47. Nordische Filmtage Lübeck

Alles Kulisse

„Wenn lang die Bilder schon verblassen … KZ Theresienstadt – Propagandafilm und Wirklichkeit“ (Thilo Pohle und Filmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule in Rothenburg ob der Tauber, D 2005)

Frühommer 1944 im KZ Theresienstadt: Eine dänische Rotkreuz-Delegation hat sich angesagt, um die Konzentrationslager der Nazis in Augenschein zu nehmen. Die Propagandamaschine läuft an, um ein zynisches „potemkinsches Dorf“ zu erstellen, die Greuel schönzufärben. Gipfel des Zynismus: Der jüdische Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron wird gezwungen, einen Film über Theresienstadt zu drehen, in dem das Lager quasi als „Musterstadt“ dargestellt wird. „Der Führer baut den Juden eine Stadt“, so nennen die jüdischen Häftlinge den Film ironisch. Erst im März 1945, der Zusammenbruch des Nazi-Regimes zeichnet sich bereits deutlich ab, wird der Film fertiggestellt und überhaupt nur zwei Mal im KZ Theresienstadt einem ausgewählten Publikum vorgeführt. Seine Propagandawirkung verfehlte der Film dennoch nicht. Seit den 80er Jahren befindet sich eine nur rudimentär erhaltene Kopie im Giftschrank des Bundesfilmarchivs, denn man fürchtete Missbrauch des Materials durch revisionistische Kräfte.

Zum ersten Mal überhaupt durchleuchtet jetzt ein Dokumentarfilm die Entstehung des Films. Gedreht haben dieses „Making Of“ nicht etwa Filmwissenschaftler, sondern eine Schülergruppe der Oskar-von-Miller-Realschule in Rothenburg ob der Tauber unter der Leitung von Thilo Pohle. In rund 2.000 Stunden Arbeit haben die Schüler Clips aus dem Propagandafilm ausgewählt und stellen sie den Erinnerungen eines Zeitzeugen gegenüber. Der dänische Jude Salle Fischermann war Häftling im KZ Theresienstadt, verlor in den Vernichtungslagern der Nazis fast seine gesamte Familie, war in Kurt Gerrons Team als Beleuchter verpflichtet und erlebte so die Dreharbeiten hautnah mit. „Alles Kulisse“, so sein Resümee über den beispiellosen Versuch einer menschenverachtenden Schönfärberei, zu dem die Täter ihre Opfer zwangen.

Die Doku des Schülerteams wechselt zwischen den Originalaufnahmen und Fischermann, der die Aufnahmen und ihre Entstehung kommentiert. Was dabei zutage tritt, ist wahrlich haarsträubend. So wurden etwa Krankenhausbetten, die es in Wirklichkeit nirgends im Lager gab, für die Kamera nach draußen gestellt, damit die Kranken Sonne bekommen. Fischermanns lakonischer Kommentar zu solcher hahnebüchener Selbstentlarvung der Propaganda: „Bei welchem Krankenhaus stellt man die Betten raus in die Sonne?“ Und auch für alle angeblichen Errungenschaften für die Lagerinsassen gilt: „Das war für den Film, nicht für die Menschen.“

Zeitzeuge Salle Fischermann (Foto: NFL)

Obwohl die dokumentarische Kamera in Gerrons Film (wohlgemerkt erzwungenermaßen, von Gerron, der nach Abschluss der Dreharbeiten ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde, so nicht intendiert) so schamlos zur Produktion von Lügen missbraucht wurde, zeigt sie dennoch gelegentlich die grausame Wirklichkeit. Zum Beispiel schlingen Häftlingskinder sichtbar ausgehungert Butterbrote herunter, die ihnen von Lagerschwestern gereicht werden, um die Camouflage einer ausreichenden Ernährung für die Kamera zu inszenieren. Und wenn die Kamera über die Gesichter eines Theaterpublikums aus Häftlingen fährt, so kommentiert Fischermann, „zeigt sich ein anderes Gesicht, wenn man richtig auf die Augen guckt.“

Genau darum geht es der Doku von Pohle und seinen 14- bis 16-jährigen Schülern, die Maskerade durch den genauen Blick zu entlarven, gewissermaßen durch den Schleier der Propagandabilder auf die Wirklichkeit im KZ Theresienstadt zu schauen, was ob der Perfektion der Propagandamaschinerie zuweilen nur durch Fischermanns Erläuterungen und Kommentare gelingt. So entstand ein ebenso erstaunlicher wie erschreckender Dokumentarfilm. Erstaunlich nicht nur wegen der jungen Filmemacher, die sich hier mit nahezu wissenschaftlicher Akribie eines schwierigen Themas angenommen haben, erstaunlich auch immer wieder in dem Sinne, dass sich zeigt, wie fotografische und filmische Bilder lügen können, dass man sie aber, in den richtigen Kontext gestellt, mit den eigenen Mitteln auch wieder entlarven kann. Ein Essay nicht zuletzt auch über die Wahrhaftigkeit des Filmbildes.

Und ein Film als Mittel der Versöhnung durch schonungslose Aufklärung. „Die persönliche Begegnung ist fast der wichtigste Teil unserer Filmarbeit“, sagt Pohle über die Zusammenarbeit mit Salle Fischermann. Der Film ist bereits die dritte Arbeit der seit 23 Jahren bestehenden Schülerfilmgruppe. „Wenn lang die Bilder schon verblassen …“ gingen u.a. eine Dokumentation über ein süddeutsches Dorf, das in den letzten Kriegsagen zwischen die Fronten geriet, und ein Film über Willy Graf, eines der aktivsten Mitglieder der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“, voraus. Diese Dokumentarfilme wurden über die Goetheinstitute weltweit verbreitet und erreichten 700.000 Zuschauer. Ein ähnliches Echo kann man dem Film über den Film über das KZ Theresienstadt nur wünschen, zumal er einen wichtigen „blinden Fleck“ der Vergangenheitsbewältigung deutscher Nazi-Verbrechen wieder sichtbar macht.

Der Jury war der Film daher auch den mit 2.500 EUR dotierten Dokumentarfilmpreis der Lübecker Gewerkschaften wert. In der Jurybegründung heißt es: „Mit diesem Preis soll nicht nur die ausgezeichnete Gemeinschaftsarbeit der Filmemacher unter der Leitung von Thilo Pohle prämiert werden, sondern auch die künstlerische Auseinandersetzung mit einem Thema deutscher Geschichte, das immer noch nicht aufgearbeitet zu sein scheint. Die Filmemacher entwickeln dabei eine Professionalität, die weit über viele bekannte Beiträge im deutschen Fernsehen hinausgeht.“ (jm)

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