Kurt Denzer – ein Rollenwechsel
Ein Filmpionier, Filmemacher, nimmer müder Förderer des Filmnachwuchses in Schleswig-Holstein, Gründer und Organisator der Cinarchea bekennt sich zum Rollenwechsel – er wird 65.
Bereits Anfang der 70er Jahre lernte ich ihn kennen und schätzen – ihn, den damaligen Studienrat für Latein, Deutsch und Philosophie aus Neumünster. Er fragte an, ob ich Lust hätte, mit ihm im Jugendhof Scheersberg ein Seminar für junge Schmalfilmer aus Schleswig-Holstein zu organisieren. Ich hatte …
Die Geburtsstunde einer bis heute erhaltenen, sehr erfolgreichen und nachhaltig Impulse gebenden Veranstaltung (wenn auch mit wechselnden Formaten): das legendäre Schmalfilmer-Treffen Schleswig-Holstein, das Video-Film-Fest Schleswig-Holstein. Eine noch heute bundesweit ausstrahlende Großveranstaltung, für die Kurt Denzer selbst bis Ende der 80er Jahre als Seminarleiter fungiert hat.
Gleichzeitig begann eine zwei Jahrzehnte lang währende sehr enge und freundschaftliche Zusammenarbeit, in der viele Initiativen, u.a. Gründung der Landesar-beitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung (heute LAG Jugend und Film) sehr eng mit seinem Namen verbunden sind. Die Gründung der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein, eine wahrlich schwierige Geburt, geht auch auf seinen unermüdlichen Einsatz (neben dem vielen anderer Mitstreiter) zurück. Kurt Denzer gehörte Jahre lang dem Vorstand an, um aus der verabredeten Struktur und Konzeption zur Filmförderung Realität werden zu lassen.
Er war es, der maßgeblich an der Ausgestaltung und Konzeption des Dr.-Hans- Hoch-Filmpreises mitwirkte, einer der höchstdotierten Nachwuchs-Filmpreise in Deutschland. Noch heute setzt er sich für diesen Förderpreis als Organisator und Jury-Mitglied ein.
Neben der Nachwuchs-Förderung machte sich Kurt Denzer besonders einen Namen als Filmemacher. Seine Filme entstanden als „Einzelkämpfer“ oder im Rahmen von Projekten mit Studenten, zunächst in den Studentischen Arbeitsgemeinschaften und später in der Filmarbeitsgruppe der Christian-Albrecht-Universität Kiel. Seine Filme beschäftigten sich mit einer großen Themenvielfalt. In „Mit Shangri La auf Wikingerkurs“ (1987) fuhr er mit der Crew des Katamarans monatelang durchs grönländische Packeis, unter extremen klimatischen und wohl auch gefährlichen Bedingungen, steckte selbst ein kleines Vermögen in die Produktion des Films und legte einen sowohl spannenden sowie gleichzeitig erzählenden Dokumentarfilm mit Spielfilmlänge vor. „Shangri La“ lief in Programmkinos und auch in gekürzter Form auf NDR 3.
Ausgiebige und monatelange Recherchen, u.a. auch in England, unzählige Interviews mit Zeitzeugen, aufwändige Trickaufnahmen führten in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Torsten Schmidt dazu, einen gleichsam unterhaltenden wie informativen Dokumentarfilm über die abenteuerliche Befreiung Helgolands zu machen. Titel: „Wer befreite Helgoland?“ (1993, mit Fernsehausstrahlung). 1979 entdeckte Denzer für sich eine völlig neue Filmmachart, den archäologischen Film. Dabei entstanden die Dokumentarfilme wie „Das Haithabu-Schiff“ (1979-1985), „Die Welt der Wikinger“ (1986), „Vom Baum zum Einbaum“ (1989), „Die Glocke von Haithabu“ (1990). Diese Filme erhielten national und international viele Preise. Bei der FBW wurde dem Film „Die Welt der Wikinger“ sogar das Prädikat „besonders wertvoll“ – was bei Dokumentarfilmen sehr selten ist – zuerkannt. Alle Filme liefen mehrfach im Fernsehen. Außerdem, welcher Dokumentarfilmer in Schleswig-Holstein kann von sich behaupten, mit seinen Filmen über eine Million Zuschauer allein in einem Kino angelockt zu haben, nämlich im Museums-Kino in Haithabu?
