Aussagekräftiges Kompendium

„Mythen – Mütter – Maschinen. Das Universum des James Cameron“, herausgegeben von Eckhard Pabst

Auch wenn er seit „Titanic“ (1997) „nur“ zwei Dokumentarfilme („Bismarck“, 2002; „Ghost of the Abyss“, 2003) für das Fernsehen respektive für IMAX-Kinos realisiert hat, so bleibt James Cameron doch einer der erfolgreichsten Regisseure des amerikanischen Mainstream. Sein Name ist mit denen von Steven Spielberg und George Lucas in einem Atemzug zu nennen, sowohl auf den Erfolg seiner Filme bezogen als auch auf die Originalität seiner Filmwelten und sein Talent als Filmemacher. Der 1954 geborene, aus Chippewa Falls stammende Kanadier ist filmischer Autodidakt und machte sich zunächst als Special Effects Experte in der Talentschmiede von B-Film-Produzenten-Legende Roger Corman einen Namen, bevor er mit dem Low Budget Movie „Terminator“ 1984 einen Hit landet. Schon mit dem folgenden Film „Aliens“ (1986), dem Sequel zu Ridley Scotts „Alien“ (1979) konnte sich Cameron als Blockbuster-Regisseur mit eigener Handschrift etablieren. Mit „Terminator 2 – Judgement Day“ (1991) und „Titanic“ schuf Cameron zwei der erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte.

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James Cameron bei den Dreharbeiten zu „Aliens“ (Quelle: imdb.com)

Doch Cameron ist nicht nur Regisseur erfolgreicher Multi-Millionen-Dollar-Spektakel à la Michael Bay („The Rock“, „Armageddon“), er beteiligt sich maßgeblich an allen Aspekten des filmischen Prozesses und ist als kompromissloser Perfektionist und Kinomacher der Extreme gefürchtet. Bemerkenswert aber ist, dass seine eigene Fantasie der Ursprung der fantastischen und meist düsteren Welten ist, in denen seine Helden bestehen müssen. Cameron ist, mit wenigen Ausnahmen, sein eigener Drehbuchautor, führt meist die Kamera selbst und muss daher als „Auteur“ betrachtet werden. Mit dem „Terminator“ schuf er zudem eine Figur der Populärkultur, die nicht nur in einem weiteren Sequel, sondern auch in anderen Medienformen (Comic, Computerspiel, Themenpark) fortlebt. „Titanic“ ließ am Ende des Milleniums zusammen mit der gleichnamigen Wanderausstellung und unzähligen Buch- und Magazinveröffentlichungen den Mythos der durch kritiklose Technikgläubigkeit ausgelösten Jahrhundert-Katastrophe aufleben. Gleichzeitig addierte Cameron seinen eigenen Mythos von der Liebe, die gesellschaftliche Klassen überwindet und den Tod überdauert, erfolgreich den Titanic-Legenden hinzu.

Eckhard Pabst, Literatur- und Medienwissenschaftler, freier Lektor für das ZDF und Co-Leiter des Kommunalen Kinos Kiel, hat sich als Herausgeber und Autor der Aufgabe einer kritischen Werkschau gestellt. Auf 320 Seiten untersuchen Pabst und seine Co-Autoren zunächst alle Cameron-Filme in Einzelanalysen, um sich dann im zweiten Teil Themenkomplexen und motivischen Bezügen zu widmen, die sich nach einer übergreifenden Betrachtung der Filme Camerons zwingend ergeben.

