachter kurz in wohliger Sicherheit. Doch dann findet man sich unvermittelt in Jimmis Universum, im Strom seiner nie abreißenden absurden Weisheiten, unglaublichen Geschichten und falschen Erinnerungen wieder. Seine verwinkelte mit Krims und Krams voll gestopfte Bude spiegelt seinen verwirrten Geist. Auf dem Dachboden sucht er im Schein seiner Taschenlampe nach Geistern, aber findet nur ungewöhnliche Farben. Im Nebenzimmer zeigt er dem Team die Harley seines Vaters, tatsächlich nur einen alte Suzuki ohne Bremsen. Der Stahlrahmen seines antiken Klaviers ist tatsächlich nur aus Holz. „400 Kilo, das kannst du nicht heben.“ Im nächsten Moment behauptet er, das Instrument selbst an seinen Platz gestellt zu haben. Der 40-jährige Jimmi ergeht sich in Fantasien über einen sechsköpfigen Harem und erzählt von seinen Heroin-Erfahrungen.

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Schräge Fantasien authentisch beleuchtet: Jimmi

Das zweiköpfige Team aus Regisseur Martin Sommerdag und Soundmann Thomas de Hansen steht nicht beobachtend im Hintergrund, sondern ist interaktiv am Geschehen beteiligt. Und diese Interaktion zwischen Protagonist und Team ist essentiell für diese ungewöhnliche Dokumentation. Das drückt sich sehr treffend in dem Moment aus, als Regisseur Sommerdag Jimmi Feuer für seine Haschpfeife gibt, ohne die Kamera aus der Hand zu legen. Es wird sich beschimpft, aber auch zusammen gesungen. Jimmi verteilt Kosenamen an das Team: „Ich würde euch Laurel und Hardy nennen.“ Sommerdags Fragen sind stets zu hören, eigentlich ein No-No in der klassischen Dokumentation, aber das ließe sich bei dieser besonderen Symbiose zwischen Protagonist und Chronist schwer vermeiden. Analog zu den assoziativen Strömen in Jimmis Erzählungen schwenkt Sommerdag die Kamera wild umher und schneidet in Jump Cuts.

Eine besondere Dynamik erhält der Film, als Jimmi seine „Gunny“ hervorholt und der Regisseur ihn mehrmals ehrlich entsetzt bitten muss, nicht in seine Richtung zu zielen. Auch wenn Jimmi nur mit schock-gefrosteten Bohnen auf Dosenbiere schießt, vermittelt sich die unberechenbare Bedrohlichkeit, die Jimmi bei all seiner sympathischen Durchgeknalltheit hat.

„Dead Man Singing ist eine fast anarchistische Dokumentation, in der Wahl ihrer Mittel äußerst stimmig. Sie liefert ein intensives Kurzportrait des Ausnahmecharakters Jimmi, das man so schnell nicht vergisst. (dakro)

Dead Man Singing / De dødes land, DK 2006, 29 Min., DV/Betacam. Regie, Kamera, Schnitt & Buch: Martin Sommerdag, Sound: Thomas de Hansen. Trailer: http://rzglab15.rz.uni-kiel.de/geotv/filmtrain/dead.wmv

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