Denzers Liebe, Begeisterung und geradezu Leidenschaft Filme zu machen kam allerdings nicht von ungefähr. Schon als Kind saß er als Dauergast im Kino. Sein Vater schleppte ihn in alle verfügbaren Hitchcock- und Clouzot-Filme (wer erinnert sich z.B. noch an „Lohn der Angst“?) und schon sehr früh begann er mit dem eigenen Filmen, damals auf N 8 und später 16mm. Einer dieser frühen Streifen, den er als Student in den Studentischen Arbeitsgemeinschaften Kiel drehte, nahm die Uni Kiel auf’s Korn. Anlass: Die damalige 300-Jahr-Feier. Dieser 10-minütige Kurzfilm war weder pathetisch, noch würde- oder respektvoll gegenüber dem doch sehr seltenen und gleichzeitig feierlichen Ereignis. Vielmehr entpuppte er sich als frecher Beitrag voller ironischer Anspielungen und dürfte aus damaliger professoraler Sicht sicher „völlig gegen die Erwartungen“ gemacht worden sein; dabei ausgesprochen kurzweilig, mit präzisen Schnitten, bar jeder überflüssigen Sequenz in der Erzählstruktur und dabei amüsant und witzig zugleich. Dieser Film wurde auf diversen Festivals im In- und Ausland gezeigt und errang viele Preise. „Floret Academia“ (1965) sein Titel, zeichnet genau den Kurt aus, den ich später in vielen Situationen kennen lernen sollte: Präzise im sprachlichen und filmischen Ausdruck, engagiert, kämpferisch, gegen den Strom schwimmend (auch unbequem) und all das mit leichtem z.T. trockenen Humor.
Nur Insider können ermessen, wie tief er getroffen sein musste, diese sprachliche Gabe für Monate (!) durch eine sehr schwere Erkrankung verlieren zu müssen und – wie ein Kind – ganz neu beginnen musste sprechen zu lernen. Seine klare und pointierte Ausdrucksweise konnte schon beeindrucken, andererseits konnte sie auch – zumal in hitzigen Debatten – eine Auseinandersetzung verschärfen, ohne sich dieser sprachlichen Kraft bewusst zu sein. Bei der Genesung kam ihm sein Kämpferwille, seine gute sportliche Kondition zu Gute, die er sich durch regelmäßiges Tennis Spielen und auch das Ski-Laufen regelrecht erarbeitet hatte. Auf seinem Anrufbeantworter hörte der Anrufer während und nach der Operation die alte gewohnte Stimme, ein Dokument, das mich Jahre lang an seine damalige dramatische Erkrankung erinnerte.
Der Film-Lehrer Denzer verficht – bis heute – unbeirrbar ein Grundprinzip: „Nur wenn die filmgestalterische Form stimmt, überzeugt auch der Inhalt!“ Hunderte von jungen Seminarteilnehmenden mussten sich mit diesem Prinzip auseinandersetzen – bereitwillig die einen, geradezu „sauer“ die anderen. Ihm entging bei der Filmanalyse der gezeigten Eigenproduktionen kein Achsensprung oder falscher Szenenanschluss und wehe, wenn die Schnitte nicht sauber angelegt waren. Vielen jungen Leuten wurden so Augen und Ohren für das Grundsätzliche des Filmhandwerks eröffnet und im Nachhinein auch für manchen der Weg zur Filmhochschule und Beruf in filmischen Zusammenhängen.
