Eine Falle für die Wirklichkeit

Der Hörspiel-Avantgardist Andreas Ammer gab beim 2. Hörspiel-Symposion im Nordkolleg Einblick in seine Arbeit.

Sein zusammen mit dem Ex-„Einstürzende Neubauten“-Komponisten FM Einheit produziertes Hörspiel „Crashing Aeroplanes“, worin Voicerecorder-Aufnahmen aus den Cockpits abstürzender Flugzeuge die „Lakonie des Dramas“ illustrieren, gewann 2002 den Hörspielpreis der Kriegsblinden, mit dem Elektro-Musiker Console (Martin Gretschmann) bastelte er das „Undercover-Hörspiel“ „On the Tracks“, eine akustisch-voyeuristische Beschattung von „Zielpersonen“, untermalt von Ambient-Musik. Andreas Ammer gilt als Avantgardist, der dem Hörspiel neue Wege weist. Beim von der schleswig-holsteinischen Medienförderung MSH ausgerichteten 2. Hörspiel-Symposion im Rendsburger Nordkolleg stellte er sich kritischen Nachfragen zu den „Tendenzen der Inszenierung von Wirklichkeit und Fiktion im Hörspiel“.

Sie mögen keine Schauspieler, weil die Wirklichkeit inszenieren. Deshalb verwenden Sie authentisches Tonmaterial. Sind Ihre Hörspiele also quasi „real“, dokumentarisch?

Die Realität verschwindet in dem Moment, wo man ein Aufzeichnungsgerät anschaltet. Diesen Moment möchte ich zum Verschwinden bringen. Bei „On the Tracks“ war der Trick, dass wir nicht selbstbewusste Menschen, also nicht Schauspieler, die sich des Sprechens als Mittel bewusst sind, losgeschickt haben, um andere, die sie sich selbst ausgewählt haben, zu „beschatten“. Das Interessante dabei war, was uns auch selbst erstaunte, dass die Beschreibungen der „Zielpersonen“ fast nichts über diese, aber ganz viel über ihre „Verfolger“ aussagten. Das waren alles Selbstporträts der Verfolger. Wir haben so eine Falle gebaut, in die die Wirklichkeit tappen konnte.

Dennoch wirken ja schon das Setting der Situation und später die Auswahl und der Schnitt inszenierend.

Hinten raus soll schon Kunst kommen. Das Material haben wir extrem bearbeitet, aus einer Stunde haben wir manchmal nur fünf Minuten ausgewählt, aber die sollen wie „live“ klingen. Zudem ist das Sprechen auf den Beat von Console gesetzt, um so Stimmungen zu erzeugen. Wir wollten ein Werk schaffen, das Intensität hat. Die Wirklichkeit hat diese Intensität nicht von sich aus, sie entsteht erst durch die Kunst. Die Frage nach Realität versus Kunst stellt sich also eher in der Art und Weise des Zugriffs auf das Material.

Sind Ihre Hörspiele eine literarische Gattung oder sind sie eher Musik?

Keine Antwort! Wir schauen einfach, wer das fördert. Wenn das die Oper ist, nennen wir es Sprachoper, wenn Hörspielredaktionen mehr zahlen, nennen wir es Hörspiel. Was wir machen, ist halb Theater, halb Literatur, halb Musik, halb Performance. Das Schöne am Hörspiel ist, dass dort alles Platz hat. Es ist eine zeitgemäße Gattung, weil es nicht den alten Ballast der Oper hat, die ja auch Gattungen verschmilzt. Zeitgemäß auch, weil sich darauf Musiker stürzen, die an Drei-Minuten-Kunst gewöhnt sind. Bei denen gibt es eine Sehnsucht, das auf eine Stunde auszudehnen, den großen Gestus und Geschichten zu schaffen. Sie sind Super-Dramaturgen, aber haben es einfach noch nicht gelernt, über drei Minuten hinauszudenken.

Sie erzählen solche Geschichten als Collage, mit harten Schnitten.

Ja, Avantgarde schneidet hart. In unserem neuesten Stück über Karl Valentin, das wir live in einem Fußballstadion inszenieren, lassen wir Schauspieler antreten, die einfach nur schauspielern. Aber auch einen Rundfunk-Fußball-Kommentator, der die Intensität rein über Stimme schafft. Hörspiel ist kein „Film ohne Bilder“, wie manche meinen. Bei der Fußballreportage teilt sich eine Intensität mit, die überhaupt nichts mit Sehen zu tun hat. Im Hörspiel muss man dem Optischen, dem Filmischen nicht hinterherhecheln. Es gibt Ereignisse, die rein akustisch existent sind. In diese heiligen Bereiche – wie die des Sterbens bei „Crashing Aeroplanes“ – muss Kunst vordringen.

(Interview: jm)

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