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Sicher eines der interessantesten Kapitel liefert Pabst als Eröffnung: die Anfänge James Camerons als Filmemacher. Interessant, weil schon in den von Pabst herausgearbeiteten Vorlieben für Science Fiction Literatur und die modernen Genre-Klassiker „Space Odyssey“ (Stanley Kubrick, 1968) und „Star Wars“ (George Lucas, 1977) die Begeisterung für „other worlds, other environments“ (Cameron) deutlich wird, die Camerons ganzes Werk durchzieht. Der Schüler der Stanford CVA begeistert sich für Cryogenetics und fällt seinen Mitschülern auch als hervorragender Zeichner von Science Fiction Szenarien auf. Seine Zeichnungen bilden auch den visuellen Einstieg des lang verschollenen bzw. unter Verschluss gehaltenen Frühwerkes „Xenogenesis“ (1978), einer Art Layout-Dreh für ein ambitioniertes Filmprojekt, mit dem Cameron private Sponsoren zur Investition in einen Spielfilm bewegen wollte. Das Projekt wurde nicht realisiert, doch Cameron bewies schon hier ein außergewöhnliches Talent, mit einfachsten Mittel und bescheidenem Budget einen technisch verblüffenden Kurzfilm zu inszenieren. Pabst präsentiert Stills aus „Xenogenesis“ und weist anhand dieser und der Storyline verblüffende Parallelen zu Camerons späteren Filmen nach. Bereits in diesem Frühwerk finden sich auffällige Ähnlichkeiten mit dem Production Design von „Terminator“ und „The Abyss“ (1989) sowie die wesentlichen Themen des Cameronschen Diskurses und Grundkonstellationen wie der Kampf Mensch-Maschine, der Herrschaftsanspruch der Maschinen und die kämpferische Amazone als Heldin. Pabst liefert hier wesentliche Fakten, Zitate und filmische Schlüssel zum Verständnis des Cameronschen Universums.

In den folgenden Kapiteln des ersten Teils entfalten die Autoren dieses Universum vor unserem geistigen Auge. Die Einzelanalysen beginnen stets mit einer Zusammenfassung der Story und steigen dann in eine Analyse ein, die sich meist einem besonderen Ansatz widmet. Ulrich Bähr nimmt sich der Terminator-Saga an und streicht zu Anfang die populär-kulturelle Bedeutung des Stoffes und seiner Figuren heraus, um ihn dann in einem Vergleich mit der christlichen Mythologie auszudeuten. Hinter der Fassade eines Action-Films verbergen sich die Aufarbeitung zivilisatorischer Grundprobleme sowie menschlicher Urängste. Erst nach der Erkenntnis eines vorherbestimmten Schicksals und der Selbstaufgabe für ein höheres Ziel sind die Helden in der Lage, die Welt oder zumindest die Hoffnung darauf zu retten. Bährs gelungener Text macht deutlich, welcher Grundmotive Cameron sich als Autor bedient.

Gerald Koll unterstellt Cameron in seinem Artikel zum ehemals „erfolgreichsten Film aller Zeiten“ eine verhohlene Nabelschau. Sehr eloquent und mit erfrischender Respektlosigkeit arbeitet Koll nicht nur die Parallelen zwischen der Filmfigur des besessenen und selbstverliebten Titanic-Wracktauchers Lovett und dem Titanic-Filmer Cameron selbst heraus, sondern entdeckt und analysiert auch die zahlreichen versteckten Selbstreferenzen und entlarvt so den Film als Selbstportrait Camerons. Koll gestaltet seinen Text aber nicht als vernichtende Kritik und streicht z.B. die handwerklich perfekte, symmetrische Struktur des Drehbuchs heraus. Doch nach der Lektüre wird man „Titanic“ sicher zumindest einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

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Cameron mit seinem alter ego, dem Titanic-Wracktaucher Lovett (Bill Paxton) (Quelle: imdb.com)

Im zweiten Teil des Buches widmen sich die Autoren den übergreifenden Themenkomplexen Emanzipation und Mutterschaft im Werk Camerons und beleuchten die mythologischen Bezüge in seinen Filmen. Jens Schröter setzt sich in seinem Text mit dem Verfahren des Morphing auseinander, das Cameron in „The Abyss“ und prominenter noch in „Terminator 2“ einsetzt. Doch Schröter belässt es nicht bei einer bloßen Erklärung der Bildtechnologie, sondern bietet eine Reihe von Deutungen für den Einsatz des damals relativ neuen Verfahrens an. Letztlich unterstellt er Cameron einen bewusst kritischen Kommentar zu den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung.

