56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

Mitten ins Kino-Tor

„Eine andere Liga“ (Buket Alakus, D 2005)

„Na, geht doch“ – sagt sich nicht nur die 20-jährige Hayat (Karoline Herfurth), als sie nach einer Brustkrebs-Operation erstmals wieder auf dem Fußballplatz steht und ein Tor schießt. „Na, geht doch“ oder besser „Tor! Tor! Tor!“ möchte auch der Zuschauer rufen. Denn genau diese kleinen Geschichten wollen wir im Kino sehen, die kleinen Dramen, die so authentisch, aber auch so humorvoll erzählt sind, dass man glatt vergisst, dass das Tor, auf das Regisseurin und Autorin Buket Alakus ebenso kämpferisch wie spielfreudig zielt, „nur“ auf der Leinwand steht.

Damit aber auch genug der Metaphorik rund ums runde Leder, denn „Eine andere Liga“ spielt sich zwar rund um den Bolzplatz des „FC Schanze“ im nämlichen Hamburger Viertel ab, ist aber kein Fußballfilm. Vielmehr gibt es im wirklichen Leben genau diese jubelnden Höhen und schründigen Abstürze wie im Fußball. Jäh enden Hayats Fußballträume in der aufstrebenden Mädchenmannschaft des „SC Elbe“, als bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wird. Auch für Hayats Vater (Thierry van Werveke), den sie zärtlich „Baba Can“ nennt, ist das ein harter Schlag, denn schon seine türkische Frau, die er immer noch abgöttisch liebt, starb an Krebs, als Hayat noch ein Kind war. Seither ist der Frührentner um seine „kleine Prinzessin“ umso besorgter, verbietet ihr nach der Brust-OP jede Anstrengung und meldet sie heimlich bei ihrem Fußballverein ab. Doch Hayat ist ein Dickkopf und spielt bald bei den bunt zusammengewürfelten Kickermädchen von „FC Schanze“ mit. Und verliebt sich in deren Trainer Toni (Ken Duken), der auch ein Auge auf sie geworfen hat. Wenn denn ganz normales Verliebtsein nach einer Brustkrebs-Operation möglich wäre. Tief sitzen Hayats Ängste vor Liebe und Sex, vor der möglichen Zurückweisung, wenn ihr „Handicap“ entdeckt würde, und nicht zuletzt vor dem Tod. Wie viel Zeit bleibt ihr noch, wenn der Krebs zurückkehren sollte? Wird sie dann ihr von vorne anfangen Müssen „wie ein Marathonläufer, dem man am Ende der Strecke sagt, du musst sie nochmal laufen“, noch beenden können? Doch das Fußballspiel und Toni, der hartnäckig „am Ball“ und auf ihrer Liebesfährte bleibt, lässt sie letztlich sich und ihren Körper wieder akzeptieren. Und so ist das Tor, mit dem sie am Ende den „FC Schanze“ in „eine andere Liga“ des wiedergewonnenen Lebens schießt, auch ein symbolisches.

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Torschuss ins Leben: Thierry van Werveke, Karoline Herfurth und Ken Duken in „Eine andere Liga“ (Foto: Wüste Filmproduktion)

Fußballende Mädchen, Krebs bei jungen Frauen, eigentlich Themen für zwei Filme. Buket Alakus verwebt jedoch beide Erzählstränge so innig miteinander, dass keiner ohne den anderen bestehen könnte. Fußball wird damit zu mehr als bloß einem Filmstoff, der im WM-Jahr womöglich angesagt wäre, er wird zur Überlebensstrategie, und die Krebsthematik verliert ihre tragödienhafte Schwere, mit der wir sie sonst auf der Leinwand behandelt finden. Ganz nebenbei erfahren wir auch noch etwas über die Underdogs aus dem Hamburger Schanzenviertel, was in anderen Filmen sonst nur zur sozialromantischen Tragikomödie reicht. Alakus betrachtet ihre Figuren nicht vom äußeren Schein der Klischees aus, die sich zwar unvermeidlich einstellen, mit denen sie aber (selbst-) ironisch dribbelt, sondern von innen. Mitten im größten Tumult klinken sich die Figuren zuweilen aus, gleiten hinüber in das leise Echo aus Seele und Gefühlen, das die äußeren Ereignisse auslösen. So erscheinen die Figuren fast durchweg als „räsonierende“, reflektierende in einem inneren Monolog. Wie schwer der in Filmbildern zu erzählen ist, lässt sich vielfach leidvoll im Kinosessel erfahren, hier gelingt er trotz starker bildnerischer Mittel wie ungewöhnlichen Perspektiven und Kadrierungen (Kamera: Bella Halben) ohne jedes nervige Pathos und zauberhaft leichtfüßig.

Wie die vielen kleinen Mini-Geschichten, die Alakus um die Handlung gruppiert. Fast schon liebevoller Slapstick ein Paar, dass sich im Waschsalon, wo Hayat die Trikots ihrer Frauschaft wäscht, „wiedervereinigt“. Nicht minder traurig-komisch zeichnet Alakus die Figur des „Baba Can“, der so gutmütig unpraktisch wie liebesverzweifelt ist, in letzterem ein Parallelreflex auf das, was Hayat durchleidet. Überhaupt die Darsteller: Karoline Herfurth gibt eine Hayat, die gerade durch die Herausforderung der Krankheit vom Mädchen zur Frau reift. Thierry van Werveke leuchtet das Vater-Tochter-Liebes- und auch Abhängigkeitsverhältnis mit sympathisch linkischer Kumpelhaftigkeit als ein ganz besonderes aus. Ken Dukens Toni entwickelt sich vom Platzhirsch zum romantischen Romeo (grandios komisch und gleichzeitig wunderbar poetisch die Szene, wo er mit T-Shirt-Aufschriften vor dem Fenster von Hayats Arbeitsplatz als Goldschiedelehrling um ihre Gunst buhlt). Und die Kickerinnen des „FC Schanze“ sind allesamt charaktervolle Prototypen von der bärbeißigen Rapperin bis zur tantigen „Muddi“ mit fülligem Körpercharme.

Überzeichnungen, Klischeekisten, Klamotten und andere verblasene Ball-Artistiken hätten nahegelegen und wir wissen, wie viele ähnlich „szenige“ Filme in diese Falle tappten (auf der Berlinale nicht zuletzt Detlev Bucks „Knallhart“). Gleichwohl, Buket Alakus gebraucht solche Versatzstücke nur ironisch zitierend und verwandelt sie in den zärtlich mäanderenden und oft bildhaft symbolischen Fluss einer Geschichte mit Tiefgang und – ja – Leidenschaft. Einmal mehr fragt man sich, warum solche Film- und Erzählkunst nur im Nachtprogramm von ARTE und dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF, die den Film koproduzierten, läuft, und nicht (oder nur viel zu kurz) im Kino. Diese „andere Liga“ hätte der Film in jedem Fall verdient, denn er flankt mitten ins Tor der ganz großen Leinwand. (jm)

Eine andere Liga, D 2005, 110 Min., 35 mm. Buch: Buket Alakus, Jan Berger, Regie: Buket Alakus, Kamera: Bella Halben, Darsteller: Karoline Herfurth, Thierry van Werveke, Ken Duken u.a. Gefördert durch FilmFörderung Hamburg, Kuratorium junger deutscher Film, Nordmedia Fonds.

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