Im April diesen Jahres wurde Kurt Denzer mit seinem Team, der Arbeitsgruppe der CAU Film, von der Ministerpräsidentin Heide Simonis geehrt, anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Cinarchea, einem als Bienale durchgeführten Festivals, einmalig in Deutschland und Nordeuropa. Zu Beginn seiner archäologischen Filmarbeit im Lande mag der eine oder andere diese Nischen-Film-Kultur (die nicht so richtig in das damalige filmische Tagesgeschäft passte) kritisiert haben: „Wie kommt er gerade darauf?!“ Heute kann Kurt Denzers im Jahre 1979 eher zufällig begonnene archäologische Filmarbeit als vorausschauende Vision bewertet werden. Gelang es doch gerade durch den Film die „langweilige“ Archäologie in ungeahnter Form mit dem Dokumentarfilm populär zu machen. Die nicht enden wollenden Besucherströme im Haithabuer „Kino“ belegen dies.
Seit neuestem steht ein vielseitiges Archäologie-Film-Programm auf DVD zur Verfügung und sogar Kurt Denzer, der unermüdliche Verfechter des analogen Film-Materials (bis heute), sieht eine große Chance des neuen digitalen Formats bei dem Vertrieb seiner Filme.
Eingedenk dieser vielen nachhaltigen Ergebnisse seines langen Filmschaffens hätte sich Kurt Denzer auf seinen Rollenwechsel anlässlich seines 65. Geburtstages Anfang August in Ruhe vorbereiten können. Hätte! Denn es gab noch ein großes Problem zu lösen. Er will, auch nach der Pensionierung, sein Lieblingskind, die Durchführung der Cinarchea, weiterführen und benötigt dazu die bisherigen Räume und Arbeitsmöglichkeiten in der CAU. Die Uni winkte ab, er knurrte, kämpfte und unterstützt mit vielen Solidaritätsadressen wurde ein Kompromiss erzielt: Die Cinarchea geht weiter, die Räume bleiben erhalten, allerdings ohne eine finanzielle Zuwendung.
So feierte Kurt Denzer seinen Rollenwechsel zum 65. Geburtstag auf seine Weise, bewirtete seine Gäste köstlich und erbat anstatt üblicher Geschenke eine Spende für Cinarchea.
Jetzt kann er wieder genussvoll und beruhigt seinen geliebten Elsässer Wein trinken, von dem besonders der Pinot Noir zu empfehlen ist, und sich vermehrt dem Tennis-Sport widmen. Gleichzeitig wird er mehr Zeit haben, seine neue Leidenschaft auszubauen, die mir Steffi Denzer-Fürst, seine Frau, zuflüsterte: „Das Kochen“. Wer hätte das gedacht? Die dazu benötigten Gewürze gedeihen bereits in seinem Gewürzgarten in seinem vor 10 Jahren erworbenen Wochenendhaus. Außerdem hat er vor (und das muss man sich einmal richtig bildlich vorstellen!) erneut Reisen ohne Kamera zu machen (die ihn bisher u.a. von Grönland bis Bolivien führten) um nicht, wie er selbst sagt, sein „eigenes Gedächtnis“ zu verlieren.
Vor Jahren hielt er einen sehr beachteten Vortrag mit dem Thema „Filmland Schleswig-Holstein unterbelichtet?“. Obwohl seine Antworten dazu – auch bei der vor kurzem erfolgten Neuauflage – eher negativ hinsichtlich kultureller Filmförderung, Lehrerausbildung, Filmarbeit in schulischen Zusammenhängen ausfiel, lässt sich doch eindeutig belegen, dass er selbst viele nachhaltige Beiträge zur besseren Belichtung des Films in Schleswig-Holstein geleistet hat. (Ulrich Ehlers)
Ulrich Ehlers ist Studienleiter in der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg und 1. Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Jugend und Film Schleswig-Holstein.