Auch dem Drehbuchautor James Cameron ist gerechtfertigter Weise ein ganzes Kapitel gewidmet. Britta Madeleine Woitschig stellt schon im Titel mit dem Zitat Camerons „Feelings matter more than staying in control. They matter more than anything“ klar, dass Cameron kein kühler Technokrat, sondern ein Erzähler der großen Gefühle und ein Aufklärer ist. Praktisch alle Filme entwerfen Szenearien der existenziellen Bedrohung für eine ganze Kultur und nur wer sich solidarisiert und zum Selbstopfer bereit ist, hat eine Chance zu überleben. Auch in seinem Drehbuch zum Neo-Noir Krimi „Strange Days“ (1994), verfilmt von Camerons Ex-Frau Kathryn Bigelow, sind diese Themen präsent. Das Drehbuch hätte eigentlich einen näheren Blick verdient, dafür holt Woitschig unbekannte und unverfilmte Drehbücher Camerons ans Licht. So schrieb er ein Drehbuch zu „Alien vs. Predator“, das sicher ein bessere Vorlage gewesen wäre als das letztlich realisierte Projekt gleichen Namens. „Avatar“ ist vielleicht Camerons anspruchvollstes und persönlichstes Projekt, wurde aber lange Zeit nicht für eine Realsierung in Betracht gezogen. Der Story fehlte möglicherweise die Geradlinigkeit, die auch Markenzeichen einer Cameron-Storyline ist. Allerdings sind jetzt die digitalen filmtechnischen Möglichkeiten zu neuer Blüte gelangt, die die Umsetzung einer Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines interplanetarischen Krieges nicht nur machbar, sondern auch finanzierbar erscheinen lassen. Aber Cameron würde seinem Ruf als einer der wichtigen technischen Neuerer des Films nicht gerecht werden, wenn er nicht auch in diesem Projekt neue Techniken einsetzen würde. So ist die Realisierung des Projektes nicht nur bestätigt, sondern auch der Einsatz eines digitalen 3D-Kamerasystems und eines „virtual production studios“ vorgesehen. Auch die Story zu „Avatar“ schrieb Cameron wie auch seine anderen Drehbücher zunächst als so genanntes „Scriptment“, das in seiner Ausführlichkeit eher romanähnlich ist und sich sogar kleine Ausflüge in Lektionen über wissenschaftliche Sachverhalte erlaubt. Woitschig hält fest, dass Kenner dieser Scriptments Cameron literarische Qualitäten attestieren. Interessant sind auch ihre Entdeckung von Referenzen zwischen Stanley Kubricks „The Shining“ (1980) und „Titanic“, die laut Woitschig mehr als bloße Hommage sind, sondern das filmanalytische Verständnis Camerons belegen.

Eckhard Pabst liefert nach dem David-Lynch-Projekt „A Strange World“ ein weiteres gelungenes Gemeinschaftsprojekt ab. Für alle Analysen der Buches gilt: Sie eröffnen ein tieferes Verständnis für Camerons Filme, sind informativ und trotz ausführlicher Betrachtung erfreulich unakademisch. Und sie machen Lust auf ein Wiedersehen und Neu-Entdecken von Camerons Filmen. Die Aufteilung des Buches in Einzelanalysen und Themenkomplexe ist sinnfällig und macht „Mythen – Mütter – Maschinen. Das Universum des James Cameron“ zu einem gelungenem Kompendium. Was kann man sich von einem Filmbuch mehr wünschen? (dakro)

Pabst, Eckhard (Hrsg.), Mythen – Mütter – Maschinen. Das Universum des James Cameron, mit Beiträgen von Lars Baumgart, Ulrich Bähr, Hans Heydebreck, Karl Juhnke, Kai Ulrich Jürgens, Gerald Koll, Daniela Langer, Jens Schröter, Britta Madeleine Woitschig, Kiel 2006, Verlag Ludwig, ISBN 3-933598-71-0, 24,90 Euro.

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